Zunehmender Restrukturierungsbedarf in deutschen UnternehmenTrotz eines bereits hohen Ausgangsniveaus prognostizieren Branchenexperten einen weiter zunehmenden Restrukturierungsbedarf. Das allein kommt nicht überraschend. Wenn dies in einer Studie aber mit 97% fast alle Befragten erwarten, lässt ein so hoher Wert schon aufhorchen – zumal es in den meisten Fällen nicht um kleinere Projekte geht, sondern um die Einleitung und Umsetzung von grundlegenden strategischen Veränderungen wie die interne Restrukturierung, Outsourcing oder Merger & Acquisitions (Merger – Verschmelzung, Zusammenschluss; Acquisitions – Unternehmenserwerbe).
Praxis-Info!
Problemstellung Dass der ohnehin schon große Restrukturierungsbedarf in deutschen Unternehmen noch weiter steigen wird, ist das am 11.1.2023 veröffentlichte Ergebnis einer Umfrage, die Aurum Interim Management unter besonders qualifizierten Restrukturierungsexperten durchgeführt hat. Beeinflusst wird diese Entwicklung durch die aktuelle wirtschaftliche Lage: Insbesondere die Energiekrise (97%), fehlende bzw. gestörte Lieferketten (92%), Rohstoffknappheit (85%) und die Inflation (84%) sind nach Einschätzung der Studienteilnehmer hauptverantwortlich für den steigenden Restrukturierungsbedarf. Restrukturierungsgegenstand sind infolge der Multikrisen-Lage komplexe Prozesse, die fast immer mehrere Unternehmensbereiche betreffen. Für die Praxis kommt es vor diesem Hintergrund darauf an, (1) die maßgeblichen Restrukturierungstreiber zu identifizieren, (2) branchenspezifisch die Veränderungsnotwendigkeiten zu erkennen und (3) Problemlösungsprozesse anzustoßen. Der nähere Einblick in die Studienergebnisse kann hierbei helfen.
Lösung (1) Einkaufspreise als Top-Treiber: So berichtet Samir Jajjawi, Managing Partner von Aurum Interi, dass angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen 82% der Experten die Einkaufspreise als einen der Top-Treiber von Restrukturierungen identifizieren; auch die Bedeutung geopolitischer Risiken wird von 74% der Befragten als hoch eingeschätzt. „Bei der Umfrage 2021 spielten die Einkaufspreise mit 48% und die geopolitischen Risiken mit nur 28% der Nennungen noch eine deutlich untergeordnete Rolle als Restrukturierungstreiber. Das zeigt, wie dramatisch sich die Situation in den letzten 12 Monaten gewandelt hat“, so Jajjawi. Auch die Auswirkungen des zunehmenden Fachkräftemangels macht die Studie sichtbar: Wurden fehlende Personalkapazitäten 2021 noch von der Hälfte der Experten als Restrukturierungstreiber aufgeführt, sehen bei der aktuellen Studie schon rund zwei Drittel der Befragten darin einen wichtigen Einflussfaktor. (2) Automotive und Maschinen- und Anlagenbau: Auch in der aktuellen Studie liegt der Bereich Automotive im Branchen-Ranking an erster Stelle der Industrien mit dem höchsten Restrukturierungsbedarf: 84% der Befragten geben an, aus diesem Sektor eher viele bis sehr viele Anfragen zu erhalten. Doch auch der Maschinen- und Anlagenbau ist mit 79% stark von Restrukturierungen betroffen. Im Vergleich dazu scheint sich der Handel zu stabilisieren: Denn nur 49% der befragten Experten bekommen Anfragen aus diesem Bereich – das sind sechs Prozentpunkte weniger als 2021. „Gewinner“ in Krisenzeiten scheint der Sektor der Finanzdienstleistungen zu sein. Nur 11% der Restrukturierungsanfragen kamen 2022 aus dieser Branche – neun Prozentpunkte weniger als 2021. (3) Komplexität von Transformationsprozessen: Acht von zehn Experten sind der Meinung, dass die aktuelle wirtschaftliche Unsicherheit die Komplexität von Transformationsprozessen noch einmal deutlich erhöht hat: In über 98% der Restrukturierungsfälle sind mehrere Unternehmensbereiche oder sogar das gesamte Unternehmen betroffen. Im Fokus stehen auch weiterhin die Funktionsbereiche entlang der Supply Chain (Wertschöpfungskette) Produktion (87%), Einkauf (82%) und Lager/Logistik (80%) – wobei der Einkauf im Vergleich zum Vorjahr noch stärker in den Fokus gerückt ist (+13%). Oft gehen arbeitsorganisatorische Maßnahmen mit den Restrukturierungen einher: In 89% der Fälle müssen neue Arbeitsabläufe implementiert werden, um Prozesse qualitativ besser und effizienter zu machen. Auch die Verschlankung von Strukturen spielt eine wichtige Rolle: In 77% der Fälle werden Abteilungen zusammengelegt, in 74% sollen Hierarchieebenen abgebaut werden. Eine weitere häufig genannte arbeitsorganisatorische Maßnahme ist die Einführung neuer Technologien (72%): Zwei Drittel der Befragten gehen davon aus, dass Unternehmen mit einem hohen Digitalisierungsgrad besser durch Krisen kommen.
Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld
BC 2/2023
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