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Editorial Heft 33/2011: Interdisziplinäre BegriffssuppeVon Professor Dr. Dr. h. c. Uwe H. Schneider, Mainz/Frankfurt a. M.
Dem Juristen ist vertraut, dass die Rechtssprache und die Umgangssprache auseinanderfallen. Ein Bootsverleih ist aus rechtlicher Sicht eine Bootsvermietung, und wer von der Nachbarin Eier leiht, schließt keinen Leihvertrag, sondern einen Vertrag über ein Sachdarlehen. Nun ja, das ist kein wirkliches Problem. Einigkeit besteht heute auch darüber, dass es in unserer Rechtsordnung keine einheitliche Begriffsbildung gibt. Begriffe wie etwa „Unternehmen“ sind im Blick auf Ziel und Zweck der Norm auszulegen. Höchst problematisch wird aber die Diskussion zwischen Politikern, Ökonomen und Juristen. Hier hat sich in den letzten Jahren eine eigene Sprache entwickelt, die zwar gelegentlich plakativ, aber begrifflich unscharf ist und zu Missverständnissen führt. Vertragspartner werden zu „Akteuren“, die Gesetzgebung zur „Regulierung“ und Unternehmen zur „Unternehmung“, soll heißen zur „Produktionsfunktion auf der Suche nach der gewinnmaximalen Faktoreinsatzmengenkombination“. Was soll es etwa bedeuten, dass wir eine schärfere „Regulierung“ des Anlegerschutzes brauchen? Geht es um weitergehende Regelungen im Aufsichtsrecht, also eine Ergänzung der §§ 31 ff. WpHG, oder geht es um verschärfte Regelungen im Vertragsrecht? Oder ist die Fragestellung ganz offen? Kurzum, was heißt eigentlich „Regulierung“? Und was sind „Standards“, die die Nachhaltigkeit sichern sollen? Werden hier neue Gesetze gefordert? Werden neue Werte eingeführt, deren Wahrung auch durch freiwillig zu beachtende Regeln in einem Kodex genügt? Steht der Begriff „Transaktion“ für ein einzelnes Rechtsgeschäft, eine Mehrzahl von Rechtsgeschäften oder beschreibt der Begriff einen wirtschaftlichen Vorgang? Noch problematischer wird es, wenn man Begriffen ganz unterschiedliche Bedeutungen gibt. Forderungen und Patente werden zu Eigentumsrechten. Die ökonomische Theorie der Vertretung hat mit der Vertretung i. S. des § 164 BGB nichts zu tun. Die Theorie der Verfügungsrechte geht davon aus, „dass ökonomische Entscheidungen über den Einsatz (Allokation) und die Nutzung von Ressourcen auf prognostizierbare Weise durch die Ausgestaltung von Handlungsrechten beeinflusst werden“. Noch Fragen? Hier soll nicht lamentiert werden, dass wir in unterschiedlichen Begriffswelten leben. Hier soll auch nicht lamentiert werden über die Unschärfe mancher Begriffe. Aber die Erfahrung zeigt: Wenn die Begriffe sich verwirren, beginnt die Unordnung (frei nach Konfuzius). |
Editorial Heft 32/2011: Whistleblowing und MeinungsfreiheitVon Rechtsanwalt Dr. Steffen Scheuer, München
Der EGMR hat mit seinem Kammerurteil vom 21. 7. 2011 (Beschwerdenr. 28274/08) die fristlose Kündigung einer Altenpflegerin wegen einer Strafanzeige gegen ihren Arbeitgeber für ungerechtfertigt erklärt. Die kontroverse Diskussion um das Phänomen des so genannten Whistleblowing, die Offenlegung von Missständen in Unternehmen durch Arbeitnehmer, bekommt damit neuen Schub. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Dennoch stellt sich die Frage nach den Konsequenzen der Entscheidung, die wenig zur Rechtssicherheit beiträgt. Es geht verkürzt um folgenden Fall: Eine Altenpflegerin hatte mehrfach auf mutmaßliche Pflegemängel in einem Altenheim ihres Arbeitgebers hingewiesen. Nachdem dieser hierauf nicht reagierte, erstattete sie Anzeige wegen Betrugs. Ihre Begründung: das Pflegeheim des öffentlichen Unternehmens leiste wissentlich nicht die in seiner Werbung versprochene hochwertige Pflege und gefährde die Patienten. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein, der Arbeitgeber kündigte der Pflegerin fristlos. Anders als zunächst das ArbG wies das LAG Berlin ihre Kündigungsschutzklage rechtskräftig ab (Urt. v. 28. 3. 2006 – 7 Sa 1884/05, BeckRS 2009, 68064). Eine Verfassungsbeschwerde der Altenpflegerin nahm das BVerfG nicht zur Entscheidung an. Der EGMR sah in der Kündigung einen Verstoß gegen die in Art. 10 EMRK garantierte Freiheit der Meinungsäußerung. Der Gerichtshof begründet seine Entscheidung damit, dass die Erstattung der Strafanzeige der Offenlegung von Missständen im Unternehmen gedient habe und als so genanntes Whistleblowing in den Schutzbereich von Art. 10 EMRK falle. Soweit ist die Urteilsbegründung plausibel. Die nachfolgende Argumentation lässt jedoch aufhorchen. Bei der Interessenabwägung hält der EGMR das „öffentliche Interesse an Informationen über Mängel in der institutionellen Altenpflege in einem staatlichen Unternehmen“ für so wichtig, dass es die „Interessen des Unternehmens am Schutz seines Rufes und seiner Geschäftsinteressen“ überwiegen soll. Dieser neue Ansatz befremdet. Sollen Arbeitsgerichte bei der Prüfung von Kündigungssachverhalten künftig prüfen, ob die vom gekündigten Arbeitnehmer geäußerte Meinung von großem, mittlerem oder gar keinem öffentlichen Interesse getragen wird? Gibt es „wertvolle“ und „wertlose“ Meinungsäußerungen und wer entscheidet darüber? Kann – wie der EGMR suggeriert – über ein staatliches Unternehmen eine schärfere Meinung geäußert werden als über ein privatwirtschaftliches? Aus arbeitsrechtlicher Sicht sind diese Fragen mit einem klaren „Nein“ zu beantworten. Whistleblower verdienen Schutz. Der wird dadurch gewährleistet, dass das Grundrecht der Meinungsfreiheit bei der Interessenabwägung adäquat berücksichtigt wird – aber unabhängig von der inhaltlichen Beurteilung. Arbeitsgerichte sollten daher davon absehen, den „Wert“ oder „das Interesse“ an der geäußerten Meinung zu taxieren. |
Editorial Heft 31: Eine Fußnote und ein neuer § 522 ZPOVon Rechtsanwalt beim BGH Dr. Wendt Nassall, Karlsruhe
Am Anfang war eine Fußnote, und die Fußnote war in der NJW (Krüger, NJW 2008, 945 [947 Fußn. 32]). Alle Dinge sind durch dieselbe gemacht, und ohne dieselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist: Am 7. 7. 2011 hat der Bundestag das „Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung“ verabschiedet. Vorbehaltlich der Rechte des Bundesrats aus Art. 77 GG – zustimmungspflichtig ist das Gesetz freilich nicht – wird es spätestens im Herbst dieses Jahres verkündet werden. Dieses Gesetz bringt drei wichtige Änderungen. Sie werden alle gem. Art. 5 des Gesetzes am Tag nach der Verkündung in Kraft treten und damit geltendes Recht sein. Um welche Änderungen geht es? Die erste: § 522 ZPO ist geändert. Gemäß der Neufassung des § 522 III ZPO steht dem Berufungsführer gegen den Beschluss, durch den seine Berufung zurückgewiesen wird, das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre. Das bedeutet: Wird der Berufungsführer durch die Zurückweisung seiner Berufung durch Beschluss mit mehr als 20 000 Euro beschwert, kann er diesen Beschluss mit der Nichtzulassungsbeschwerde anfechten. Und sollte ein Berufungsgericht in seinem Zurückweisungsbeschluss die Revision zulassen – was eigentlich nicht gehen sollte, aber wer außer Palmström ist schon vor unmöglichen Tatsachen gefeit? –, dann steht ihm auch dieses Rechtsmittel offen, und zwar streitwertunabhängig. Das alles gilt nach dem neuen § 38 a EGZPO nicht für die Zurückweisungsbeschlüsse, die noch vor dem Inkrafttreten des Gesetzes erlassen worden sind – zuweilen bestraft das Leben eben die, die zu früh kommen. Die zweite Änderung: § 7 InsO ist aufgehoben. Das bedeutet: Es gibt im Insolvenzverfahren keine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde mehr. Das soll der Entlastung des BGH dienen. Es entlastet aber natürlich nur den für das Insolvenzrecht zuständigen IX. Zivilsenat. Indes hat der Gesetzgeber großes Vertrauen in die Verteilungsgerechtigkeit des kommenden Geschäftsverteilungsplans. Und die dritte Änderung: Die nur provisorisch gedachte Wertgrenze von 20 000 Euro für die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 26 Nr. 8 EGZPO) wird ein weiteres Mal verlängert, diesmal um drei Jahre bis zum 31. 12. 2014. Das bedeutet: Nichts Neues. Die nächste, Mitte 2014 anstehende Verlängerung aber wird den verbleibenden Rechtsphilosophen Anlass geben für ein Kolloquium mit dem Titel: „Die Verewiglichung des Vorübergehenden“ (im Hochgebirge, da ist man nah dran). Bis dahin gilt: Bei Zweifelsfragen fragen Sie Ihre Rechtsanwältin oder Ihren Rechtsanwalt beim BGH (irgendeinen). |
Editorial Heft 30/2011: Frühe Bürgerbeteiligung in PlanungsverfahrenVon Rechtsanwalt Professor Dr. Hans-Jörg Birk, Stuttgart
Die Ereignisse der letzten zwölf Monate um Stuttgart 21 haben in der öffentlichen Wahrnehmung einen Paradigmenwechsel von andauernder Verfahrensbeschleunigung durch Kürzung der Beteiligungsrechte und Rechtsschutzmöglichkeiten zurück zu mehr Bürgerbeteiligung ausgelöst. Ob es dabei bleibt, erscheint nicht sicher, wenn man die gesetzgeberischen Aktivitäten zur Energiewende mit den notwendig werdenden Leitungstrassen samt dem Zeithorizont ihrer Herstellung betrachtet. Das Mehr an Bürgerbeteiligung hat einen verfahrens- und einen materiell-rechtlichen Aspekt. Nur dem Ersteren soll hier nachgegangen werden. Eine Ausweitung der Beteiligung Betroffener und (nur) Interessierter ist angezeigt. In Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahren ist eine einzige Beteiligung vorgesehen. Sie setzt den Beginn des Verfahrens, also die Antragstellung durch den Vorhabenträger (staatliche Stelle oder private Firma), voraus. Der beteiligte Bürger sieht sich einem fertigen und vollständigen Antrag gegenüber, der – sonst gäbe es den Antrag nicht – klare Zielvorstellungen des Vorhabenträgers präsentiert. Damit ist ein erheblicher Informationsnachteil verbunden, was Misstrauen hervorruft. Die kommunale Bauleitplanung ist anders geregelt: Hier beginnt das Verfahren mit einer frühzeitigen Bürgerbeteiligung, in der die Grundzüge der Planung vorgestellt werden. Dieser folgt eine zweite Anhörungsrunde. Vor diesem Hintergrund sollte auch in bedeutsamen Genehmigungsverfahren eine zweistufige Beteiligung eingeführt werden, die vor der Antragstellung mit einem allgemeinen Überblick über das Projekt, dessen Auswirkungen, aber auch über das Genehmigungsverfahren selbst informiert (s. dazu die Vorschläge des Beirats Verwaltungsverfahrensrecht beim BMI, NVwZ 2011, 859). Die Organisation dieser Projektinformation kann durchaus im Sinne einer richtig verstandenen Deregulierung frei gestaltet werden: Sie kann vom Projektträger, von einem Mediator oder auch von einer öffentlichen Stelle durchgeführt werden. Entscheidend sind die Zugänglichkeit der Unterlagen, die die Ziele erläutern, die Möglichkeit auch der mündlichen Information in einer offenen Anhörung und ein Abschlussbericht unter Einschluss abgegebener Stellungnahmen, der mit dem Antrag vorzulegen ist. Durch diese frühe Information können sich Betroffene entweder auf das eigentliche Beteiligungsverfahren vorbereiten oder auf weitere Aktivitäten verzichten. Diese Pflicht zur Projektinformation sollte dem Grunde nach, beschränkt auf die Essenzialen und mit freier Verfahrensgestaltung im VwVfG (s. NVwZ 2011, 859), geregelt werden und nicht in den Fachgesetzen. Letztere lieben ihre Spezialitäten, die zu unterschiedlichen Einzelregelungen führen. Klarheit und Einheitlichkeit im Verfahren sollte das Markenzeichen dieser Projektinformation sein. |
