Ich glaube, auf eine Feststellung können wir uns alle einigen: Das heutige Ausmaß der Lebensmittelverschwendung ist weder ethisch noch ökologisch vertretbar. Die Frage ist: Soll es dennoch verfolgt werden, noch genießbare Lebensmittel aus Abfallcontainern zu nehmen?
Kann es tatsächlich Diebstahl sein, wenn jemand sich an mit dem Wurf in die Mülltonne offensichtlich aufgegebenem „Eigentum“ eines Supermarktes bedient? Ist es zwanghaft Hausfriedensbruch, wenn jemand über eine niedrige Mauer oder einen Jägerzaun steigt, um dort noch brauchbare Lebensmittel einzusammeln? Juristisch sind diese Fragen tatsächlich nicht trivial – der gesunde Menschenverstand hilft indes weiter und lässt letztlich nur eine Frage übrig: Kann es angesichts der Lebensmittelverschwendung in den Industrieländern wirklich richtig sein, dass Menschen, die sich hierzulande aus welchen Gründen auch immer an weggeworfenen Lebensmitteln bedienen, mit Strafverfolgung rechnen müssen? Und ich finde, die Antwort auf diese Frage fällt eindeutig aus: Angesichts der geradezu obszönen Lebensmittelverschwendung kann und sollte sehr wohl auch grundlegend diskutiert werden, ob „Containern“ – also die Mitnahme von weggeworfenen Lebensmitteln – weiterhin generell strafbar sein soll.
Aber wie gesagt: Die Rechtsfolgen einer solchen Überlegung sind eben nicht trivial. Gerade daher hat der Hamburger Vorschlag, den sich nun auch die Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir (Grüne), und der Justiz, Marco Buschmann (FDP) zu eigen gemacht haben, seinen Reiz: Mit dem Umweg über die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) erreicht er das Ziel, das An-Sich-Nehmen von weggeworfenen Lebensmitteln zu entkriminalisieren auf pragmatische Weise, indem zumindest von einer Strafverfolgung abgesehen wird, solange das Containern nicht mit Sachbeschädigung, Vandalismus oder ähnlichem einhergeht. Gleichzeitig wird diese relativ einfache, sogenannte kleine Lösung auch der Tatsache gerecht, dass es bundesweit eben nur sehr wenige entsprechende Fälle gibt, die überhaupt verfolgt werden. Tatsächlich – das räume ich gern ein – hat die mittlerweile seit Jahren laufende Diskussion über das Containern daher in erster Linie auch einen symbolischen Charakter. Denn sie beschäftigt sich mit einem Problem, das nur eine sehr geringe Anzahl Menschen überhaupt betrifft. Dennoch bleibt es dabei: Ich bin der Überzeugung, dass es nicht sein kann und nicht sein darf, dass Menschen, die nichts anderes tun als weggeworfene Lebensmittel an sich zu nehmen, mit Strafverfolgung rechnen müssen.
Einen echten Erfolg hat die nun schon seit Jahren laufende Debatte um das Containern mithin längst erreicht: nämlich, dass der verschwenderische Umgang unserer Wohlstandsgesellschaft mit Lebensmitteln immer wieder in die Öffentlichkeit gerückt wurde. Und genau da muss dieses Thema bleiben – denn noch weitaus wichtiger als eine neue Regelung für das Containern zu finden, ist es, das Thema generell in den Fokus zu nehmen – und zwar bevor noch verwertbare Lebensmittel überhaupt in den Containern landen. Denkbar ist beispielsweise, größere Lebensmittelbetriebe und Supermärkte zu verpflichten, noch genießbare Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen weiter zu verteilen. Auch, dass nach wie vor vielfach Gemüse entsorgt wird, das nicht den Schönheitskriterien entspricht, bevor es überhaupt in den Handel kommt, darf nicht sein: Wenn vielleicht etwas eigentümlicher gewachsene Kartoffeln oder Karotten sofort zu Ausschuss werden, dann stimmt schlicht etwas nicht mit den Werbebotschaften und den Vermarktungskriterien der Lebensmittelindustrie – und letztlich auch mit unser aller Kaufverhalten.