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Pro und Contra

Durchbruch beim Bürokratieabbau?

Der Bundestag hat Ende September ein Paket zum Abbau von Bürokratie beschlossen. Markiert es eine echte Trendwende oder illustriert es das Staatsversagen beim Bürokratieabbau?
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Benjamin Strasser (FDP) ist Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundes­minister der Justiz.

Wir sind uns einig: Die deutsche Wirtschaft erstickt an Bürokratie. Unternehmen wurden in der Vergangenheit mit immer neuen Berichtspflichten überhäuft, alte Vorschriften wurden kaum abgebaut. Dem steten Aufbau folgt nun der stete Abbau: Wer überbordende Bürokratie bekämpfen will, kann das Problem nicht mit einem einzigen, großen Befreiungsschlag lösen. Nötig sind viele einzelne Handgriffe, viele zielgenaue Maßnahmen, um die Wirtschaft zu entlasten.

Dazu zählt das Bürokratieentlastungsgesetz IV, kurz BEG IV. Noch nie zuvor hat eine Bundesregierung systematisch Unternehmen und Verbände vor dem Entwurf eines Bürokratieabbaugesetzes befragt. Wir haben einen Nerv getroffen: 442 Vorschläge sind eingegangen. 115 davon sind in der Umsetzung oder wurden bereits umgesetzt. Bei den übrigen ist der Bund zum Teil nicht zuständig, sondern die Länder oder die EU. In anderen Fällen liegt das Problem nicht auf der Rechtsetzungsebene, sondern in der konkreten Anwendung.

Ein dringender Wunsch der Praxis waren digitale Workflows. Immer noch erschweren Medienbrüche digitales Arbeiten. Deswegen ersetzen wir in vielen Bereichen die Schriftform durch die Textform – also die händische Unterschrift auf Papier durch etwa eine E-Mail. Das gilt zum Beispiel für Arbeitsverträge, die in den meisten Fällen digital abgeschlossen werden können. Andere Papierstapel schaffen wir ganz ab – wie Hotelmeldezettel für deutsche Staatsangehörige. Wir verkürzen die Aufbewahrungsfristen von Buchungsbelegen von zehn auf acht Jahre. Das sind viele gute Maßnahmen, die die Wirtschaft zu Recht eingefordert hat. Insgesamt entlastet unser Meseberger Bürokr atieabbau-Paket die Wirtschaft um jährlich fast 3,5 Milliarden Euro. Das ist das größte Entlastungspaket, das es jemals gab.

Genauso machen wir weiter: Die Bundesregierung wird künftig jedes Jahr ein Bürokratieabbaugesetz machen, mit festen Zielen und Abbaupfaden. Wir werden die Wirtschaft auch hier in den Gesetzgebungsprozess einbinden. Aber all das wird nicht reichen, wenn unsere Anstrengungen zum Bürokratieabbau ständig von Brüssel konterkariert werden. Auch der diesjährige Bericht des Nationalen Normenkontrollrates (NKR) kommt zu diesem Schluss: Die  Bundesregierung habe mit dem BEG IV und dem Wachstumschancengesetz deutlich Bürokratie abgebaut. Das große Aber kommt mit Blick auf Brüssel: Nach einer „Periode großen Regelungselans sehne sich Europa nach einer Verschnaufpause bei der Regulierung“. Deutschland müsse in der EU viel aktiver auf die Vermeidung unverhältnismäßiger Büro­kratie drängen. Wir Liberalen in der Regierung tun das seit drei Jahren. Wir haben uns für eine bürokratiearme Lieferketten-Richtlinie eingesetzt, die die menschenrechtliche und ökologische Situation wirklich verbessert und faire Wettbewerbsbedingungen schafft. Wir hatten dabei Unterstützung, aber nicht genug. Das Ergebnis ist zu bürokratisch und birgt unüberschaubare Haftungsrisiken. Dazu kommt die Nachhaltigkeitsberichterstattung, die von unserer Vorgängerregierung verhandelt wurde. Zur Schmerzlinderung konnten wir durchsetzen, dass Unternehmen zumindest nicht doppelt berichten müssen.

Eines muss klar sein: In dieser EU-Legislaturperiode muss es statt um Regeln und Verbote wieder um Freiheit und Wettbewerbsfähigkeit gehen. Für unsere Wirtschaft ist das überlebenswichtig. Und für unsere liberale Demokratie auch: Denn eine politische Ordnung, die den Bürgerinnen und Bürgern immer kleinteiligere Vorschriften macht und sich zugleich im Dickicht eines nicht mehr durchsetzbaren Rechts verheddert, wird keine Zukunft haben. 