Editorial Heft 29/2011: Verfassungsrechtliche IntegrationsgrenzenVon Rechtsanwalt Carlos A. Gebauer, Duisburg
Das währungspolitische Schicksal des Euro droht den Einigungsprozess der EU insgesamt zu gefährden. Ihre Mitgliedstaaten versuchen, dem entgegenzuwirken und die Finanzstabilität in der Währungsunion zu wahren. Auf europäischer Ebene schuf der ECOFIN-Rat hierzu am 11. 5. 2010 einen europäischen Stabilisierungsmechanismus. Dieser stützt sich auf Art. 122 II AEUV und sieht die finanzpolitischen Turbulenzen eines Mitgliedstaats als ein „außergewöhnliches Ereignis, das sich seiner Kontrolle entzieht“. Die No-Bail-Out-Klausel aus Art. 125 I 2 AEUV wird damit weitgehend konterkariert. Das europäische Vertragswerk und – ihm folgend – das nationale Gesetz setzen damit allerdings einen Prozess in Gang, der so von dem deutschen Verfassungsgeber nie beschlossen wurde. Denn Art. 23 I GG erfordert (noch immer) eine Europäische Union, deren Kompetenzen denen der Mitgliedstaaten subsidiär nachgeordnet sind. Das BVerfG hat nicht zuletzt deswegen klargestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland ein „souverän bleibender Staat“ sein muss (NJW 2009, 2267 – Vertrag von Lissabon). Nur der deutsche Gesetzgeber selbst kann diese Integrationsgrenzen wahren (vgl. Kube/Reimer, NJW 2010, 1911 [1916]). Handelt es sich bei alledem nur um akademische Fragen ohne konkret normative Bezüge? Das Gegenteil ist der Fall – nicht nur wegen der schieren Größe aller genannten Summen und den daraus folgenden Konsequenzen. Die nun beschleunigt betriebene europäische Integration hat eine Verfassungsrelevanz, die all jene Juristen beschäftigen muss, die zu ihrem Berufsantritt dem Grundgesetz die Treue geschworen haben. Wie weit diese Verfassungsrelevanz geht, zeigt die Forderung aus dem EU-Parlament, das Grundgesetz müsse notfalls geändert werden, sofern das BVerfG in den Verfahren 2 BvR 987/10, 1099/10 und 1485/10, in denen am 5. 7. in Karlsruhe mündlich verhandelt wurde, auf einen Verfassungsverstoß erkennen sollte. Wozu genau hat sich der Jurist unter dem Grundgesetz qua Eid verpflichtet? Ist der Treueschwur dynamisch in dem Sinne, dass er jede derartige Verfassungsänderung schon antizipiert, bis hin zur Schaffung eines autonomen Gouverneursrats mit |
Editorial Heft 28: Scheu vor dem Großen Senat – Warum?Von Rechtsanwalt Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Gleiss Lutz, Stuttgart
Zwei Juristen – drei Meinungen: Diese Redewendung füllt sich für einen Jurastudenten schon in den ersten Semestern des Studiums schnell mit Leben. „Herrschende Meinung“ und „Mindermeinung“ werden zu wichtigen Begriffen. Der Repetitor lehrt, es komme in der Praxis meist nur auf die Meinung „der Rechtsprechung“ an. Weit gefehlt! Die Meinungsvielfalt in der Rechtsprechung ist oft nicht geringer als in der Literatur. Woran liegt das? Teilweise sind Rechtsmittel nicht zulässig, so etwa im einstweiligen Rechtsschutz. Das notorische Beispiel im Arbeitsrecht ist die Frage, ob der Betriebsrat eine Betriebsänderung im Wege der einstweiligen Verfügung stoppen kann, wenn er nicht ordnungsgemäß beteiligt worden ist. Die Antwort hängt davon ab, in welchem LAG-Bezirk der Betrieb liegt, obwohl das Betriebsverfassungsgesetz in ganz Deutschland gilt! Aber auch dort, wo die Streitigkeiten zu den obersten Bundesgerichten gelangen, ist nicht unbedingt für Rechtssicherheit gesorgt. Deutschland leistet sich den Luxus fünf verschiedener Gerichtsbarkeiten. Es lässt sich allerdings nicht bestreiten, dass die damit verbundene Spezialisierung auch zu einer höheren Qualität der Rechtsprechung beiträgt. Problematisch in der täglichen Praxis ist hingegen die Tatsache, dass selbst innerhalb der obersten Gerichtshöfe Meinungsverschiedenheiten gepflegt werden. Das BAG scheint von dieser (Un-)Sitte besonders betroffen zu sein. Seine zehn Senate verfolgen in manchen höchst praxisrelevanten Fragen keine einheitliche Linie. So sind etwa der 5. und der 9. Senat unterschiedlicher Auffassung über die Auswirkungen der durch die Schuldrechtsreform 2002 eingeführten arbeitsrechtlichen AGB-Kontrolle auf Alt-Verträge. Während der 5. Senat dem Arbeitgeber beim Widerruf von Entgeltbestandteilen mit ergänzender Vertragsauslegung zu Hilfe kommt (BAG, NJW 2005, 1820 und NJW 2011, 2153 [im nächsten Heft]), ist der 9. Senat strenger und verlangt reichlich unrealistisch, dass der Arbeitgeber versucht hat, den Arbeitsvertrag an die neue Rechtslage anzupassen (BAG, NZA 2007, 809 und NJW 2011, 1469). Damit stellt sich die Frage, warum im Interesse der Rechtssicherheit und Transparenz kein gemeinsamer Nenner gefunden werden kann. Sollte etwa Rechthaberei im Wege stehen? Handelt es sich um eher zweitrangige Rechtsprobleme, müsste es doch möglich sein, dass sich die Mitglieder der verschiedenen Senate aufeinander zu bewegen, um eine Lösung zu finden. Bei nicht überbrückbaren Diskrepanzen, wenn es etwa um fundamentale arbeitsrechtliche Weichenstellungen geht, bietet sich dagegen im Interesse einer einheitlichen Rechtsprechung an, den Großen Senat nach § 45 ArbGG anzurufen. Dass von dieser Möglichkeit zu selten Gebrauch gemacht wird, ist unverständlich. |
Editorial Heft 27: Verbesserte NJW nach LeserbefragungVon Rechtsanwalt Tobias Freudenberg, NJW-Schriftleitung, Frankfurt a. M.
In der vergangenen Woche haben wir mit Heft 26 und dem Halbjahresregister I/2011 den ersten Halbjahresband der NJW abgeschlossen. Mit dieser Ausgabe starten wir in die zweite Hälfte des 64. Jahrgangs. Dies ist Anlass für ein Editorial in eigener Sache. In der ersten Jahreshälfte haben wir eine umfassende Leserbefragung durchgeführt. Viele Leserinnen und Leser haben sich daran beteiligt und uns auf diesem Wege konstruktive Kritik, wertvolle Anregungen und ganz konkrete Verbesserungsvorschläge zukommen lassen. Den vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern sei hierfür ganz herzlich gedankt. Die Hinweise greifen wir bei der weiteren Optimierung des redaktionellen Angebots gerne auf. Ab dieser Ausgabe werden bereits erste Änderungen umgesetzt. Dem mehrfach geäußerten Wunsch nach einer verbesserten Leserführung kommen wir mit einem neu strukturierten Inhaltsverzeichnis nach. Die Doppelseite ist übersichtlicher gestaltet und gewichtet die Inhalte auch optisch mehr als bisher nach ihrer Relevanz. Kurze Inhaltsangaben zu den Aufsätzen verbessern den Informationsgehalt des Inhaltsverzeichnisses. Auch auf die Hinweise, das NJW-Layout vertrage etwas Modernisierung, reagieren wir. In einem ersten Schritt haben wir NJW-aktuell großzügiger gestaltet und damit die Lesbarkeit dieses Heftteils deutlich verbessert. Nach den Ergebnissen der Leserbefragung hat die Dokumentation der Rechtsprechung in der NJW weiterhin einen sehr hohen Stellenwert – obwohl viele Judikate inzwischen im Internet als Volltextdokumente zur Verfügung stehen. Geschätzt wird vor allem die fachkundige Auswahl der wichtigen und praxisrelevanten Entscheidungen, die wir daher auch weiterhin mit großem redaktionellem Aufwand betreiben. Weiter ausbauen werden wir auf vielfachen Wunsch das Angebot an weiterführenden Informationen zur aktuellen Judikatur. Dies wird bereits in dieser Ausgabe sichtbar: Auf die Grundsatzentscheidung des BGH zur Grundbuchfähigkeit der GbR haben wir sogleich reagiert – Kesseler zeigt in seinem Aufsatz die praktischen Konsequenzen des Beschlusses auf (S. 1909). Die Rubrik „Zur Rechtsprechung“ enthält diesmal zwei Beiträge (Spindler, S. 1920 und Peglau, S. 1924). Hinzu kommen zwei Anmerkungen im Rechtsprechungsteil (Gutzeit, S. 1962 und Grothe, S. 1965). Kurze Besprechungen zu weiteren praxisrelevanten Entscheidungen finden sich wie gewohnt im kompakten Schnelldienst NJW-Spezial – Heft 13/2011 liegt dieser NJW bei. An weiteren Verbesserungen der NJW im Sinne der Leserinteressen arbeiten wir derzeit intensiv. Anregungen und kritisches Feedback sind uns dabei auch außerhalb von Leserbefragungen sehr herzlich willkommen ( ). |
Editorial Heft 26: OLG-Abschaltung auf Pfälzische Art!Von Rechtsanwalt Justizrat Friedrich Jansen, Präsident der RAK Koblenz
Die rot-grüne Regierungskoalition in Rheinland-Pfalz hat mit knappen Worten die Auflösung des OLG Koblenz und seine „Überführung nach“ Zweibrücken bzw. euphemistisch seine „Zusammenführung mit“ dem OLG Zweibrücken verkündet. Die Entscheidung kommt einem Urteil gleich, das nur aus einem Tenor besteht und weder Tatbestand noch Entscheidungsgründe kennt – sie ergeht ohne Vorwarnung, ohne seriöse Bestandsaufnahme, ohne Analyse, ohne Anhörung und/oder Beteiligung der Betroffenen, Transparenz lässt grüßen. Rechtsmittel scheinen form-, frist- und fruchtlos. Der politische Wille wird schlicht vollstreckt. Was sind die Fakten? Am OLG Koblenz sind 60 Richter beschäftigt, außerdem 86 Beamte und sonstige Beschäftigte. Zum OLG-Bezirk gehören die Landgerichte Bad Kreuznach, Koblenz, Mainz und Trier sowie 31 Amtsgerichte. An den Gerichten des Bezirks sind 490 Richter tätig sowie 2053 Personen im nichtrichterlichen Dienst. Hinzu kommen 3300 zugelassene Rechtsanwälte. Im OLG-Bezirk Zweibrücken sind hingegen insgesamt nur 1389 Personen in der Justiz tätig, darunter 261 Richter. Die RAK Zweibrücken hat 1200 Mitglieder. Die Fallzahlen des OLG Koblenz für 2010 lauten: 2388 Zivilsachen, 1968 Familien- und 1312 Strafsachen. Tendenz: steigend. Das OLG Koblenz erledigt zudem in zentraler Zuständigkeit das Bewerbungs- und Einstellungsverfahren für Referendare sowie das Bewerbungs- und Einstellungsverfahren nebst Aus- und Fortbildung für den gesamten mittleren Dienst. Mit dem OLG soll auch die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz nach Zweibrücken umziehen. Erst im Februar 2011 ist sie in ein neues, aufwändig mit allen technischen Errungenschaften ausgestattetes Justizzentrum eingezogen. Begleitet wurde die Einweihung – nur wenige Wochen vor der Landtagswahl – von euphorischen Politikerworten zur Stärkung des Justizstandorts Koblenz. Die Staatsanwaltschaft Koblenz, die ein Drittel der in ganz Rheinland-Pfalz angesiedelten Verfahren bearbeitet und bei der Arbeitsbewältigung den unmittelbaren Kontakt zu der Generalstaatsanwaltschaft nutzen kann, wird sich – wie die erstinstanzlichen Gerichte – auf einen zeit- und kostenaufwändigen Dienstverkehr mit Zweibrücken, das an der südlichen Randlage von Rheinland-Pfalz gelegen ist, einrichten müssen. Gleiches gilt für den rechtsuchenden Bürger, der nun Entfernungen von 150 bis 200 km zu bewältigen haben wird. Bei dieser Faktenlage den OLG-Sitz nach Zweibrücken zu verlegen, stellt die Dinge von den Füßen auf den Kopf, vergleichbar einem Regierungsbeschluss, der Rhein möge ab sofort andersherum fließen. Müsste bei dieser Logik nicht auch das OLG München mit dem OLG Bamberg zusammengeführt werden – mit Sitz in Bamberg wohlgemerkt? Vertrauen ist der Stoff, aus dem die Akzeptanz für politische Entscheidungen wächst, nicht hartnäckiges Festhalten an Fehlentscheidungen. Keine Regierung kann auf Dauer gegen die Akzeptanz durch ihre Bürger regieren. Die Anwaltschaft ist daher hartnäckig optimistisch, dass sich die Vernunft durchsetzt und dass die Koalition, statt es besser zu wissen, es besser machen wird. |
Editorial Heft 25: AGG in Schiedsverfahren – eine Glaubensfrage?Von Rechtsanwalt Dr. Markus Burianski, LL.M., Frankfurt a. M.
