Das Internet hat innerhalb weniger Jahre unsere Kommunikation revolutioniert. Heutzutage ist es möglich, weltweit live und ohne nennenswerte Kosten zu telefonieren, zu chatten, Bilder und Videos auszutauschen – auch mit vielen Personen gleichzeitig. Diese Entwicklung ist ein Segen – man mag sich nicht ausmalen, wie wir die Corona-Pandemie ohne Videochat mit Verwandten und Freunden, ohne Online-Unterricht und Lernplattform überstanden hätten. Aber: In mancher Hinsicht ist die Entwicklung auch ein Fluch. Das gilt besonders mit Blick auf das Thema sexueller Kindesmissbrauch.
Allein in Deutschland stieg laut Polizeilicher Kriminalstatistik im Jahr 2021 die Verbreitung, der Erwerb, der Besitz und die Herstellung kinderpornografischer Schriften im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 100 Prozent auf fast 40.000 Fälle an. Die Fallzahlen des strafbaren Einwirkens auf Kinder mit technologischen Mitteln, von denen ein Großteil die Anbahnung sexueller Interaktion mit Minderjährigen – das sogenannte Cybergrooming – ausmacht, sind seit 2018 um fast 50 Prozent von 2.439 Fällen auf 3.539 Fälle in 2021 gestiegen. Und das ist nur das Hellfeld. Die Zahlen belegen: Das Internet erleichtert die Verbreitung kinderpornografischen Materials und Cybergrooming erheblich – und setzt damit im Ergebnis Anreize für mehr Kindesmissbrauch. Wenn das aber so ist, dann muss der Staat im öffentlichen Interesse handeln und Internet-spezifische Maßnahmen ergreifen. Dazu kann auch der Scan von Bildanhängen oder Text gehören. Denkverbote, wie sie von mancher Seite mit an Orwell erinnernden Begriffen gerne errichtet würden, sind beim Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch fehl am Platz. Natürlich stellt eine anlasslose Überprüfung von Chats und verschickten Bildern einen erheblichen Eingriff in Freiheitsrechte dar. Aber die Internet-gestützte Kommunikation ist nicht sakrosankt, gerechtfertigte Eingriffe sind möglich. Der Verordnungsentwurf der EU-Kommission enthält in dieser Hinsicht einen interessanten Vorschlag: Die Anbieter von Hosting- und Messengerdiensten werden zunächst zu einer Risikoanalyse und sodann zu Maßnahmen gegen die Verbreitung von Kinderpornografie und Cybergrooming auf ihren Diensten verpflichtet. Erst wenn das signifikante Risiko fortbesteht und als Ergebnis einer konkreten Interessenabwägung kann für einzelne Dienste eine zeitlich befristete Anordnung zum Scan von Bildanhängen oder Text ergehen. Der Scan erfolgt automatisiert mittels Hashes oder KI-gestützter, möglichst grundrechtsschonender Technik; nur der dabei auffällige Bruchteil der Kommunikation wird in der Folge überhaupt durch Menschen überprüft. Verschlüsselte Kommunikation ist nicht von vornherein ausgenommen, denn die Verschlüsselung schützt eben auch die Täter.
Der Vorschlag der EU-Kommission verdient Unterstützung, weil er am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausgerichtet ist und eben keine generelle „Chatkontrolle“ einführt. Zudem enthält er weitere Maßnahmen wie die Pflicht der Anbieter zur Meldung von sexuellem Kindesmissbrauch auf ihren Diensten, die Möglichkeit zum Erlass konkreter Entfernungs- oder Sperranordnungen sowie die Verpflichtung von App-Stores zu Schritten für einen verbesserten Schutz vor Grooming. Das Europäische Parlament und die im Rat vertretenen Mitgliedstaaten sind nun aufgerufen, sich mit dem Vorschlag im Interesse des Kinderschutzes ideologie- und vorurteilsfrei auseinandersetzen. Prävention und Opferschutz sind wichtig, können aber Maßnahmen zur wirksamen Aufdeckung und Strafverfolgung des ansteigenden sexuellen Kindesmissbrauchs im Internet nicht ersetzen.