Persönlich beschimpfende Vorwürfe müssen gegebenenfalls hingenommen werden, wenn sie zugleich auch objektive Missstände kritisieren. Sie sind dann unter Umständen auch deshalb keine „Schmähungen“, sondern Art. 5 I 1 GG schützt sie. Das ist die meinungsfreundliche Linie des BVerfG in den Entscheidungen „Winkeladvokatur“ (NJW 2013, 3021 [in diesem Heft]) und „Behördendenkzettel“ (Beschl. v. 24. 7. 2013 – 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13, BeckRS 2013, 54173).
Im ersten Fall nannte ein Anwalt die Kanzlei des Gegners in einem Arzthaftungsprozess „Winkeladvokatur“, weil sie gegenüber dem Gericht als „Kooperation“ auftrat, während sie sonst, wo es günstiger schien, den Eindruck einer Sozietät erweckte. Hier sah er eine Parallele zur Mandantschaft eben jener „Winkeladvokatur“. Das waren zwei Ärzte, bei denen auch unklar sei, ob sie eine Praxisgemeinschaft oder eine Gemeinschaftspraxis bildeten. Dass der Gegner beide Ärzte zugleich vertrete, führe zu widerstreitenden Interessen und Parteiverrat. Das BVerfG erlaubte den persönlich kränkenden Ausdruck unter anderem wegen dieser engen Sachbezüge.
Ähnlich im zweiten Fall, beim „Denkzettel für strukturellen und systeminternen Rassismus“, den ein „Flüchtlingsrat“ einem Rechtsamt „verlieh“. Eine Aufenthaltserlaubnis war zu Unrecht verweigert worden. Ob das Amt oder seine im „Denkzettel“ ebenfalls genannte Sachbearbeiterin neutral schlecht oder wirklich rassistisch „arbeiteten“, ergibt der Beschluss des BVerfG nicht. Der „Denkzettel“ rügt jedoch noch mehr: Die Sachbearbeiterin habe ein dem betreffenden Flüchtling günstiges Gutachten absichtlich verschwiegen. In Wahrheit kannte sie es aber gar nicht. Das BVerfG erlaubt sogar diese Behauptung im Ergebnis. Es erklärt, wie es das seit 55 Jahren ständig tut, die falsche Tatsachenbehauptung zur Nebensache, indem es sie der Gesamtäußerung ein- und unterordnet. Der „Denkzettel“ als Ganzer genügt dem klassischen und strengen Maßstab aus dem „Lüth“-Urteil: ein „ernster“ und uneigennütziger „Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage“ (vgl. BVerfGE 7, 198 [212 ff., 215 ff., 227] = NJW 1958, 257). Zudem greift der Flüchtlingsrat, anders als einst Erich Lüth, eine Behörde an. Sie, den Staat und seine Bediensteten, darf man noch härter und gröber kritisieren als Private.
Aber ist es dazu wirklich nötig, die Sachbearbeiterin der üblen Nachrede auszusetzen? Ähnlich den Umdeutungs-Klimmzügen des Ersten Senats in „Lüth“ (vgl. BVerfGE 7, 198 [226–228]), „Strauß/Giordano“ (NJW 1991, 95) oder „Eppler“ (NJW 1980, 2070) modelt die Kammer jene falsche Tatsachenaussage zum Anhängsel unüberprüfbarer subjektiver Wertungen um. Sie tut das wohl nur, um die gerechtfertigte Gesamtäußerung zu erlauben. – Ginge das nicht auch anders, offener? Insgesamt ist die Entscheidung jedoch richtig: Strengere Sorgfaltspflichten würden den kritischen Diskurs ersticken.
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