Im Wirtschaftsverkehr enthalten viele Verträge Schiedsvereinbarungen. Die außergerichtliche Streitbeilegung in einem geordneten Verfahren hat für die Parteien viele Vorteile gegenüber Auseinandersetzungen vor staatlichen Gerichten. Doch jetzt herrscht Unruhe in der Schiedsszene. Antidiskriminierungsregeln könnten zahlreiche Schiedsvereinbarungen zu Fall bringen, so die Befürchtung. Der Grund für die Verunsicherung ist eine Entscheidung des Londoner Court of Appeal. Er hat die Schiedsvereinbarung in einem Joint Venture-Vertrag für unwirksam erklärt, weil nach der Regelung die Schiedsrichter ismailitischen Glaubens sein mussten. Schiedsverträge fielen in den Anwendungsbereich des englischen Umsetzungsakts der vier EU-Gleichbehandlungsrichtlinien, die auch dem AGG zu Grunde liegen. Eine Rechtfertigung scheide aus, weil es keinen sachlichen Grund gebe, warum Schiedsrichter dieses Glaubens besonders geeignet seien, den Streit um einen Joint Venture-Vertrag nach englischem Recht zu lösen. Das ist kein exotischer Sonderfall. Diskriminierung ist in Schiedsverfahren an der Tagesordnung. Schiedsvereinbarungen stellen häufig Anforderungen an Schiedsrichter, etwa dass der Vorsitzende Volljurist sein muss oder – wie in der Schiedsordnung der international anerkannten Schiedsorganisation ICC – einer anderen Staatsangehörigkeit angehören muss als die Parteien. Steht auch das deutsche AGG solchen Schiedsvereinbarungen entgegen? Immerhin enthält es ein Benachteiligungsverbot zu Gunsten von Selbstständigen und deren Zugang zur Erwerbstätigkeit. Laut Gesetzesbegründung können etwa auch Werkverträge bei richtlinienkonformer Auslegung als Erwerbstätigkeit zu qualifizieren sein. Richtig ist, dass Schiedsrichter eine Erwerbstätigkeit im Sinne der Richtlinien und des AGG ausüben und der „Zugang zur Erwerbstätigkeit“ betroffen ist. Anders als der Glaube sind Nationalität oder eine bestimmte berufliche Qualifikation aber regelmäßig keine verbotenen Diskriminierungskriterien – auch nicht mittelbar. Hierfür fehlt es an einem Kausalzusammenhang zwischen dem Unterscheidungsmerkmal und verbotenen Diskriminierungskriterien. Jedenfalls aber ist es sachlich gerechtfertigt, von Schiedsrichtern fallbezogene Qualifikationen und formelle Neutralität zu verlangen. Immerhin sind Sachkunde und Neutralität zwei wesentliche Gründe, warum Parteien Schiedsverfahren vereinbaren. Das Verfahren in London geht derweil in die nächste Runde. Der englische Supreme Court hat am 6. und 7. 4. 2011 über die Revision verhandelt. Unabhängig vom Ausgang wird die derzeitige Rechtsunsicherheit aber andauern: Sofern es bei der Entscheidung auf die Auslegung der EU-Richtlinien ankommt, müsste der Supreme Court ein Vorlageverfahren zum EuGH einleiten. Klarheit würde dann frühestens 2012 geschaffen. |
Editorial Heft 24/2011: Steuerrechtsprechung – Die Geister, die ich riefVon Vizepräsident des FG Saarland Professor Dr. Peter Bilsdorfer, Saarbrücken
Instanzgerichte machen die Erfahrung zur Genüge: Trotz überzeugender Gegenargumente gelingt es nicht, eine über Jahre praktizierte Rechtsprechung eines Bundesgerichts zu „kippen“. Doch manchmal kommt plötzlich die Kehrtwende: Das Obergericht neigt sich nach jahrelangem Standhalten in die andere Richtung. Wie jetzt geschehen beim BFH. Dieser hält an seiner ständigen (will heißen: seit 1980 verfochtenen) Rechtsprechung nicht mehr fest. Danach bedurfte es bei der Abgrenzung von Krankheitskosten – sie stellen außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG dar – und nur gesundheitsfördernden Vorbeuge- und Folgekosten (etwa für eine Badekur auf Ibiza) eines vor Beginn der Maßnahme erstellten amts- oder vertrauensärztlichen Gutachtens, um zur steuerlichen Anerkennung zu gelangen (anders jetzt BFH, NJW 2011, 1101). An der früheren Rechtsprechung hatten diverse Finanzgerichte lange Zeit „gerüttelt“ (etwa FG Saarland, EFG 2003, 1787 = BeckRS 2003, 26015180;FG Niedersachsen, EFG 1999, 165; FG Rheinland-Pfalz, EFG 1993, 675). Dabei hat möglicherweise auch der Gedanke eine Rolle gespielt, dass es schwer nachvollziehbar ist, etwa von den Eltern eines behinderten Kindes vor Antritt einer Delphintherapie einen Besuch beim Amtsarzt zu verlangen. Nur wenn sie das taten, konnte bisher der Steuerabzug gelingen. Dem BFH dürfte es geholfen haben, dass die neue Sichtweise – und nur sie – im Einklang mit den Grundsätzen des Prozessrechts steht, vor allem mit dem Prinzip der freien Beweiswürdigung. Es gibt eben – außerhalb gesetzlicher Regelungen – keine Beweismittelbeschränkung. Und weiter gedacht: Es kann sein, dass die jetzt vollzogene Kehrtwende auch zum Nachdenken in anderen steuerlichen Fragen Anlass bietet. Warum etwa soll die Frage, ob eine steuerlich zu berücksichtigende Unterhaltszahlung ins Ausland vorliegt, speziellen Beweisregeln unterliegen (BFH, BFH/NV 1991, 229)? Warum muss im Bereich der steuerlichen Geschäftsführerhaftung bei einer Verteilung der Geschäfte einer GmbH auf mehrere Geschäftsführer diese auf einer vorweg getroffenen, eindeutigen – und deshalb schriftlichen – Klarstellung beruhen (BFH, BFH/NV 1998, 1460)? Warum reicht eine nicht schriftlich fixierte, aber nachgewiesene mündliche Absprache nicht auch aus? Insoweit wird die Rechtsprechung nicht gerade einfacher. Denn es muss umfassender aufgeklärt werden. Die Steuerpflichtigen dürfte es freuen. Denn sie können sich erst einmal um das Wesentliche kümmern, nämlich ihre Gesundheit. Der Besuch beim Amtsarzt tritt zurück. |
Editorial Heft 23/2011: Persönlichkeitsschutz trotz PlagiatVon Fachanwalt für Verwaltungsrecht Prof. Dr. Wolfgang Ewer, Kiel, Mitherausgeber der NJW
Es ist eine Binsenweisheit, dass das Verwaltungsverfahren mit Eintritt der Bestandskraft des Verwaltungsakts endet. Im Fall von Karl-Theodor zu Guttenberg hatte die Universität Bayreuth am 23. 2. 2011 die Rücknahme der Verleihung des Doktorgrades beschlossen. Da zu Guttenberg gegen diese Entscheidung kein Rechtsmittel einlegte, ist sie nach Ablauf eines Monats bestandskräftig geworden. Hierdurch fand nicht nur das Verwaltungsverfahren ein Ende, sondern auch die Befugnis der Universität zu jedweden weiteren Ermittlungen gegen zu Guttenberg. Zwar durfte die Hochschule weiterhin untersuchen, welche allgemeinen Folgerungen aus dem Fall für die künftige rechtliche Ausgestaltung und praktische Handhabung von Promotionsverfahren ableitbar sind. Indessen fehlte es ab dato an jedweder Rechtsgrundlage für weitere personenbezogene Ermittlungen. Daher erstaunt es, dass die Universität Bayreuth gleichwohl nicht nur ausführliche Recherchen zur Frage individuellen wissenschaftlichen Fehlverhaltens durchführte, sondern dieses zudem bewertete und schließlich die gesamten Ergebnisse – und nicht etwa nur die für die künftige Promotionspraxis hieraus abgeleiteten systemischen und strukturellen Konsequenzen – der Öffentlichkeit zugänglich machte. Da sowohl die personenbezogenen Ermittlungen und die Bewertung des individuellen Verhaltens als auch die öffentliche Bekanntgabe einen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht darstellen, hätte es in beiderlei Hinsicht einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedurft. Diese ist nicht ersichtlich. Die vom Senat erlassenen „Regeln zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten an der Universität Bayreuth“ scheiden insoweit aus. Zum einen sind diese bestenfalls Satzungsrecht. Zum anderen stand zu Guttenberg seit dem bestandskräftigen Abschluss des Rücknahmeverfahrens nicht mehr in einer Sonderrechtsbeziehung zur Universität und unterlag daher auch nicht mehr ihren Regularien. Zwar mag sich die Universität bezüglich der Veröffentlichung des Abschlussberichts auf die Zustimmung zu Guttenbergs berufen können. Für die weit zuvor begonnenen personenbezogenen Ermittlungen dürfte dies indessen schwerlich gelten. Und im Übrigen: Hatte er eine realistische Alternative, die ihm abverlangte Zustimmung zu verweigern? Die Universitäten, die im Promotionswesen völlig zu Recht auf einer strikten Einhaltung aller geltenden Rechtsvorschriften bestehen, sollten aus der Causa zu Guttenberg lernen. In den gegen weitere Prominente laufenden Prüfungsverfahren sollten sie die sich aus dem Grundrechtsschutz ergebenden Anforderungen penibel erfüllen – auch wenn der Druck der sensationshungrigen Öffentlichkeit groß ist. |
Editorial Heft 22/2011: Signal EuropaVon Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Jürgen Rabe, Berlin
Der Deutsche Anwaltstag in Straßburg! Es war eine kluge, Vergangenheit bedenkende und in die Zukunft weisende Entscheidung des Vorstands des Deutschen Anwaltvereins, die Einladung der Straßburger Anwaltschaft anzunehmen und den 62. Deutschen Anwaltstag in Straßburg stattfinden zu lassen. Anwaltstag in Straßburg – ein Zeichen für deutsch-französische Zusammenarbeit und Freundschaft. Churchill hat in seiner berühmten, den Beginn der europäischen Integration markierenden Rede in der Universität Zürich am 19. 9. 1946 gesagt, der erste Schritt zur Neuerschaffung der europäischen Familie müsse eine Partnerschaft zwischen Frankreich und Deutschland sein. „There can be no revival of Europe without a spiritually great France and a spiritually great Germany“, fuhr er fort. Eine kluge Voraussicht, die sich bewahrheitet hat. Anwälte aus beiden Ländern haben ihren Beitrag geleistet. Auch der DAV entwickelte bald nach dem Zweiten Weltkrieg freundschaftliche Beziehungen zur französischen Anwaltschaft. Frucht war unter anderem eine heute in Vergessenheit geratene, über Jahre gepflegte Einrichtung, die den Austausch von jungen Angehörigen deutscher und französischer Anwaltsfamilien während der Ferien vermittelte. Kennen führt zu Verstehen, Verstehen führt zu Zusammenarbeit, Zusammenarbeit führt zu Freundschaft. Anwaltstag in Straßburg – ein Zeichen für Europa. Straßburg war nach dem Zweiten Weltkrieg dazu prädestiniert, zum Wiederaufbau Europas einen wesentlichen Beitrag zu leisten. Die Stadt wurde zum Sitz des Europarats, der kurze Zeit nach seiner Gründung die Europäische Menschenrechtskonvention verabschiedete. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat hier seinen Sitz. In Straßburg nahm 1958 das Europäische Parlament seine Arbeit auf. In Straßburg atmet man Europa. Anwaltstag in Straßburg – ein Zeichen für die Arbeit an einer gemeinsamen Rechtsordnung. Das Europäische Gemeinschaftsrecht hat das nationale Recht in weit stärkerem Maße durchdrungen und überlagert, als dies gemeinhin angenommen wird. Anwälte müssen weithin Europarecht auffinden und bei der Beratung und Prozesstätigkeit anwenden. So schrieb ich vor 20 Jahren im Anwaltsblatt. Das umfangreiche Fachprogramm des Anwaltstags reflektiert dies. Themen des Europarechts, des grenzüberschreitenden Rechtsverkehrs dominieren. Die Beteiligung unserer französischen Kolleginnen und Kollegen als Referenten in den Sitzungen der Ausschüsse und Arbeitsgemeinschaften des DAV ist beeindruckend. Dieser Anwaltstag wird ein weiterer Baustein des Rechtshauses Europa sein. Vielleicht sogar mehr. Mein vorstehendes Zitat aus dem Anwaltsblatt 1991 entstammt einem Vortrag mit dem Titel „Gemeinschaftsrecht in der Anwaltspraxis“, den ich im Februar 1991 auf dem 1. Europäischen Anwaltskongress in Brüssel gehalten habe. Es war bisher auch der letzte. Wird 20 Jahre nach dem Brüsseler Anwaltskongress der Deutsche Anwaltstag in Straßburg Anstoß sein, den Gedanken Europäischer Anwaltstage wieder aufzunehmen? Je l’ espère – ich hoffe es. |