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Steffen Kampeter ist Haupt­geschäftsführer der Bundes­vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).

Alle reden von Bürokratieabbau – doch er kommt nicht voran. Im Gegenteil, der Begriff mutiert zum Aliud für Staatsversagen. Das BEG IV illustriert dieses Staatsversagen. Es ist eine kleine Salbe für die großen Schmerzen.

Im Vorfeld wurde eine ambitionierte und umfangreiche Verbändeabfrage gestartet. Viele Vorschläge und Anmerkungen daraus wurden entweder nur marginal oder gar nicht berücksichtigt. Von den insgesamt 442 eingereichten Vorschlägen wurden lediglich 115 als umsetzbar bewertet. 210 Vorschläge wurden direkt abgelehnt. Die Bürokratie verteidigt ihre Bürokratie. Im Nachweisgesetz haben die BDA und andere Verbände die Einführung der Textform gefordert. Ein erster Gesetzentwurf sah zuerst nur die elektronische Form im Sinn des BGB vor. Erst nach zähen Nachverhandlungen konnte sich auf eine weitere Anpassung der Formerfordernisse hin zur Textform geeinigt werden. Willkommen in der Digitalisierung. Die Bundesregierung hat es in diesem Punkt dennoch nicht geschafft, einen umfassenden Bürokratieabbau zu ermöglichen. Denn die Branchen nach dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz sind nach wie vor von den Formerleichterungen ausgenommen. Damit wird ganzen Wirtschaftszweigen die Möglichkeit einer digitalen und einfacheren Arbeitsweise verwehrt.

Der Bürokratieturm wächst nicht weiter, wenn erst gar keine neue Bürokratie beschlossen wird. Aber schon allein mit der Umsetzung der CSRD-Richtlinie wird eine neue Bürokratiebelastung von 1,58 Milliarden Euro jährlich erwartet. Im Vergleich: Mit dem BEG IV wurde lediglich knapp 1 Milliarde Euro an Bürokratie abgebaut. Auch das Tariftreuegesetz – ich spreche lieber von dem „Tarifzwangsgesetz“, weil Treue etwas ist, was zwischen zwei Seiten verabredet wird – würde für die Unternehmen neue bürokratische Hürden bedeuten. Die Vergabe von Aufträgen durch den Bund wird dadurch komplexer, teurer – und ignoriert zudem geltende Tarifverträge. Gerade kleinere Unternehmen werden kaum in der Lage sein, diese Hürden zu nehmen. Ebenso drohen neue bürokratische Verrenkungen mit dem geplanten Beschäftigtendatenschutzgesetz.

Warum ist diese Entwicklung so unbefriedigend? Zentral ist die mangelnde Bereitschaft, die zugrunde liegenden Normen in Frage zu stellen. Erfolgreicher Abbau von bürokratischen Vorschriften kann nur in Verbund mit einer Deregulierungsstrategie erfolgreich sein. Ist die Regulierung unverhältnismäßig, aus der Zeit gefallen oder gar unsinnig, dann kann man sie abschaffen – dann braucht es keine Entbürokratisierung. Daran lassen es die Regierung und ihre Vorgänger – ebenso wie die Verantwortlichen in Brüssel – vermissen. Und: Bürokratieabbau kann nur erfolgreich sein, wenn er mit einem entschlossenen Bürokratenabbau kombiniert wird. Bürokraten machen Bürokratie. Das ist ihr Job und daher müssen wir ihre Möglichkeiten beschränken. Das Gegenteil passiert in der Politik. Im Rahmen politischer Kompromisse werden zusätzliche Regulierungen miteinander kombiniert und Stellen in den Bürokratien aufgebaut.

Bürokratie und Bürokratenaufbau ist zum offenkundigen Preis des politischen Kompromisses geworden. Kompromisse sind existenziell für die Funktionsfähigkeit parlamentarischer Demokratien, in der die Mehrheitsverhältnisse von der Klarheit der vergangenen Jahrzehnte entfernt sind. Allerdings dürfen die Kompromisse nicht die Wirksamkeit und Akzeptanz staatlichen Handelns gefährden: Der „blockierte Staat“ und der „dressierte Bürger“ – beides darf kein Leitbild sein. Umkehr tut not – allerdings schafft der Kompromiss zum BEG IV diese Umkehr auch im vierten Anlauf viel zu wenig.

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