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Pro und Contra

Versicherungspflicht einführen

Nach den Hochwasserkatastrophen in diesem Jahr fordern Politiker aus Bund und Ländern erneut eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden. Einzig die FDP hält weiterhin dagegen.
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Anke Rehlinger (SPD) ist Juristin. Sie ist seit 2022 Ministerpräsidentin des Saarlandes.

Das Saarland wurde Mitte Mai von einer historischen Naturkatastrophe getroffen, die als Pfingsthochwasser in die Geschichte eingehen wird. Nach extremen Regenfällen traten vielerorts Bäche und Flüsse über die Ufer und bahnten sich ihren Weg in die Dörfer und Städte, in Kellerräume und sogar bis in Wohnungen. An vielen Orten stiegen die Pegel noch höher als beim Jahrhunderthochwasser im Saarland 1993. Ähnliches und zum Teil noch deutlich Schlimmeres spielte sich wenig später in Bayern und Baden-Württemberg ab.

Machen wir uns bewusst: Der Klimawandel ist längst da. Mit dem Ergebnis, dass solche Extremwetter und Überschwemmungen leider mehr werden. Und auch dort zuschlagen, wo man sich bislang weitgehend in Sicherheit wähnte. Wir werden uns darauf einstellen müssen – sowohl auf staatlicher Ebene, indem wir Katastrophen- und technischen Hochwasserschutz verstärken, als auch auf privater Ebene, indem jeder und jede sich und sein Hab und Gut versichert.

Und damit wären wir beim Kernproblem: In Deutschland sind viel zu wenige gegen Elementarschäden versichert. Das müssen wir ändern. Denn eine absolute Sicherheit gibt es nicht mehr. Und im Moment ist es von Hochwasser zu Hochwasser so, dass am Ende der Staat – also der Steuerzahler – mit vielen Millionen Euro einspringt, um private Schäden zu lindern. Eine individuelle risikobasierte Versicherung kann den Einzelnen schnell überfordern. Wir sehen, dass viel zu viele Menschen vor zusätzlichen Versicherungsraten zurückschrecken.

Ich setze mich deshalb für eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden ein, die auf einem Solidarmodell basiert. Darin sind sich übrigens alle 16 Regierungschefs der Länder in Deutschland einig. Ein Blick nach Frankreich zeigt, dass ein solches Modell für den Einzelnen erschwinglich ist. Die dortigen Erfahrungen können uns dabei helfen, ein vergleichbares System einer Elementarschadenpflichtversicherung zu schaffen, das für alle Bürgerinnen und Bürger bezahlbar ist. Gleichzeitig beweist das französische System, dass der Staat zwar als Rückversicherer benötigt wird, um exorbitante Versicherungsraten für die Bürger zu vermeiden, allerdings selten tatsächlich finanziell einspringen muss. In Frankreich ist dies seit 1982 erst einmal vorgekommen, was den Staat 263 Millionen Euro gekostet hat. Zum Vergleich: In Deutschland hat die Bundesregierung allein für die furchtbare Katastrophe im Ahrtal 30 Milliarden Euro mobilisiert.

Zurück ins Saarland: Ich habe mit vielen Saarländerinnen und Saarländern gesprochen, die einen vermeintlich kleinen Schaden erlitten haben – oftmals war es etwa die Waschmaschine oder ein Kühlschrank, die dem Hochwasser zum Opfer gefallen sind. Für so manchen wiegen solche Schäden aber schwer. Und nicht selten hat es eben genau jene schlimm getroffen, die keine Elementarschadenversicherung besitzen, weil sie schlicht zu teuer ist. In Frankreich muss niemand in dieser Art bangen. Hier schafft die Pflichtversicherung einen nahezu flächendeckenden Schutz, ohne den Einzelnen zu stark zu belasten. Auch bei uns müssen wir die Versicherungsquote endlich anheben. Dafür ist eine Pflichtversicherung die bessere Option, als nur Informations­pflichten zu erweitern.

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Otto Fricke (FDP) ist Mitglied des Bundestags und im Rechtsaus­schuss Berichterstatter seiner Fraktion für das Thema Elementarschaden­versicherung.