Editorial Heft 21: Rote Linien im DatenschutzVom Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Peter Schaar, Bonn/Berlin
Innerhalb weniger Tage schafften es verschiedene Datenschutzaffären in die Schlagzeilen der Tagespresse. Jeder Vorfall für sich war ein Skandal. Zusammen enthüllen sie ein strukturelles Problem: Die Ortung von Smartphones der Firma Apple, das Datenleck beim PlayStation-Produzenten Sony und die Abrufbarkeit von Bewerberdaten bei der UNESCO haben verdeutlicht, dass eine immer unübersichtlichere IT-Landschaft erhebliche Risiken für personenbezogene Daten und die Privatsphäre mit sich bringt. Je umfangreicher die Datensammlungen sind und je komfortabler über das Internet auf sie zugegriffen werden kann, desto größer ist das Risiko, dass Sicherheitslücken übersehen und damit das Nutzerverhalten heimlich registriert werden kann. Auch wenn die Verantwortlichen dieser Datenschutzverstöße ihren Hauptsitz außerhalb Europas haben, sind hier viele Bürgerinnen und Bürger betroffen. Im Internetzeitalter können nationale Steuerungs- und Regelungsversuche nur begrenzt Wirkung entfalten. Dennoch wäre es völlig falsch, den Kopf in den Sand zu stecken. Moderner Datenschutz muss aber von vornherein die internationale Dimension berücksichtigen. Verbindliche internationale Datenschutzstandards könnten gewährleisten, dass inner- und außereuropäische Unternehmen dieselben Datenschutzvorgaben zu beachten haben. Auch auf nationaler Ebene machen Datenschutzinnovationen Sinn: Neue Regeln, etwa zur Gewährleistung von Transparenz und zur Vermeidung der heimlichen Zusammenführung persönlicher Daten zu umfassenden Profilen, können auf die europäische und internationale Ebene ausstrahlen. Dabei geht es etwa um das vom vormaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière angekündigte „Rote-Linie“-Gesetz. Dessen Strahlkraft ist aber noch sehr gering, denn ein diskussionsfähiger Entwurf wurde bisher nicht vorgestellt. Immerhin hat die nationale Debatte auch Brüssel erreicht: Die Europäische Kommission will nun bis zum Herbst einen neuen Entwurf der Datenschutzrichtlinie 95/46/EG vorstellen. Über die Formulierung rechtlicher Vorgaben hinaus muss moderner Datenschutz weitere Handlungsoptionen erschließen. Dies gilt vor allem für die Verankerung des Datenschutzes in den technologischen Systemen selbst, und zwar zu einem möglichst frühen Zeitpunkt der Systementwicklung (sog. „privacy by design“). Technologischer Datenschutz strebt dabei die Minimierung des (personenbezogenen) Datenaufkommens, datenschutzfreundliche Voreinstellungen von Produkten und Diensten sowie eine möglichst weitgehende Kontrolle des Nutzers über seine Daten an. Rote Linien brauchen wir im Datenschutzrecht und in technischen Systemen. Rote Linien sollten übrigens auch die Bürgerinnen und Bürger kennen, wenn sie wieder aufgefordert werden, ihre Daten preiszugeben. |
Editorial Heft 20/2011: Europas Juristen treffen sich in LuxemburgVon Professor Dr. Martin Henssler, Köln
In der Zeit vom 19.–21. 5. 2011 findet der Europäische Juristentag in Luxemburg statt – ein Grund für jeden rechtspolitisch interessierten Juristen, sich in die Europäische Residenz des Rechts zu begeben. Nach der Pilotveranstaltung des Jahres 2001 in Nürnberg und den Kongressen in Athen (2003), Genf (2005), Wien (2007) und Budapest (2009) ist es nun schon der 6. Europäische Juristentag. Wieder wird es darum gehen, die Rechtserfahrungen der Juristen aus allen Ländern der EU mit ihren sehr unterschiedlichen Rechtskulturen für die europäische Rechtsentwicklung nutzbar zu machen. Der Luxemburger Juristentag bildet aus verschiedenen Gründen einen Höhepunkt für die noch junge Einrichtung: Er bindet zum einen den EuGH und die europäischen Organe in die Europäischen Juristentage ein und ist auf Grund der Nähe des Luxemburgischen Rechts zum Französischen Recht zugleich ein Schritt, um auch den romanischen Rechtskreis für die Juristentagsidee zu gewinnen. Denn die Länder dieses Rechtskreises kennen ebenso wie diejenigen des angelsächsischen Rechts keine berufsübergreifenden juristischen Organisationen. Der Charme einer Vereinigung, die sich als unabhängig, nur dem juristischen Sachverstand verpflichtet und zugleich als Rechtsgewissen Europas versteht, muss daher den Juristen dieser Länder erst nahegebracht werden. Ein Beitrag zu einer erfolgreichen Zukunft der Europäischen Juristentage ist die Luxemburger Tagung vor allem deshalb, weil die glänzend ausgewählten Themen jeden europäischen Juristen ansprechen. Aus der Sicht des Deutschen Juristentags entspricht es einer glücklichen Fügung, dass das wirtschaftsrechtliche Thema des Berliner Jubiläumsjuristentags 2010 nun auf der europäischen Ebene weiterdiskutiert wird. Die Abteilung I stellt die vielfältigen Facetten des europäischen Rechts der Finanzregulierung auf den Prüfstand, etwa den Stabilitätspakt sowie die europäische Solidarität bei Zahlungsunfähigkeit eines Mitgliedstaats und den Schutz der Kapitalanleger. Hochaktuell und bewusst interdisziplinär ausgerichtet ist auch das Thema der II. Abteilung „Grundrechte“. Nicht nur die Verfassungsrechtler, sondern ebenso die Straf- und Zivilrechtler dürfen sich angesprochen fühlen, zählt doch die – neben vielen anderen Aspekten – behandelte Drittwirkung der europäischen Grundrechte zu den aktuell unter Arbeitsrechtlern kontrovers diskutierten Rechtsfragen. Auch das Thema III „Informationsrecht in einem grenzüberschreitenden und europäischen Kontext“ betrifft verschiedene Rechtsdisziplinen. Hier wird nicht der in Abteilung II mitbehandelte Datenschutz im Vordergrund stehen, sondern der Konflikt zwischen freiem Zugang zu Informationen einerseits und dem Schutz des geistigen Eigentums – etwa bei einer kommerziellen Nutzung der Informationen – andererseits. Es wäre schön, wenn viele deutsche Juristen ihren Erfahrungsschatz in die Diskussionen des 6. Europäischen Juristentags einbringen würden. Es lohnt sich! |
Editorial Heft 19/2011: Planungsrecht 21Von Professor Dr. Martin Burgi, Bochum
Der Schlichterspruch von Heiner Geissler hat Reformen im Planungsrecht angemahnt und eine bislang als eher spröde empfundene Materie in das Rampenlicht politischer wie medialer Foren katapultiert. Die Reformvorschläge häufen sich, Tagungen und Gesetzentwürfe nehmen dieses und jenes auf, schon läuft alles im Galopp. Manch einer fordert etwas, das es schon gibt. Wo solche Kräfte walten, tut Vergewisserung not: Das Verwaltungsverfahrensrecht ist beklagenswert zersplittert, übrigens nicht nur bei der Planfeststellung, sondern auch bei Genehmigung und Anzeige. Dies liegt unter anderem daran, dass wiederholt politische Ziele in den Fachgesetzen (etwa die Beschleunigung) bzw. in eigens geschaffenen Sondergesetzen (wie das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz) realisiert wurden. Der richtige Ort für das richtige Maß zwischen mehr Verfahrenseffizienz und mehr Verfahrensteilhabe sind aber die Verwaltungsverfahrensgesetze, und darauf sollten sich die jetzt entfachten Diskussionen von vornherein konzentrieren. Dabei müssen Defizite behoben werden, auf die schon seit Längerem und von vielen hingewiesen wird, unter anderem beim Umgang mit der Bürger- und Öffentlichkeitsbeteiligung. Nicht zuletzt das Europarecht hat uns gelehrt, dass das Verwaltungsverfahren zwar stets und vor allem, aber eben nicht „nur“ dem Erlass rechtmäßiger Sachentscheidungen dient; auch Transparenz und Akzeptanz können Verfahrenszwecke sein. Dass die Nutzung der netzbasierten Kommunikationsforen ausbaufähig ist, liegt ebenfalls auf der Hand; das „Planungsrecht 21“ wird daher auch ein „Planungsrecht 2.0.“ sein müssen. Mit Blick auf die Akteure sind in mehrfacher Hinsicht Differenzierungen nötig. Weder dürfen Betroffene und allgemeine Öffentlichkeit in einen Topf geworfen werden noch große, unmittelbar staatliche Vorhabenträger (wie die Straßenbauverwaltung) mit öffentlichen Unternehmen (wie die Deutsche Bahn) oder gar mit privatwirtschaftlichen Unternehmen. Zu rechnen ist auch mit Forderungen nach einer verfahrensmäßigen Erfassung der Interessen späterer Nutzerinnen und Nutzer, etwa über die Beteiligung von Organisationen wie dem ADAC. Was schließlich die Zuständigkeiten der verschiedenen Behörden betrifft (etwa Anhörungsbehörde, Planfeststellungsbehörde oder gar Vorhabenträgerbehörde), ist auf Rollenklarheit zu achten, während von der Einschaltung externer Personen (an verantwortlicher Stelle) jedenfalls kein Zuwachs an demokratischer Legitimation erwartet werden kann. Mediation und Ausübung von Verfahrensherrschaft dürfen nicht vermischt werden. Am Ende darf nicht die Vervielfachung von Beteiligungsmöglichkeiten, sondern muss deren Abstufung und Verknüpfung stehen. Klingt wieder spröde – „nicht wahr“? |
Editorial Heft 18/2011: Kontinentales Recht mit PrognosezertifikatRechtsanwalt beim BGH Prof. Dr. Norbert Gross, Docteur en Droit, Karlsruhe
