Es war voraussehbar: Der VII. Zivilsenat des BGH (NJW 2018, 1463) hat mit seiner Rechtsprechungsänderung zu fiktiven Mängelbeseitigungskosten die Praxis ratlos (im wahrsten Sinne) zurückgelassen. Bis dahin war es unerheblich, ob der geschädigte Bauherr die Mängel am Werk tatsächlich beheben ließ oder nicht – er konnte mit der gezahlten Schadenssumme anstelle der Mängelbeseitigung auch eine Urlaubsreise machen. Das ist seitdem vorbei. Ja, das Urteil (und die Folgeentscheidungen des Senats) sollte nach der Senatsbegründung (Rn. 70 ff: „Besonderheiten des Werkvertragsrechts“) eben nur für das Werkvertragsrecht gelten. Aber wer wirklich denkt, die Tatsacheninstanzen würden sich an diese Vorgabe halten, irrt. Teilweise gibt es in der Richterschaft einen offenen Aufruf zum „Ungehorsam“ (so etwa Seibel, NZBau 2019, 81 [82]: „wegen der genannten Schwächen folgt der Autor [...] der Entscheidung nicht“), teilweise erfolgt die Rezeption auch für das Kaufrecht (OLG Frankfurt a. M., BeckRS 2019, 370 nrkr) oder für das Deliktsrecht (Verkehrsunfälle: LG Darmstadt, NZV 2019, 91). Im Mietrecht beginnt die Diskussion nun ebenfalls (vgl. AG Hamburg-Blankenese, BeckRS 2019, 10927; ausführlich Riehm, NZM 2019, 273).
Es wird Zeit vergehen, bis der BGH hier für Rechtssicherheit sorgen kann, vielleicht auch nur durch Vorlage an den Großen Senat gem. § 132 GVG. Für das Mietrecht ist eine Klärung momentan nicht in Sicht, im Kaufrecht steht sie zu gegebener Zeit an. Für Verkehrsunfälle bleibt es nebulös. Denn „Überkompensation“ gibt es – anders als vom VII. Zivilsenat für andere Rechtsgebiete angedeutet – auch jenseits des Baurechts. Der durch einen Verkehrsunfall geschädigte Eigentümer eines Fahrzeugs, der sein Auto nicht oder durch einen Freund reparieren lässt, aber die vollen Reparaturkosten netto erhält, bekommt eben wie auch ein Bauherr, der das zu dünn errichtete Wärmedämmverbundsystem nicht abreißen und neu errichten lässt, „mehr“, als ihm nach dem BGH „zusteht“. Anders als der VII. Zivilsenat es in seinem grundlegenden Urteil vom 22.2.2018 ausführt, ist auch eine klare Grenze zum Kaufrecht nicht ersichtlich: Man denke an die in der Praxis immer wieder vorkommenden Fälle der Veräußerung eines etwa zwei oder drei Jahre alten Neubaus, bei dem die das Gebäude errichtende Baufirma auch noch bekannte Mängel verschwiegen haben könnte – soll hier Kaufrecht oder Werkvertragsrecht zur Anwendung kommen (vgl. etwa BGH, NJW 2016, 1575; NJW 2016, 2878)? Es ist evident, dass sich willkürlich erscheinende Grenzen auftun.
Einmal mehr hat der BGH mit einer plötzlichen Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung für Furore gesorgt – aber auch für wenig Rechtsklarheit in den Details und den Folgen. Schon verlagert sich die Diskussion auf neue Problemfelder (vgl. KG, BeckRS 2018, 42801 zur Höhe des Minderwerts bei einer Veräußerung). Ob die neue Linie nun „ eklatante Schwächen sowohl in dogmatischer als auch in praktischer Hinsicht“ (Seibel, NZBau 2019, 81) offenbart, mag dahingestellt bleiben; ein paar „Segelanweisungen“ für die sich anschließenden Fragestellungen hätte man sich auf jeden Fall gewünscht.
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