Mit unserem derzeitigen Abtreibungsrecht haben wir in Deutschland nach jahrelangem Ringen einen Kompromiss gefunden, der sowohl das Lebensrecht des ungeborenen Kindes als auch das Recht der Frau auf reproduktive Selbstbestimmung in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander stellt. Es ist ein zwischen den unterschiedlichen politischen Parteien errungener demokratischer Kompromiss, der aus beiden gesellschaftlichen Lagern Zugeständnisse einfordert. In Deutschland führt er zu einem gesellschaftlichen Frieden in der Debatte, um den andere westliche Länder wie Polen und die USA seit langem ringen. Wenn wir diesen Kompromiss nun wieder aufbrechen und unser Abtreibungsrecht einseitig zu Lasten einer Grundrechtsposition verändern, dann gerät dieses Verhältnis in eine Dysbalance. Die Debatte um Schwangerschaftsabbrüche würde neu entfacht und es drohen gesellschaftliche Unruhen, die ein enormes Spaltungspotenzial haben.
Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Frage 1975 und 1993 klar entschieden. Schon dem ungeborenen Leben kommt die grundgesetzlich verankerte Menschenwürde zu. Das Untermaßverbot lässt keine Regelung außerhalb des Strafgesetzbuchs zu. Mittels des Strafrechts können wir eine ausreichende Schutzwirkung für das ungeborene Leben sicherstellen. Die Vorschläge der Kommission einer grundsätzlichen Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, würde dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes entgegenstehen und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zuwiderlaufen. Die Argumentation der Kommission verkennt in dieser Frage die verfassungsrechtliche Realität. Das Grundgesetz und die Urteile des Bundesverfassungsgerichts setzen klare Eckpfeiler, die für eine Neuregelung des Abtreibungsrechts nicht viel Spielraum lassen.
Und es gibt keine Notwendigkeit für eine Neuregelung. Die aktuellen Zahlen von Schwangerschaftsabbrüchen im internationalen Vergleich zeigen, dass wir keine prohibitiv hohen Hürden in Deutschland haben. Auch der Vorwurf, dass eine Regelung im Strafgesetzbuch Schwangere oder Ärztinnen und Ärzte kriminalisiert, ist nicht haltbar. Wenn wir uns die Zahlen der vergangenen Jahre anschauen, gibt es faktisch keine strafrechtlichen Verurteilungen in diesem Bereich. Hinzukommen weder neue wissenschaftliche oder medizinische Erkenntnisse noch europa- oder völkerrechtliche Verpflichtungen, die eine Änderung in dieser strittigen Frage erfordern. Sie würde aus einer rein ideologischen Überzeugung erfolgen und das ist bei diesem sensiblen Thema, bei dem es um die Abwägung von Grundrechten in einer hoch emotional aufgeladenen Debatte geht, völlig unangebracht. Keine Frage: Schwangere, die eine Abtreibung in Erwägung ziehen, befinden sich in einer besonders sensiblen und emotionalen Lage, die oft mit hohem psychischem Druck einhergeht. Ihr Recht auf eine reproduktive Autonomie wird durch die geltende Rechtslage aber ebenso geschützt wie das Lebensrecht des ungeborenen Kindes.
Die in diesem Zusammenhang vermehrt diskutierte Abschaffung der Beratungspflicht und Ausweitung der Fristenlösung sehe ich besonders kritisch. In beiden Fällen wäre sowohl der Schutzpflicht des ungeborenen Lebens als auch der betroffenen Frau nicht ausreichend Rechnung getragen. Eine Erkenntnis der Kommission sollten wir jedoch aus der Debatte mitnehmen, wir müssen die Versorgungsangebote gerade im ländlichen Raum weiter ausbauen, um den unmittelbaren Zugang für die Schwangeren zu den Beratungsstellen und Arztpraxen zu verbessern.