Es ist gewiss ein Fortschritt, wenn deutsche und französische Berufsverbände der Richter, Rechtsanwälte und Notare an einem Strang ziehen und die durchaus sichtbaren Vorzüge des kontinentalen Rechts preisen. Dass dies in Hochglanzbroschüren und auch in englischer Sprache geschieht, belegt, dass es nicht um trockene Wissenschaft, sondern um Werbung geht. Werbung für kontinentales Recht ist zugleich Abwerbung vom Common Law. Zwei Bemerkungen drängen sich auf: Gibt es dieses kontinentale Recht? Geworben wird für ein eigentümliches Duo, nämlich die unter dem Sammelbegriff „kontinentales Recht“ plötzlich vereinigten deutschen und französischen Rechtsordnungen, die man allerdings nicht wählen kann, sondern innerhalb derer man vielmehr auswählen muss: zwischen Law Made in Germany, wie das Werbeschlagwort einer früheren Initiative für das deutsche Recht hieß, und einem blau-weiß-roten Code civil. Geworben wird also nicht für eine konkrete Rechtswahl, sondern für ein abstraktes Prinzip. Allerdings sollte auch Werbung für abstrakte Prinzipien richtig und nicht irreführend sein. Dass bereits die Lektüre der Gesetzestexte den Ausgang von Streitfällen vorauszusehen erlaubt, das Gesetz also ein forensisches Prognosezertifikat darstellt, liest sich wie ein Manifest aus der idealistischen Jugendzeit aller kodifizierten Rechte. Auf Seite vier der Broschüre heißt es: „Dank der Kodifikation ist das kontinentale Recht ein für Jedermann zugängliches Recht: Der Bürger – gleichgültig, ob Unternehmer oder Verbraucher – kann bereits durch die Lektüre der Gesetzestexte das für ihn geltende Recht klar und eindeutig feststellen. Durch die Verwendung von einfachen und allgemein gültigen Begriffen sind die gesetzlichen Vorschriften leicht verständlich. Die daraus resultierende große Rechtssicherheit stellt einen bedeutenden Vorteil für den Bürger dar, weil sie erlaubt, den Ausgang von Streitfällen vorauszusehen und die finanziellen Risiken einer gerichtlichen Klage einzuschätzen.“ (Hervorhebungen durch den Autor) Seit Jahrhunderten wissen wir – vielleicht sogar der umworbene Leser –, dass nichts falscher ist als dieser Vollständigkeitswahn, der die Lücke im Gesetz, die Rechtsfortbildung, die Grundsatzfrage und die Rechtsprechungsdivergenz, kurz: die tägliche Praxis leugnet, den Gesetzgeber von § 543 II ZPO und aller anderen Prozessordnungen Lügen straft und bei so viel gesetzlicher Klarheit und Eindeutigkeit Revisionsgerichte eigentlich für überflüssig halten müsste. Hochglanzwerbung für ein Kodifikations-Duo, das seinerseits in Wettbewerb zueinander steht und das zudem irreführend auftritt, verfehlt ihren Zweck. |
Editorial Heft 17/2011: Salvatorisches unter SonstigesVon Rechtsanwalt Dr. Frank Mitzkus, Hamburg
Täglich entwerfen Juristen Verträge. Vertragsgegenstand, Leistung, Gegenleistung, Haftung – alles wird routiniert formuliert. Und schließlich vergisst niemand, unter „Sonstiges“ bei Bedarf die Schriftform, das anwendbare Recht sowie den Gerichts-stand zu regeln. Ebenso wenig fehlt die Salvatorische Klausel. Also wird diktiert oder geschrieben: „Sollte eine Regelung dieses Vertrags ganz oder teilweise unwirksam sein, soll dies die Wirksamkeit des Vertrags im Übrigen nicht berühren.“ So oder so ähnlich liest – meistens: überliest – man es immer wieder. In unseren ersten Semestern haben wir es aber anders gelernt. § 139 BGB, dem mit der Salvatorischen Klausel entgegengetreten werden soll, ordnet nach seinem Wortlaut im Zweifel die Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäfts an, auch wenn nur ein Teil nichtig ist. Die Rechtsprechung hat dafür gesorgt, dass diese Norm über den Wortlaut hinaus auch alle Arten der Unwirksamkeit erfasst. So weit, so gut. Warum aber finden sich in der täglichen Rechtspraxis – auch in renommierten Formularbüchern! – in erheblicher Anzahl Verträge mit Salvatorischen Klauseln, in denen von der Nichtigkeit – also dem originären Anwendungsfall des § 139 BGB – gar nicht die Rede ist, sondern nur von der Unwirksamkeit? Und was soll aus einer so eingeschränkt formulierten Klausel folgen? Kommt im Fall einer Teilnichtigkeit doch wieder die Zweifelsregelung des § 139 BGB zum Zuge, da nur bei einer Teilunwirksamkeit eine Aufrechterhaltung des Vertrags im Übrigen gewollt ist? Oder soll der Vertrag bei einer Teilnichtigkeit erst recht aufrechterhalten werden, wenn schon eine Teilunwirksamkeit den Vertrag bestehen lässt? Fragt man die Verfasser solcher Klauseln, warum sie die Teilnichtigkeit nicht ausdrücklich in die Salvatorische Klausel einbeziehen, so gibt es typischerweise keine Begründung. Vielmehr wird ein Versehen eingeräumt und die Teilnichtigkeit als weiterer Anwendungsfall hinzugefügt. Wenn aber die Teilnichtigkeit so auffallend oft übergangen wird, so fragt es sich, ob es dafür andere Ursachen gibt. Ist es möglicherweise ein durch internationale Unternehmen bzw. Kanzleien nach Deutschland transportiertes ausländisches Rechtsverständnis, das die Unterscheidung unseres BGB zwischen Unwirksamkeit und Nichtigkeit nicht kennt und unbesehen übernommen wird? Umgekehrt sollte es sein: law made in Germany – und zwar richtig! Und dazu tun wir gut daran, uns immer wieder der Grundlagen des BGB zu erinnern! |
Editorial Heft 16/2011: SGB II – Licht am Ende des Tunnels?Von Professor Dr. Thomas Voelzke, vors. Richter am BSG in Kassel
Das „Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch“ (s. hierzu auch Groth/Siebel-Huffmann, NJW 2011, 1105 [in diesem Heft]) hat es tatsächlich bis in das Bundesgesetzblatt geschafft (BGBl I, 453). Es war eine schwere Geburt! Das BVerfG (NJW 2010, 505) hatte dem Gesetzgeber bekanntlich aufgegeben, die existenzsichernden Regelbedarfe bis zum 31. 12. 2010 in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen. Als hätte es die Komplikationen bereits erahnt, ordnete das BVerfG sicherheitshalber zugleich an, dass ein pflichtwidrig zu spät erlassenes Gesetz rückwirkend zum 1. 1. 2011 in Kraft zu setzen sei. Das Ziel wurde vom Gesetzgeber prompt verfehlt, und über die vielschichtigen Querelen auf dem Weg zur Einigung im zweiten Anlauf eines Vermittlungsverfahrens geriet sogar der Auftrag einer transparenten Herleitung der Regelleistung ein wenig aus dem Blick. Aber diese Geburtswehen sollten nicht daran hindern, dem Gesetz eine faire Chance zu geben. Eine solche Chance hat es wegen der darin enthaltenen positiven Ansätze, die weit über eine bloße Neuregelung der Regelleistung hinausgehen, durchaus verdient. Zudem ist die an der Belastungsgrenze arbeitende Sozialgerichtsbarkeit auf eine Deeskalation dringend angewiesen. Insbesondere einige im Gesetz enthaltene Konkretisierungen und verfahrensrechtliche Neuregelungen könnten mittelfristig eine Entspannung bewirken. Hierzu gehört etwa die Satzungsermächtigung zur Regelung der Leistungen für Unterkunft und Heizung. Diese Ermächtigung soll den Kreisen und kreisfreien Städten die Möglichkeit eröffnen, den Basisbedarf für Unterkunft und Heizung transparent und rechtssicher zu gestalten. Verwaltung und Gerichte wurden gerade durch die Ermittlung der im jeweiligen Einzelfall zu berechnenden Unterkunftskosten mit einer Vielzahl aufwändiger Verfahren belastet. Zur Überprüfung der Satzungen wurde in § 55 a SGG flankierend ein bei den Landessozialgerichten angesiedeltes Normenkontrollverfahren installiert, das durch eine Konzentration der Rechtsstreite auf wenige Verfahren möglichst umgehend Rechtssicherheit schaffen soll. Zwar drängt sich auf der Grundlage der Neuregelungen nicht auf, dass mit der neuen Rechtslage eine – ohnehin problematische – Abweichung von dem durch das BSG (NZS 2010, 515) entwickelten schlüssigen Konzept zur Ermittlung der Angemessenheit der Unterkunftskosten verbunden wäre. Gleichwohl lassen die Regelungen darauf hoffen, dass es infolge der Konzentrationswirkung mittelfristig zu einer Entlastung der ersten Instanz kommen könnte. |
Editorial Heft 15: Gold, Glanz oder: „dezente“ Mietschönheit?Von Rechtsanwalt Dr. Andreas Kappus, NJW-Redaktion, Frankfurt a. M.
In der AGB-Landschaft geht es zuweilen zu wie in literarischen Vorgaben: „Ein sonniger Morgen … schüttete Gold und Glanz über tauerquickte Wiesen“, heißt es in „Friedel Starmatz. Der Roman eines Kindes“, von Mara Heinze-Hoferichter (Ausgabe Enßlin & Laiblins Verlagsbuchhandlung 1930). „Die Blumen hoben ihr Antlitz in stiller Wonne zum Himmel auf. Ein leichter Wind rauschte vom Waldrand her über die Landstraße … Wie sie (die Landstraße) noch so in Erwartung vor sich hinsann, stürzte plötzlich ein großes Erschrecken über den lichten Morgentraum: Knallen und Knattern erschütterte die Luft, Wagengerassel kam näher …“. Was kommt nun aus Karlsruhe zu Endrenovierungs-AGB gerollt? Ein Hinweisbeschluss, meint man, enthält nichts, was Wänden freilich gilt für gewöhnlich das dekorative Hauptaugenmerk. Weiße Decken, Fenster und Türen hingegen waren einmal, und das durchaus nachvollziehbar, „Fixsterne“ jeder Dekorationsaufgabe, falls Holz nicht ehedem naturfarben, also braun blieb. Kunstbeflissenen wie Wissenschaftlern gilt „weiß“ ohnehin als „unbunte Farbe“, als Zustand, die menschlichen Augenzapfen gleichmäßig reizender „farbvalenter“ Lichtreflex. Den Ton geben im BGH-Geschmack, so ist jetzt zu lesen, „dezente Farbtöne“ an, wohl „hell und neutral“ meinend, was eine Bezugnahme auf eine frühere Entscheidung nahe legt. Transparenz der Rechtssprache, bist du unter die Räder gekommen? Beruhigend zu wissen: Hellblau und lindgrün (zart) sind bereits „über-rollt“; zwar durchaus „hell“, aber – jedenfalls in der Senatsmeinung – nicht „neutral“. Farbenlehrer stellen dagegen: Gerade bei schwachem Licht, mithin in eher dunkleren Wohnungen, setzen sich intensivere Farbtöne besser durch als „helle“. Man bestelle: „Champagner“! |
Editorial Heft 14: Es lebe Art. 20 III GG!Von Dr. Frank Bräutigam, Leiter der ARD-Rechtsredaktion, Karlsruhe
Breaking News! Seit dem 14. 3. 2011, 16 Uhr, gibt es einen neuen Art. 20 III a GG, direkt nach der Bindung der Exekutive an Gesetz und Recht. Er lautet: „Die Bundesregierung darf in bestimmten Fällen ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz per Moratorium vorübergehend außer Kraft setzen.“ So zumindest klang die Erklärung der Bundeskanzlerin, die erst kürzlich per Gesetz beschlossene Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke auszusetzen. Seitdem gehört das „Moratorium“ zum Wortschatz der Nation. Einmal kurz innegehalten – seit wann darf die Regierung einfach ein Gesetz außer Kraft setzen? Gesetze beschließt das Parlament. Es hat in diesem Fall mit der Mehrheit der Regierungskoalition den Betreibern von Atomkraftwerken grundsätzlich gestattet, auch weiterhin bestimmte Mengen an Strom zu produzieren. Das führt zur Laufzeitverlängerung. Möchte man dies ändern, wenn auch nur vorübergehend, ist eine weitere Entscheidung des Gesetzgebers nötig. Nicht mehr und nicht weniger, auch wenn es aus politischer Sicht sicher kein leichter Gang wäre, das selbst eingebrachte Gesetz vorübergehend zu stoppen oder zu verändern. Das „Moratorium“ zum Laufzeitverlängerungsgesetz hat ohne Gesetzgeber keine Wirkung. Wenn die Betreiber der Kraftwerke wollten, könnten sie sich auf ihre Rechte aus dem Gesetz berufen.
