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Pro und Contra

Nach EuGH-Urteil auf IP-Adressen setzen

Der EuGH hat den Weg für eine Neuregelung zur befristeten Speicherung von IP-Adressen im Kampf gegen Kindesmissbrauch und andere Straftaten frei gemacht. Während die Union den Ball aufnehmen will, lehnt die FDP eine anlasslose Datenspeicherung weiter ab.
Prof. Dr. Roman Poseck (CDU) ist Hessens Minister des Inneren.

Das höchste europäische Gericht hat am 30. April klare Worte gefunden: Die allgemeine und unterschiedslose Speicherung von IP-Adressen stellt grundsätzlich keinen schweren Eingriff in die Grundrechte dar. Damit ermöglicht der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Speicherung von IP-Adressen zur Bekämpfung von Kriminalität. Eindeutiger geht es nicht. Diese europäische Klarstellung muss jetzt dringend auch auf das deutsche Recht übertragen werden, damit Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden IP-Adressen mit dem Ziel der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten nutzen können.

In Anbetracht der steigenden Gewaltkriminalität, dem deutlichen Anstieg rechts- und linksextremer Straftaten sowie der zunehmenden Terrorbedrohung kommt das Urteil des EuGH zur richtigen Zeit. Extremisten, Reichsbürger, Islamisten und andere extreme Gruppierungen sind eine zunehmende Gefahr für die innere Sicherheit. Auch die gegenwärtigen kriegerischen Auseinandersetzungen und globalen Herausforderungen haben negative Auswirkungen auf die Sicherheit bei uns. Cyberangriffe, Desinformationskampagnen und Spionagefälle sind nur einige Bedrohungen, denen unser Land inzwischen nahezu täglich ausgesetzt ist. 

Die Menschen erwarten Sicherheit. Politik wird Vertrauen in unser System nur erhalten können, wenn sie dieser Erwartungshaltung Rechnung trägt. Wir müssen uns gegen neue Gefahren wirksam schützen und dürfen dem Verbrechen keine Freiräume geben. In erster Linie müssen wir deshalb die Sicherheitsbehörden mit modernen und wirkungsvollen Befugnissen ausstatten. Schon lange läuft Deutschland den anderen Ländern bei der Kriminalitätsbekämpfung hinterher. Kriminelle Handlungen werden immer häufiger digital vorbereitet und finden dann auch im Internet statt. Daher ist eine IP-Adresse oftmals der einzige Ansatz für die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden. Erst durch die Zuordnung einer IP-Adresse zu einem Anschluss können Straftäter überführt werden. Schon mit einer zeitlich begrenzten Speicherung ließen sich tausende Straftaten aufklären. Dazu gehören schreckliche Kindesmissbrauchsfälle sowie schwerwiegende Fälle von organisierter Kriminalität und Terrorismus. Im Verhältnis dazu ist der Eingriff für die Betroffenen bei der bloßen Speicherung von IP-Adressen maßvoll. Es geht selbstverständlich nicht um eine Speicherung von Inhalten. 

Quick Freeze bringt den Ermittlern nichts 

Das vom Bund geplante Quick-Freeze-Verfahren bringt Ermittlern und Strafverfolgungsbehörden nichts. Es verbietet lediglich das Löschen etwaiger zufälligerweise gespeicherter Daten zu einer IP-Adresse, wenn sie mit einer Straftat in Verbindung gebracht werden. In der Regel sind diese Daten aber gar nicht gespeichert. Und wenn keine Daten da sind, können auch keine „eingefroren“ werden.

Der EuGH geht mit der Zeit. Er hat den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu einem Quantensprung in der Strafverfolgung eröffnet. Diese Chance dürfen wir nicht verspielen. Es bleibt zu hoffen, dass der Bund den faulen Deal aus Mietpreisbremse und Quick Freeze in Anbetracht der neuen Rechtsprechung aufkündigt und den Ball der Rechtsprechung aufnimmt. 

Stephan Thomae (FDP) ist Mitglied des Bundestags und Parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion.

Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung wird seit Jahren in Deutschland und anderen EU-Ländern diskutiert und landete immer wieder vor den Gerichten. 2010 hat das Bundesverfassungsgericht das deutsche Umsetzungsgesetz der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig erklärt. Der Europäische Gerichtshof hat in den Jahren 2014, 2016 und 2022 deutlich gemacht, dass eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung mit dem Unionsrecht nicht vereinbar ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat im August 2023 die in Deutschland geltenden Regelungen zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung für europarechtswidrig und damit für nicht anwendbar erklärt. Das jüngste Urteil des EuGH vom 30. April 2024 hat zwar gewisse Spielräume eröffnet, jedoch ändern diese nichts an den massiven verfassungsrechtlichen Bedenken einer möglichen nationalen Umsetzung.

Verschiedene Stimmen fordern eine gesetzliche Neuregelung für eine anlasslose Speicherung von IP-Adressen zur besseren Strafverfolgung von sexuellem Missbrauch, Kinderpornografie und zum besseren Schutz von Kindern. Allerdings, es ist mitnichten so, dass der Werkzeugkasten der Sicherheitsbehörden leer wäre. Bereits jetzt verfügen diese über umfangreiche Befugnisse zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung. In der Regel gelingt es auch ohne anlasslose IP-Adressen-Speicherung, die Täter zu fassen. Das zeigen die Ermittlungserfolge bei den schrecklichen Missbrauchsfällen in Lügde, Bergisch-Gladbach und Münster.  Zudem finden besonders schwere Fälle im anonymen Darknet statt, wo eine Speicherung von IP-Adressen nutzlos ist. Stattdessen braucht es gut ausgebildete Ermittler und eine entsprechende Ausstattung der Sicherheitsbehörden. Oft wird auch vergessen, dass eine IP-Adresse nicht gleichbedeutend mit der Identifizierung eines Täters ist, sondern zunächst nur Aufschluss über eine individuelle Adresse gibt, die ein Gerät im Internet oder auf einem lokalen Netzwerk identifiziert. Zudem ist davon auszugehen, dass die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung zu stärkeren Ausweichbewegungen in der kriminellen Szene und damit unter Umständen sogar zu geringeren Aufklärungsquoten führen würde.

Eine anlasslose Speicherung von IP-Adressen führt also nicht zwingend zu besseren Ermittlungsergebnissen, ist und bleibt aber ein massiver Eingriff in die Grundrechte. Sie führt dazu, dass auch die Telekommunikationsdaten von Menschen gespeichert werden, die sich völlig redlich verhalten. Natürlich müssen unsere Sicherheitsbehörden über die nötigen Befugnisse verfügen, um schwerste Straftaten im Netz aufzuklären. Richtig im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wäre es aber, nur die Telekommunikationsdaten von Personen zu speichern, gegen die ein Verdacht einer Katalogstraftat vorliegt. Daher ist es ein echter Durchbruch, dass Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) im April 2024 das Quick-Freeze-Verfahren durchgesetzt hat. Denn dieser Ansatz ist ein zielsicheres und gleichzeitig grundrechtsschonendes Instrument. Ermittler können mit Quick Freeze sogar mehr herausfinden als mit einer Speicherung von IP-Adressen, denn Quick Freeze ermöglicht es, sämtliche Verkehrsdaten, die einem Telekommunikationsanbieter vorliegen, zu sichern, wenn ein begründeter Verdacht vorliegt. Es können also gezielt umfassende Daten von Verdächtigen „eingefroren“ werden, ohne dass dabei unbeteiligte Bürger in den Fokus der Ermittler geraten. Sowohl die Sicherung der Daten als auch der Zugriff der Ermittlungsbehörden setzt dabei eine richterliche Anordnung voraus. Quick Freeze ist damit zur Verbrechensbekämpfung nicht nur besser geeignet als die Vorratsdatenspeicherung, sondern beschränkt sich auf die notwendigen Mittel und setzt die Speichertechnik in angemessenem Umfang ein, indem sie nur eingreift, wenn ein Verdacht vorliegt.

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