Die aktuelle Ausgabe | September 2024
Verrohung und Respektlosigkeit
Liebe Leserinnen und Leser,
zweieinhalb Jahre nach dem brutalen Überfall Russlands auf die Ukraine blickt die Deutsche Richterzeitung auf die Lage der Justiz in dem vom Krieg geschundenen Land. Wie gelingt es den Richterinnen und Richtern in der Ukraine, im Sturm des Angriffskriegs Wladimir Putins weiterhin Recht zu sprechen? Inmitten des Zivilisationsbruchs, den der Kremlchef mit seinem Überfall begangen hat, versuchen die Gerichte in der Ukraine den Rechtsstaat aufrechtzuerhalten und den Menschen im Land damit ein Stück Stabilität zu bewahren. Yaroslav Levyk, Richter am Oberlandesgericht Lviv, beschreibt in seinem ebenso beeindruckenden wie bedrückenden Beitrag, dass die Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine weitermachen – auch wenn Gerichtsgebäude zerstört und Menschen darin gestorben sind, auch wenn Lärm von Explosionen in die Gerichte dringt, Fensterscheiben erzittern und in Teilen der Stadt Rauch aufsteigt. Die Antwort auf die Frage, warum die Gerichte trotz aller Gefahren ihre Arbeit nicht einstellten, stehe in der ukrainischen Verfassung, sagt er. Das Recht, sich Schutz suchend an ein Gericht zu wenden, kann nicht einmal durch das Kriegsrecht eingeschränkt werden, betont Levyk. Wer die Bilder der zerstörten Gerichte in Mykolayiv (Titelseite), in Borodyanka nahe Kiew, in Donezk oder in Charkiw sieht, die er der Redaktion überlassen hat, der kann die ganze Tragweite dieser Verfassungstreue ermessen.
In ihrem internationalen Themenschwerpunkt blickt die DRiZ zudem in die Türkei, wo der aus dem Amt gedrängte Richter Murat Arslan seit 2016 wegen angeblicher Verstrickungen in den damaligen Putschversuch gegen die Regierung im Gefängnis sitzt. Der Präsident der Internationalen Richtervereinigung (IAJ) Duro Sessa sieht die Türkei in der Pflicht, den Václav-Havel-Menschenrechtspreisträger Arslan spätestens jetzt aus der Haft zu entlassen, nachdem er drei Viertel seiner Haftzeit hinter sich hat. Die IAJ und zahlreiche Mitgliedsverbände haben sich an den türkischen Justizminister gewandt, um die schnellstmögliche Freilassung Arslans zu erreichen.
Herzlich
Ihr
Sven Rebehn,
Chefredakteur