Der Deutsche Bundestag hat inzwischen mehrheitlich den „Beschluss“ der Bundesregierung begrüßt, die Verlängerung der Laufzeiten für drei Monate auszusetzen. Mit Verlaub: Ist das die richtige Kompetenzverteilung? Im Kalkar-Beschluss des BVerfG von 1978 (NJW 1979, 359) heißt es im dritten Leitsatz: „Hat der Gesetzgeber eine Entscheidung getroffen, deren Grundlage durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt wird, kann er von Verfassungs wegen gehalten sein zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung auch unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten ist.“
Am Tag nach dem vermeintlichen „Moratorium“: Die Regierung bewegt sich zusammen mit den Ländern wieder in ihrem Zuständigkeitsbereich, der staatlichen Atomaufsicht. Ob sich auf dieser Basis die Voraussetzungen für ein vorübergehendes Abschalten gerichtsfest begründen lassen? Die Diskussion ist in vollem Gange. Bei aller Kritik sei eines jedoch klargestellt: Unbestritten ist der immense Zeit- und Handlungsdruck der politisch Verantwortlichen, auch in Deutschland nach den Ereignissen von Japan auf die neue Lage zu reagieren. Aber genau dafür sieht die Verfassung bewährte Regeln vor, die auch außergewöhnlichen Situationen einen Rahmen geben. Das ist nicht spitzfindig, das ist unser Rechtsstaat. Es lebe Art. 20 III GG! |
Editorial Heft 13/2011: Fundamentalismus als juristische Methode?Von Professor Dr. Thomas Pfeiffer, Heidelberg
Grundsätze gelten grundsätzlich. Das bedeutet, dass es Ausnahmen geben kann oder gibt. Wenn eine Regel nicht nur als Grundsatz Geltung beansprucht, heißt es typischerweise, sie gelte schlechthin, ausnahmslos oder schlicht immer. Die ausdrückliche Formulierung einer Ausnahme ist typischerweise gerade deshalb notwendig, weil im Allgemeinen von dem jeweils fraglichen Grundsatz auszugehen ist. Die Alltagsweisheit erfasst das völlig zutreffend, denn: „Die Ausnahme bestätigt die Regel.“ Das Urteil des EuGH vom 1. 3. 2011 in der Sache Association belge des Consommateurs Test-Achats ASBL (NJW 2011, 907 [in diesem Heft]), nach dem geschlechtsspezifische Versicherungstarife (nach Ablauf einer Übergangszeit) schlechthin gegen die Grundrechte-Charta der EU verstoßen, muss vor diesem Hintergrund erstaunen. Dabei soll nicht die Frage aufgeworfen werden, ob es tatsächlich der Verwirklichung von Grundrechten dient, wenn Versicherungsprämien nicht mehr das versicherte Risiko widerspiegeln dürfen. Vielmehr geht es um den Argumentationsduktus: Der Gerichtshof entnimmt zunächst der Richtlinie 2004/113/EG den Grundsatz, dass es sich bei der Bemessung von Versicherungsprämien gegenüber Frauen und Männern um vergleichbare Sachverhalte handelt, die somit dem unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot unterlägen. Mit dem Gleichbehandlungsgebot sei aber die Ausnahme zu Gunsten einer versicherungsmathematischen Risikobewertung in Art. 5 II der Richtlinie unvereinbar. Damit wird das in der Richtlinie nur als Grundsatz geltende und durch die besagte Ausnahme durchbrochene Gebot als Rechtfertigung dafür herangezogen, den Grundsatz nicht nur grundsätzlich, sondern schlechthin gelten zu lassen. Das entbehrt nicht einer gewissen rechtslogischen Eigenwilligkeit. Vor allem jedoch schenkt es dem Umstand keine oder jedenfalls zu geringe Beachtung, dass zahlreiche Grundsätze erst durch ihre Ausnahmen erträglich werden. Grundrechtsdogmatisch entspricht dem die Frage, warum weder in dem Urteil noch in den vorangehenden Schlussanträgen die Vertragsfreiheit als entgegenstehender und ebenfalls grundrechtlich sowie durch die Grundfreiheiten geschützter Abwägungsbelang überhaupt nur auftaucht, geschweige denn ernsthaft erwogen wird. Von den verschiedenen zur Abwägung stehenden Grundsätzen wird damit nur einer berücksichtigt, um alsdann die vorgesehene Ausnahme beiseite schieben und den favorisierten Grundsatz absolut setzen zu können. Die verabsolutierende Maßgeblichkeit eines einzelnen Satzes kommt, methodisch gesehen, den typischen Merkmalen fundamentalistischer Argumentationsketten bedenklich nahe. Ungeachtet des konkreten Ergebnisses verdient jedenfalls dies dezidierten Widerspruch. |
Editorial Heft 12/2011: Ein Drama – seit 132 Jahren im ProgrammVon Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Universität zu Köln
„Die Gebührensätze sind … nicht mehr angemessen, sie sind geradezu fossil“, der Gesetzgeber möge endlich „ein Einsehen haben“ – kein Zitat aus der im Jahr 2011 geführten Diskussion über die Notwendigkeit der Erhöhung der anwaltlichen Gebühren, sondern eine Aussage, die exakt 100 Jahre alt ist. Sie ist dem Protokoll des Anwaltstags 1911 entnommen. Das Zitat erinnert daran, dass auf der berufs- und rechtspolitischen Bühne in Berlin regelmäßig ein Drama zur Aufführung gelangt, das bereits unmittelbar nach der Verabschiedung der RAGebO von 1879 Premiere hatte. Es heißt: „Die Höhe der anwaltlichen Gebühren.“ Mit der Anhebung ihrer „Gebühren“ durch den Gesetzgeber können die Anwälte nur in großen zeitlichen Abständen rechnen. Ein Jahrzehnt ohne Veränderung ist keine Seltenheit. Die Anwaltschaft muss daher, einem Ritual gleich, rasch nach einer mühsam erreichten Erhöhung schon wieder auf erneute Anpassungen drängen – um Jahre später zum Erfolg zu kommen. Viele Jahre des Stillstands führen dann stets zu einem kräftigen Vergütungszuwachs auf dem Papier. Verständnislosigkeit der Presse, Irritationen in der Bevölkerung und Aufgeregtheit der Rechtsschutzversicherungsbranche sind die üblichen Ingredienzien des Schauspiels. Dass sich der stürmische Zuwachs bei langfristiger Betrachtung meist als ein laues Lüftchen entpuppt, geht in der allgemeinen Aufgeregtheit regelmäßig unter. Die weiteren Akte des Dramas sind vorbestimmt: Im parlamentarischen Diskurs werden alte Anwalts-Klischees kultiviert, in der Bevölkerung prägt sich das Bild des maßlosen Anwalts ein, die Anwaltschaft fühlt sich missverstanden. Rechtsschutzversicherer geben einen Teil der sprunghaften Kostensteigerung weiter, sortieren verstärkt schlechte Risiken aus, fangen durch allerlei kreative Ideen die Gebührenerhöhung auf. Die Bilanz: Vergiftete Stimmung zwischen Anwaltschaft und Versicherungswirtschaft, weniger rechtsschutzversicherte Bürger, ein lädiertes Berufsprestige. Deutschland ist mit dem Problem der Anpassung seines Anwaltstarifs freilich nicht allein – entgegen populärer Vorstellungen kennt eine Vielzahl von Rechtsordnungen subsidiäre Anwaltstarife. Auch anderswo gilt es daher regelmäßig, Gebühren an zwischenzeitliche wirtschaftliche Entwicklungen anzupassen. Im Ausland hat man die Nerven aller Beteiligten schonendere Lösungen ersonnen – Beispiel Slowakei: Dort ist der Anwaltstarif 2002 an die allgemeine Lohnentwicklung in bestimmten Berufsgruppen gekoppelt und auf diese Weise dynamisiert worden. Allgemeine Zufriedenheit macht sich seitdem breit. Vielleicht ist es auch bei uns an der Zeit, über ein neues Stück auf der Bühne des Gebührenrechts nachzudenken – ein bisschen mehr Lustspiel, ein bisschen weniger Drama. |
Editorial Heft 11/2011: Macht korrumpiertVon Rechtsanwalt Professor Dr. Peter Raue, Berlin
Ihrer „Berliner Rede zum Urheberrecht“ vom Juni 2010 stellt Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ein Wort Roman Herzogs voran: „Erbärmlich ein Eigentumsbegriff, der sich nur auf Sachgüter, Produktionsmittel und Wertpapiere bezieht und die Leistungen des menschlichen Geistes ausklammert! Erbärmlich eine Gesellschaft, die sich einen solchen Eigentumsbegriff leisten wollte!“ Übertriebene Worte? Gewiss nicht! Juristen sind seit Jahrzehnten mit der immer filigraneren Ausgestaltung des Begriffs vom geistigen Eigentum im System von Rechtsgewährung und Schranken auf der Grundlage der Sozialpflichtigkeit des Eigentums befasst. Dass es aber geistiges Eigentum als absolutes Recht geben muss, stand seit der Aufklärung außer Frage. Das hat sich geändert. Die digitale Revolution und mit ihr die Verfügbarmachung aller geistigen Hervorbringungen, wenn sie digitalisiert worden sind, für Jedermann und jederzeit hat grundstürzende Bewegungen in Gang gesetzt: Es gibt diejenigen, die systematisch die komplette Aggregation des digital vorhandenen Weltwissens betreiben. Da es gute Gründe gibt anzunehmen, dass im digitalen Netz auf Dauer immer nur ein Spieler den Markt beherrscht, heißt Aggregation auch Monopolisierung des Weltwissens. Unbekümmert um das Recht am geistigen Eigentum stellen diese Akteure mit gewaltiger Marktmacht das System auf den Kopf: Kern des Google-Book-Settlement ist das Ende der Erlaubnispflicht für die Nutzung geistigen Eigentums. Wer sein Eigentum schützen will, muss aktiv werden und widersprechen. Herrenlose Werke werden vogelfrei. Die andere Entwicklung betrifft das geistige Eigentum selbst. Viele Akteure im world wide web bestreiten seine Existenzberechtigung von Grund auf. Im Netz müsse alles frei sein. Und konsequent stellen Kreative, die dem folgen, ihre Werke zum freien Zugriff ins Netz. Ein Filmemacher, der so verfährt, beantwortete die Frage, wie er denn seine Arbeit und seinen Lebensunterhalt finanziere, fröhlich dahin, er lebe von öffentlichen Einrichtungen, der Bundeskulturstiftung und gelegentlich von Hartz IV. Für das Gelächter im Publikum hatte er kein Verständnis. Er verstand nicht, dass der Künstler, dessen Unterhalt und Werk nur noch von der öffentlichen Hand finanziert wird, sich zum Apanagaire des Staates, zum Hofkünstler zurückentwickelt. Mit der Aufgabe des Rechts am geistigen Eigentum ist auch die freiheitlich verfasste und offene Gesellschaft bedroht. Dass der Staat die Entstehung von Kunst fördert, ist gut. Dass aber Kunst künftig nur noch entstehen kann, wenn der Staat den Künstler finanziert, weil es die Möglichkeit der wirtschaftlichen Nutzung geistigen Eigentums nicht mehr gibt, das verändert das Verhältnis von Künstler zu Staat von Grund auf. Ein solches Konzept bedroht unser aller Freiheit. Für die Wissenschaft gilt gleiches. Die Debatte um das geistige Eigentum hat eine Zwillingsschwester in der Debatte um die Herrschaft über unsere Daten. Während der eine Internetakteur die Monopolisierung des Weltwissens betreibt, erklärt ein anderer das Konzept der Privatsphäre in der digitalen Welt für obsolet. Wir wissen aber: Information ist Macht. „Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut“ – Lord Actons Diktum ist eine demokratietheoretische Binse. In der unbeschränkten Herrschaft über Information liegt eine der totalitären Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Rechtswissenschaft, Justiz und Politik sind aufgerufen, dem totalen digitalen Zugriff auf den Menschen, nicht nur auf den Künstler, Schranken zu setzen. Die aufklärerische Idee vom geistigen Eigentum als naturrechtlichem Besitzstand des kreativen Menschen ist als Teil der Menschenwürde dabei einer der Grundpfeiler, auf denen unsere Freiheit ruht.
