„Am 13.1.1920 hämmerten vor dem Reichstag die Maschinengewehre. Eine gewaltige Menschenmenge, die auf dem Platz der Republik versammelt war, um gegen das Betriebsrätegesetz zu demonstrieren, rettete sich in wilder Flucht in den Tiergarten. 42 Tote und 105 Verwundete wurden vom Platz getragen“. Als Tage später am 9.2.1920 das BRG in Kraft trat, glaubte wohl niemand, es würde im Kern noch in 100 Jahren die betriebliche Mitbestimmung regeln. Und doch: Ein solches Regelwerk – mit Blut getauft, von den Nationalsozialisten sofort aufgehoben, 1952 im neuen Gewande wieder Gesetz geworden, 1972 unter Willy Brandt verjüngt, in der DDR links liegen gelassen und im geeinten Deutschland bis heute das Gerüst der sozialen Marktwirtschaft in den Betrieben – sucht in Deutschlands (Arbeits)Rechtsordnung seinesgleichen. Zudem warten neue Herausforderungen: Digitalisierung, Internationalisierung, das Auflösen tradierter betrieblicher Strukturen und das Vordringen des Unionsrechts, das seine „High Water Mark“ im Arbeitsrecht noch nicht erreicht hat, rückten die Betriebsverfassung jüngst wieder in den Fokus der betrieblichen Praxis und des wissenschaftlichen Interesses.
So fand sich der Verlag C.H.BECK bereit, ausnahmsweise nicht für eine(n) prominente( n) Juristen/in, sondern für die Betriebsverfassung eine Festschrift herauszugeben. Umgesetzt haben dies neben den Herausgebern Edith Gräfl, Vorsitzende Richterin am BAG, Yvonne Trebinger, Ministerialrätin im BMAS, Hartmut Oetker, Universitätsprofessor in Kiel, sowie dem Verfasser dieses Editorials, auf den die Idee zu der Festschrift zurückgeht, insbesondere 71 Autorinnen und Autoren. Sie alle sind der Betriebsverfassung eng verbunden aus ihrer Tätigkeit in Gerichten, Universitäten, Ministerien, Unternehmen, Kanzleien und bei den Sozialpartnern, wobei Letztgenannte durch Zuwendungen das Erscheinen der Festschrift sicherten, wofür auch hier gedankt sei. Die Übergabe erfolgt im Rahmen des von der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV veranstalteten 4. Deutschen Arbeitsrechtstags in Berlin am 30.1.2020. In Empfang nehmen wird die Festschrift Frau Ingrid Schmidt, Präsidentin des BAG, dessen 1. Senat unter ihrem Vorsitz seit Jahren das BetrVG gewiss mehr prägt als der Gesetzgeber.
Es gibt generelle Beiträge, etwa über eine zeitgemäße Betriebsverfassung (Annuß), deren Rolle für Mitbestimmung und soziale Marktwirtschaft (Richardi), Demokratie (Hjort), Gewerkschaften und Mitbestimmung (Nielebock) sowie Ausblicke (Loritz, Wolf und J. Schubert mit einem Plädoyer für die Erstreckung des BetrVG auf alle Arbeitnehmer), aber vor allem Beiträge aus der Praxis, insbesondere zu Digitalisierung und Datenschutz, Matrix und Betriebsbegriff, Einigungsstelle (Kosten sowie Verfahren, Bauer/Röder und Nause), zu neuen Beschäftigungsformen, um nur einige aufzugreifen. Wer mehr über die Historie wissen und die Quelle des Eingangssatzes erfahren will, dem sei der Beitrag von Bepler empfohlen. Was immer man von der Betriebsverfassung hält – wir dürfen uns glücklich schätzen, in anderen Zeiten zu leben. Heute hämmern vor dem Reichstag gottlob allenfalls die Trommeln friedlicher Demonstranten. Möge das auch nach 200 Jahren Betriebsverfassung noch so sein.
|
|

|