Ahrtal, Niedersachsen, Südwestdeutschland – zunehmend führen Extremwetterereignisse und die durch sie entstehenden Schäden vor Augen, wie fragil der Mensch und seine Bauten im Vergleich zur Natur sind. Damit verbunden ist stets der Ruf nach staatlicher Absicherung durch Hilfsgelder und gesetzgeberische Reaktionen. Die Einführung einer Pflichtversicherung für Elementarschäden entlässt den Staat jedoch nicht aus seiner Verantwortung. Vielmehr erwiese er den gebeutelten Hauseigentümern damit einen Bärendienst.

Zunächst würden die Kosten, je nach örtlichem Risiko, eine massive finanzielle Belastung für Eigentümer und Mieter bedeuten: Experten schätzen die notwendigen Prämienanteile allein für die Elementarschadenversicherung auf bis zu 2000 Euro jährlich. Unter Umständen sogar noch mehr. Die allgemeine Wohngebäudeversicherung wäre in diesem Fall noch gar nicht enthalten. Die Versicherungskosten müssten überdies auf die Mieter umgelegt werden oder die Kaltmiete würde sich erhöhen. Damit würde Wohnen für Eigenheimbewohner und Mieter, übrigens unabhängig davon, wo sich ihr Gebäude befindet, gleichermaßen deutlich teurer. Die bereits jetzt angespannte Situation um bezahlbares Wohnen verschärfte sich um einen weiteren Kostenpunkt.

Darüber hinaus kann eine Elementarschadenpflichtversicherung nur mit einer – wahrscheinlich staatlichen – Rückversicherung für besonders schwerwiegende Schadensereignisse funktionieren. Hier müssten in Zeiten von allgemeiner Haushaltsknappheit öffentliche Gelder in großen Mengen bereitgestellt werden. Ein System, von dem der Staat – in Reaktion auf entsprechende Kritik des Bundesrechnungshofs – beispielsweise im Fall der Versicherungen von Terrorgefahren aktuell schrittweise Abstand nimmt. Hinzu käme der für die Überprüfung der Versicherungspflicht notwendige Bürokratieaufwand sowohl aufseiten des Staates als auch aufseiten der Privaten, etwa durch Nachweispflichten.

Die erhoffte Erleichterung für öffentliche Haushalte träte daher gerade nicht ein. Eine Risikominimierung und eine nachhaltige Entlastung für alle Betroffenen kann daher nur durch bauliche und baurechtliche Präventionsmaßnahmen erreicht werden. Hier sind einerseits die Länder und Kommunen in der Pflicht sicherzustellen, dass Hochrisikogebiete gar nicht erst bebaut werden dürfen. Der Bund muss seinerseits Informationen stärker bündeln und damit Anreize für zielgerichtete Vorsorgemaßnahmen auf individueller Ebene sowie für die Siedlungsentwicklung in klimarisiko­ärmeren Gebieten setzen. Zum anderen sind sowohl private als auch öffentliche präventive Baumaßnahmen unabdinglich. Seien es die besonders in süddeutschen Kommunen lange diskutierten Flutpolder, mobile Schutzeinrichtungen oder ganz individuelle bauliche Maßnahmen der privaten Bauherren wie erhöhte Türschwellen oder der Verzicht auf einen Keller. Die individuelle Versicherung, so wichtig sie als Teil individueller Schadensvorsorge ist, kann durch eine Elementarschadenversicherung, wo immer sie wirtschaftlich ist, nur eine ergänzende Maßnahme sein, wenn Prävention an ihre Grenzen stößt. Deshalb halte ich auch eine verpflichtende dokumentierte Opt-out-Lösung für einen vertretbaren Kompromiss.

Die Analyse aller einschlägigen Faktoren zeigt vorliegend: Debatten, die eine verpflichtende Elementarschadenversicherung zum Allheilmittel stilisieren, helfen nicht weiter und verhindern vor allem keinen einzigen Schaden. Es braucht kooperative Lösungen, die unserem föderalen System gerecht werden.

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