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Editorial Heft 10/2011: Traue keinem AnwaltVon Rechtsanwalt Jan Andrejtschitsch, Kanzlei Wannemacher & Partner, München
Als Anwalt ist man Angehöriger eines Berufsstands, der in der Öffentlichkeit großes Vertrauen genießt. Umfragen zu den angesehenen Berufen belegen das. Die öffentliche Wahrnehmung korrespondiert mit der Verankerung des Anwalts in der Rechtsordnung, die ihn als Organ der Rechtspflege verstanden wissen will und ihn dementsprechend mit zahlreichen – auf Vertrauen gründenden – Privilegien ausstattet. Das Vertrauen endet aber beim Honorar. Zuletzt belegte dies eine Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. (BeckRS 2011, 02062), die nach Zurückverweisung durch den BGH (NJW 2010, 1364) erging. Einem Strafverteidiger, der seine Honoraransprüche vor den Zivilgerichten durchsetzen wollte, wurde hier ganz offensichtlich mit Misstrauen begegnet. Mehrfach vertrat die Rechtsprechung in jüngerer Zeit den Grundsatz, bei der Vereinbarung eines Zeithonorars müsse die naheliegende Gefahr ins Auge gefasst werden, dass dem Mandanten der tatsächliche zeitliche Aufwand seines Verteidigers verborgen bleibt. Weil ein unredlicher Anwalt daher unangemessene Zahlungen beanspruchen könne, sei jegliche Tätigkeit konkret und in nachprüfbarer Weise darzulegen. Dies soll sogar dann gelten, wenn die Anwaltsleistung in einem Telefonat mit dem Mandanten bestand, von diesem also selbst und unmittelbar wahrgenommen wurde. Die dem Strafverteidiger vom OLG Frankfurt a. M. auferlegte Darlegungs- und Beweislast führte in Kombination mit dem ihm entgegengebrachten Misstrauen zu einem befremdlichen Ergebnis: Der Mandant fand Gehör mit der durch bloßes Bestreiten transportierten Behauptung, sein Anwalt hätte nicht notwendige und nicht erbrachte Leistungen abgerechnet. Um Missverständnissen vorzubeugen: Auch für den Verteidiger gelten natürlich die prozessualen Darlegungs- und Beweislastregeln. Wenn der Anwalt aber vortragen muss, zu welchen Tat- und Rechtsfragen welche Literaturrecherchen angestellt worden sind, geht das über den gebotenen Darlegungsumfang hinaus. Und es offenbart ein erhebliches Misstrauen gegenüber dem Anwalt, da ein seriöser Strafverteidiger ausschließlich erforderliche und fallbezogene Recherchen abrechnet. Muss der Rechtsanwalt sogar – wie im Fall des OLG Frankfurt a. M. – den Inhalt der mit seinem Mandanten geführten Telefonate nachweisen, wird die Stellung des Anwalts als Organ der Rechtspflege durch das Leitbild eines „unredlichen Anwalts“ verdrängt. Wie überall mag es auch im Kreise der Rechtsanwälte einige schwarze Schafe geben. Das rechtfertigt es aber nicht, den „unredlichen Anwalt“ zum Maßstab für die Prüfung von Honoraransprüchen zu machen. Auf diese Weise wird der gesamte Berufsstand in Haftung genommen. Daher ist zu hoffen, dass künftig höhere Anforderungen an das Bestreiten der Mandanten gestellt werden und auf diese Weise die Rechte der Prozessparteien wieder austariert werden. Voraussetzung dafür ist aber, dass dem Anwalt im Honorarstreit wieder mehr Vertrauen entgegengebracht wird. |
Editorial Heft 9/2011: Münchener Modell macht kurzen ProzessRechtsanwalt Dr. Tilman Müller-Stoy, München
In Patentstreitsachen machen die beiden Spezialkammern des LG München I kurzen Prozess. Seit Ende 2009 praktizieren sie ein Modell, mit dem sich die bisherige Verfahrensdauer erheblich verkürzen lässt. Kernpunkte des beschleunigten Verfahrens sind die Durchführung zweier Verhandlungstermine in der Sache und ein strenges Fristenregime: Mit Klagezustellung wird der Beklagtenpartei eine Frist zur Klageerwiderung von in der Regel acht Wochen gesetzt. Rund drei Wochen nach Ablauf der Klageerwiderungsfrist findet ein früher erster Termin statt. Das ist kein Durchlauftermin, sondern ein Verhandlungstermin zur Sache, in dem die Kammer eine erste Einschätzung abgibt, wo der Fall steht und zu welchen Punkten sie weiteren Sachvortrag bzw. weitere Beweisangebote für erforderlich hält. Die Kammer erläutert hierzu ihr Verständnis der streitgegenständlichen Technik, weist auf mögliche Missverständnisse hin und fordert die Parteivertreter auf, im weiteren Verfahrensverlauf fokussiert zu den angesprochenen Aspekten Stellung zu nehmen. Mit der Klagepartei wird eine Replikfrist von etwa einem Monat und mit der Beklagtenpartei eine mögliche Duplik innerhalb eines weiteren Monats fest vereinbart. Weitere Schriftsätze werden nur ausnahmsweise nachgelassen, Fristverlängerungen regelmäßig nicht gewährt. Die Präklusionsvorschriften werden streng gehandhabt. Hält die Kammer ein Sachverständigengutachten für erforderlich, wird der Sachverständige umgehend beauftragt. Rund zwei Wochen nach Ablauf der Duplikfrist findet ein Haupttermin statt, auf den nach sechs Wochen (also typischerweise binnen sieben bis zehn Monaten nach Klageerhebung) eine Entscheidung folgt. Der Vorteil des Modells liegt in der frühzeitigen Verfahrenskonzentration auf Schwerpunkte. Nebenkriegsschauplätze werden abgeschichtet und Taktiererei wird reduziert. Langwierige Detailschlachten mittels Parteigutachten sind nach Angaben der Münchener Kammern bislang kaum aufgetreten. Eine das Verfahren erheblich verzögernde Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ließ sich bisher – von einem Fall abgesehen – vermeiden. Die Erkenntnisse aus dem frühen ersten Termin führen nicht selten zu einer vergleichsweisen Streitbeilegung. Das Münchener Modell erscheint daher geeignet, Zivilverfahren jeder Art zu beschleunigen, allerdings zum Preis einer Mehrbelastung der Richter. Patentstreitsachen rechtfertigen einen solchen Mehraufwand volkswirtschaftlich, weil es um den effektiven Schutz wertvoller Innovationen geht. Ob diese Mehrbelastung in allen (auch weniger komplexen) Zivilverfahren angemessen und bei den häufig sehr hohen Fallzahlen ohne Aufstockung der Richterzahl überhaupt durchzuhalten ist, erscheint indessen fraglich. |
Editorial Heft 8/2011: Aktionäre im Visier der TerrorbekämpfungProfessor Dr. Walter Bayer, Friedrich-Schiller-Universität, Jena
Einschränkungen der aktienrechtlichen Satzungsfreiheit werden nach deutscher Tradition vorrangig mit Anlegerschutzgründen und der Verantwortung des Staates für das Funktionieren der Rechtsform AG gerechtfertigt. Neu ist hingegen die Idee, in die Gestaltungsfreiheit der Aktionäre einzugreifen, um eine „wirksame Bekämpfung von Geldwäsche und von Terrorismusfinanzierung (…) sicherzustellen“. Zu diesem Zweck sollen die Beteiligungsverhältnisse in nichtbörsennotierten Aktiengesellschaften transparenter werden. Der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) vom 2. 11. 2010 sieht daher vor, dass solche Gesellschaften nur noch Namensaktien ausgeben dürfen; die bisherige Wahlfreiheit zwischen Inhaber- und Namensaktien soll nur noch für börsennotierte Gesellschaften gelten. Der Vorschlag des BMJ scheint aus dem Nichts entstanden zu sein. Weder in der Wissenschaft noch in der Praxis wurden bislang entsprechende Überlegungen angestellt. Der Referentenentwurf begründet seine Initiative zum Verbot von Inhaberaktien dann auch mit einer Kritik „auf internationaler Ebene (…) am deutschen Rechtssystem“, welche die kaum bekannte „Financial Action Task Force“ der OECD geübt habe. Ist der Gesetzesvorschlag somit nur das Ergebnis eines deutschen Übereifers? Belastbare Erkenntnisse, dass die Rechtsform der nichtbörsennotierten deutschen AG zur Terrorfinanzierung verwendet wird, liegen offensichtlich nicht vor. Hinzu kommt: Auch das Verbot von Inhaberaktien führt nicht zwangsläufig zur gewünschten Transparenz. Der Referentenentwurf übersieht zum einen, dass der Vorstand regelmäßig eingeweiht sein muss, wenn Terroristen eine AG etwa zur Geldwäsche nutzen. Er wird daher im Aktienregister kaum die echten Namen der „Terroristen-Aktionäre“ nennen. Zum anderen schaffen auch Namensaktien keine Transparenz, wenn lediglich ein Treuhänder genannt wird. Und drittens wird das Aktienregister anders als die Gesellschafterliste der GmbH nicht beim Handelsregister geführt, ist also nicht beliebig einsehbar. Zuallerletzt: Zahlreiche Gesellschaften haben zwar Namensaktien, jedoch ohne urkundliche Verbriefung – dann existiert auch kein Aktienregister i. S. von § 67 AktG. Über die Kosten der Zwangsumstellung macht sich der Referentenentwurf nur wenig Gedanken: Sie seien „nicht seriös bezifferbar“ – denn die Zahl der nichtbörsennotierten Aktiengesellschaften mit Inhaberaktien ist dem BMJ nicht bekannt. Auch hier zeigt sich wieder einmal ein Mangel an rechtstatsächlichen Erkenntnissen, der im Vorfeld gesetzgeberischer Entscheidungen häufig festzustellen ist. Eine nunmehr von der Universität Jena vorgelegte Studie kommt zum Ergebnis, dass weit über 5 000 Gesellschaften von einer Umstellungspflicht betroffen wären. Abhängig von der Zahl, der Verbriefung und der Hinterlegung der vorhandenen Inhaberaktien können für jede AG Kosten von mehreren zehntausend Euro entstehen. Daher: Ablehnung des Vorschlags! |
Editorial Heft 7/2011: Von Nagellack bis Schlüpfer – Outfit im BetriebVon Rechtsanwalt Professor Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Gleiss Lutz, Stuttgart
Darf ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern die Farbe der Unterwäsche vorschreiben? Die Länge der Fingernägel und die Variationsmöglichkeiten bei deren Lackierung? Das Tragen von Feinstrumpfhosen ohne „Muster, Nähte oder Laufmaschen“? Darf er das „Tragen von künstlichen Haaren“ untersagen, wenn es die „Natürlichkeit der Haarpracht“ beeinträchtigt? Was auf den ersten Blick dem Drehbuch einer billigen Fernseh-Gerichtsshow entsprechen mag, war tatsächlich Gegenstand einer Entscheidung des LAG Köln (NZA-RR 2011, 85). Und auf den zweiten Blick stellt sich die Sache als gar nicht so lächerlich dar. Zum Schmunzeln bringt einen der liebevolle Detaillierungsgrad der in Rede stehenden Vorschriften. Bekleidungsvorschriften geben immer wieder Anlass für Konflikte und beschäftigen nicht selten die Gerichte. Wenn der Arbeitgeber ein uniformes und nach seinem Verständnis „ordentliches“ Erscheinungsbild verlangt, sieht sich so mancher Arbeitnehmer in seiner Individualität beschränkt. Es liegt auf der Hand, dass dieser Konflikt nicht einseitig zu Gunsten der Arbeitgeber- oder der Arbeitnehmerseite zu entscheiden ist. Immerhin geht es um Grundrechte wie die Berufsfreiheit des Arbeitgebers (Art. 12 GG) und das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 1 I, 2 I GG) von Arbeitnehmern. Der Betrieb ist weder das unbeschränkte Herrschaftsgebiet des Arbeitgebers noch das Forum für die individuelle Selbstverwirklichung von Paradiesvögeln. Das Arbeitsrecht kennt zwei Mechanismen, um die widerstreitenden Interessen einem gerechten Ausgleich zuzuführen. Zum einen müssen Weisungen des Arbeitgebers der Billigkeit entsprechen (§ 106 GewO). Zum anderen hat der Betriebsrat – wenn ein solcher existiert – bei Fragen der betrieblichen Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 I 1 Nr. 1 BetrVG. Was zulässig ist, hängt vom Einzelfall ab. In der Entscheidung des LAG Köln ging es um die Mitarbeiter der Sicherheitskontrolle des Flughafens Köln/Bonn. Das Gericht hielt die Regelungen zur Unterwäsche, zur Länge der Fingernägel und zu den Strumpfhosen für zulässig, die Regelungen zur Farbe der Fingernägel und zur Haartracht jedoch nicht. Bei einer Model-Agentur wären sicherlich weitergehende Einschränkungen zulässig gewesen – und auch eine Wirtschaftskanzlei muss nicht hinnehmen, dass eine Sekretärin in durchscheinender Bluse ohne BH mit mehrfarbig lackierten und mehrere Zentimeter langen Fingernägeln am Empfang sitzt. Auch bei Männern muss ein solcher Arbeitgeber nicht jedes kuriose Outfit dulden. Was zeigt die Entscheidung? Auch wenn es oft mühselig ist: Im Großen und Ganzen gewährleisten das deutsche Arbeitsrecht und seine Handhabung durch die Gerichte einen fairen Interessenausgleich. Dafür muss manchmal auch in Kauf genommen werden, über Details bis zur Grenze der Lächerlichkeit zu streiten. |
Editorial Heft 6/2011: Ein Stück GewaltenteilungVon Vorsitzendem Richter am VG a. D. Dr. Udo Hochschild, Dresden
Der durch das Deutsche Richtergesetz eingeführte Begriff „Gerichtsverwaltung“ sollte über eines nicht hinwegtäuschen: Gerichtspräsidenten sind weisungsunterworfene Organe der Exekutive, solange sie nicht rechtsprechend tätig sind. Sie sind Justizverwaltung in der mit einem Minister beginnenden Befehlskette. Gerichtspräsidenten verwalten „ihre“ Gerichte, schreiben Dienstzeugnisse über die Richterinnen und Richter und können gezielt deren Karrieren steuern; sie sind die Einfallstore der Exekutive auf dem Weg zu einer persönlichen Kontrolle der Richterinnen und Richter. Daraus kann auch eine subtile Kontrolle über die Rechtsprechungsinhalte werden, denn nicht jedem Menschen ist in einer Beförderungshierarchie Enthaltsamkeit eigen. Von dem Politologen Theodor Eschenburg stammt die lapidare Feststellung: „Wer befördert, befiehlt!“ In Deutschland ist die Richterbeförderung Ministern anvertraut. Das europäische Kuriosum wird mit der Worthülse „Gewaltenverschränkung“ gerechtfertigt. Es nötigt zu Vorsichtsmaßnahmen: Ein Zwang zu einer umfassend sachlich begründeten ministeriellen Auswahlentscheidung zwischen den Bewerbern wie auch zur Gewährung von wirkungsvollem Rechtsschutz für unterlegene Beförderungsbewerber bis zum BVerfG kann die Abhängigkeit der Judikative von der Exekutive ein Stück weit abfedern. So kann auch ein Bewerber um ein Gerichtspräsidentenamt zum Zuge kommen, der – aus welchem Grund auch immer – nicht die erste Wahl „seines“ Ministers ist. Mit Urteil vom 4. 11. 2010 (BeckRS 2011, 45441) hat das BVerwG in teilweiser Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung die Macht der deutschen Exekutive über die Judikative beschnitten. Es ist einem Minister künftig nicht mehr möglich, unter Berufung auf den „Grundsatz der Ämterstabilität“ durch die Ernennung „seines“ Kandidaten Fakten zu schaffen und dadurch den Rechtsschutz für Mitbewerber auszuhebeln. Die Klage auf nachträgliche Aufhebung einer Ernennung hat Erfolg, wenn der Dienstherr den ausgewählten Bewerber unter Verletzung des Grundrechts des Mitbewerbers auf wirkungsvollen Rechtsschutz ernannt hat. Im jetzt entschiedenen Fall hatte ein Justizminister den von ihm bevorzugten Kandidaten ungefähr eine halbe Stunde nach Übermittlung der Entscheidung des OVG im Konkurrenteneilverfahren durch Aushändigung der Ernennungsurkunde zum Präsidenten des OLG ernannt, obwohl der unterlegene Mitbewerber zuvor angekündigt hatte, im Falle der Zurückweisung seiner Beschwerde durch das OVG verfassungsrechtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Das Tun des Ministers hatte dem möglichen Rechtsschutz durch das BVerfG vorgebeugt. Die Entscheidung des BVerwG stellt ein Stück Verfassungswirklichkeit vom Kopf auf die Füße. War bisher das angestrebte Ergebnis „Ämterstabilität“ vorauseilendes Maß für die Gesetzesauslegung, so folgt nunmehr das angestrebte Ergebnis der Gesetzesauslegung nach. Ämterstabilität hat die Beachtung des Rechts zur Voraussetzung. |
Editorial Heft 5/2011: Kollektiver Rechtsschutz – Vielfalt statt Einfalt!Von Professor Dr. Astrid Stadler, Konstanz
Nun will die EU-Kommission also doch Sammelklagen. Dafür muss sie effektive Instrumente schaffen, ohne die negativen Seiten einer class action zu importieren. Bisherige Vorschläge – insbesondere das Weißbuch 2008 der Generaldirektion Wettbewerb – kopierten eher fantasielos die US-amerikanische Idee des private enforcement durch Schadensersatzklagen und übersahen, dass Europa für unterschiedliche Probleme auch unterschiedliche Lösungen braucht. Bagatellschäden bei Verbrauchern wegen Verstößen gegen Kartell- oder Verbraucherrecht und Massenverfahren à la Telekom für Großschäden sind zweierlei – Ersteres verlangt, Lücken in der Rechtsdurchsetzung zu schließen, Letzteres erfordert eine Bündelung aus Gründen der Prozessökonomie. Sammelklagen mit dem umstrittenen „opt-out“ taugen für keines von beiden! Der gebetsmühlenhafte Einwand der Unternehmensseite vom erpresserischen Missbrauch einer class action ist angesichts der Systemunterschiede zwischen USA und Europa nicht überzeugend. Zuzugeben ist aber, dass jede opt-out-Klage die Gefahr birgt, den Willen der Anspruchsinhaber zu missachten und Dispositionsgrundsatz und rechtliches Gehör zu verletzen, weil man eine hinreichende Information der Betroffenen bei europaweiten Sammelverfahren gar nicht garantieren kann. Opt-out hätte seinen Platz allenfalls bei der Bekämpfung von Streuschäden, um die rationale Apathie der Betroffenen, Kleinschäden individuell einzuklagen, zu überwinden. Aber was wäre mit solchen Klagen gewonnen? Nichts! Denn die Erfahrung in den USA zeigt, dass es gar nicht zu einer gerechten Verteilung des geleisteten Schadensersatzes kommt. Weder lohnt der administrative Aufwand, jedem Verbraucher einige Euro zukommen zu lassen, noch melden sich überhaupt genügend Betroffene, die beweisen können, dass sie zum Kreis der Geschädigten gehören. Die Idee der Entschädigung ist ehrenwert, aber unrealistisch. Es ist daher an der Zeit, sich gerade für Streuschäden endlich vom Kompensationsgedanken – und von der opt-out-Diskussion – zu verabschieden und stattdessen auf effektive Prävention und neue Wege zu setzen. Mit der Gewinnabschöpfung in UWG und GWB ist im Prinzip der richtige Weg vorgezeichnet, der den Mitgliedstaaten auch die Wahl zwischen Verbands- oder Behördenklagen überlassen könnte. Echte Sammelklagen braucht man nur, um lähmende Massenverfahren zu verhindern, wenn die Schäden groß genug sind, um eine individuelle Rechtsverfolgung zu initiieren. Der deutsche Versuch mit dem umständlichen KapMuG-Verfahren musste am Spagat zwischen Prozessökonomie und rechtlichem Gehör der Beigeladenen scheitern. Sammelklagen mit opt-in und klaren Repräsentationsregeln stünden demgegenüber für Effektivität und Wahlfreiheit der Geschädigten. Also bitte kein Einheitsmodell! |
Editorial Heft 4/2011: Deutsch ins Grundgesetz?Von Professor Dr. Uwe Volkmann, Mainz
Verstärkt wird darüber diskutiert, Art. 22 GG um einen Absatz 3 zu ergänzen, der lauten soll: „Die Sprache in der Bundesrepublik ist Deutsch.“ Ein CDU-Parteitag hat einen entsprechenden Beschluss gefasst, dem Bundestag liegen Tausende von Unterschriften vor, und der Bundestagspräsident unterstützt das Vorhaben mit Nachdruck. Was soll man davon halten? Dass das Ganze auf eine Kampagne der Bild-Zeitung zurückgeht, bislang als Hort der Sprachkultur nur Wenigen aufgefallen, macht irgendwie misstrauisch, so wie umgekehrt der Umstand, dass Vertreter der Türkischen Gemeinde schon einmal reflexhaft vor einem neuen Assimilierungsdruck warnen, vielleicht doch eher ein Argument dafür als dagegen ist. Die rechtlichen Wirkungen einer solchen Änderung würden freilich aller Voraussicht nach überschaubar sein. Dass unter Berufung auf den neuen Verfassungsartikel den Rundfunkanstalten künftig nach französischem Vorbild eine bestimmte Mindestquote an deutschsprachigem Liedgut vorgeschrieben wird, scheint schon angesichts der bekannten Qualität des hiesigen Schlagers unwahrscheinlich. Auch Gesetze zur Reinhaltung der deutschen Sprache wird sich hierzulande niemand antun wollen. Umgekehrt werden etwa die gegen das zunehmende „forum shopping“ – künftig wohl auch so ein Unwort – unternommenen Bemühungen, den Gerichtsstandort Deutschland durch das Angebot von Verhandlungen auf Englisch attraktiver zu machen, mit ziemlicher Sicherheit nicht an einem veränderten Art. 22 GG scheitern. Der Sinn einer Neuregelung läge so vor allem auf symbolischem Gebiet. Daran ist heute gerade in Bezug auf die Verfassung nichts Verwerfliches mehr. Im Akt der Verfassungsgebung bekräftigt eine Gemeinschaft traditionell ihre gemeinsamen Werte und versichert sich der Grundlagen des Zusammenlebens. Verfassungen sind so wesentlich auch ein Selbstzeugnis kollektiver Identität, und angesichts zunehmender gesellschaftlicher Pluralität und Heterogenität vielleicht das Letzte, das uns noch verblieben ist. Gerade deshalb landen am Ende alle doch nur beim Grundgesetz, wenn wieder einmal nach der die Deutschen verbindenden Leitkultur oder Ähnlichem gefahndet wird. Dazu würde an sich auch die Festlegung einer gemeinsamen Sprache gut passen. Stutzig macht nur, dass der Vorschlag zu einer Zeit kommt, in der man sich der Gemeinsamkeit des Wertes, um den es geht, selber nicht mehr so sicher ist. Als auf den Schulhöfen noch deutsch gesprochen wurde, ohne dass dies von der Schulleitung extra angeordnet werden musste, hatte niemand ernsthaft auch nur daran gedacht. Das geschieht erst, je stärker in dieser Hinsicht Grund zur Sorge besteht. Daran wird freilich auch ein Verfassungszusatz wenig ändern, der uns wie alle symbolischen Regelungen bestenfalls eine Zeitlang in Sicherheit wiegt. Man muss dann nur aufpassen, dass aus dem beabsichtigten Selbstzeugnis kollektiver Identität nicht unversehens das Selbstzeugnis einer kollektiven Verzagtheit wird. |
Editorial Heft 3/2011: Hanseatisches Augenmaß bei AbmahnungenVon Rechtsanwalt Dr. Mirko Möller, LL.M., Dortmund
Das Geschäft mit Abmahnungen im Zusammenhang mit Internettauschbörsen boomt. Etwas mehr als eine Handvoll Rechtsanwaltskanzleien hat sich seit Jahren der Durchsetzung der Rechte der Musikindustrie verschrieben und bearbeitet praktisch keine anderen Mandate mehr. Selbst aus den Reihen dieser Kollegen ist aber zuweilen ein verhaltenes Stöhnen zu vernehmen, wenn die Musikindustrie in einer die anwaltliche Unabhängigkeit gefährdenden Weise nicht nur dezidiert vorgibt, wie die entsprechenden Mandate zu bearbeiten sind, sondern auch, wie die jeweilige Büroorganisation im Einzelnen auszusehen hat. Nur ein geringer Prozentsatz der abgemahnten Fälle gelangt zu Gericht. Nicht wenige der Abgemahnten geben die geforderte Unterlassungserklärung ab und zahlen widerstandslos die geforderten Pauschalbeträge. In diesem Massengeschäft kann man nicht zimperlich sein. Nur teilweise werden die vorformulierten Unterwerfungserklärungen überhaupt auf die konkreten Werke bezogen, hinsichtlich derer den Abgemahnten eine Urheberrechtsverletzung vorgeworfen wird. Gelegentlich wird hier gar mit dem an Unbestimmtheit nicht zu überbietenden Begriff des „geschützten Repertoires unserer Mandantschaft“ gearbeitet. Es bedarf keiner näheren Darlegung, warum von der Abgabe derartiger Unterlassungserklärungen nur dringend abgeraten werden kann. Aber es geht schließlich noch besser: Bei der (angeblichen) Einstellung mehrerer Werke in Tauschbörsen ist in der Vergangenheit zu beobachten gewesen, wie sich Abmahnanwälte gleich für eine Mehrzahl von Unternehmen bestellen und – allenfalls unter Vorlage nicht näher erläuterter Screenshots – eine Vielzahl von Urheberrechtsverletzungen behaupten, ohne hier irgendeine Zuordnung vorzunehmen. Einige Gerichte haben dem Abmahngeschäft in bedenklicher Weise Vorschub geleistet. Das LG Köln ist sogar davon ausgegangen, dass das Bestreiten der Rechteinhaberschaft unbeachtlich sei, weil es dazu diene, die Durchsetzung der Rechte zu erschweren (dazu Möller, NJW-aktuell H. 13/2010, S. 12). Hoffnung naht nunmehr aus einer der Hochburgen des Abmahngeschäfts. Das LG Hamburg hat in einer jüngeren Entscheidung (Urt. v. 8. 10. 2010 – 308 O 710/09, BeckRS 2010, 26419) einen Abmahnkostenersatzanspruch mit der Begründung verneint, dass eine Abmahnung für mehrere Rechteinhaber ohne konkrete Darlegung und Zuordnung der vermeintlichen Titel und Verletzungen nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Abmahnung genüge. Darüber hinaus hat das Gericht Augenmaß bewahrt, als es den geltend gemachten Schadensersatzanspruch im konkreten Fall mit 15 Euro je Titel angenommen hat. Als Freibrief für Rechtsverletzer ist die Entscheidung indes nicht zu verstehen: Das Gericht hat deutlich gemacht, dass die Bezifferung des Schadensersatzes eine Sache des Einzelfalles bleibt. |
Editorial Heft 1-2/2011: Beschleunigtes Verfahren bei der NJWVon Rechtsanwalt Tobias Freudenberg, NJW-Schriftleitung, Frankfurt a. M.
Liebe Leserinnen und Leser, die NJW startet mit einer Neuerung in den 64. Jahrgang, die nicht sogleich offensichtlich ist: Der Verlag C. H. Beck führt zum Jahreswechsel in seiner Frankfurter Niederlassung ein neues Redaktionssystem ein, das eine schnellere Zeitschriften- Bei dieser Änderung wollen wir es natürlich nicht bewenden lassen. Für den neuen Jahrgang haben wir uns weitere Optimierungen der NJW vorgenommen. Beispielsweise ist NJW-aktuell übersichtlicher gestaltet und damit deutlich besser lesbar. Der Mantelteil hat eine neue und klare Struktur, in der alle Rubriken ihre festen Seiten haben. Der Magazin- Auch im Beitrags- und Rechtsprechungsteil setzen wir die kontinuierliche Weiterentwicklung der Zeitschrift fort, halten aber an Bewährtem fest. Das heißt: Die NJW versorgt Sie weiterhin verlässlich und kompetent mit den wichtigen Fachinformationen in allen relevanten Rechtsgebieten. Damit bleiben wir auch unserem Anspruch treu, die Rechtszeitschrift für alle Juristen zu sein. Wobei die NJW längst nicht mehr nur eine Zeitschrift ist. Mit ihren regelmäßigen Beilagen NJW-Spezial und ZRP sowie der Datenbank NJWDirekt bildet sie ein attraktives multimediales Paket, das periodisch informiert und zugleich eine komfortable Recherche in einem umfassenden digitalen Archiv ermöglicht. Ein weiteres Plus der NJW sind die informativen Sonderbeilagen. Mit dieser Ausgabe erhalten Sie die SchwackeListe Nutzungsausfallentschädigung 2011. Auf diesen besonderen Service müssen Sie auch in Zukunft nicht verzichten. Wegen der positiven Resonanz auf die für die Praxis bedeutsamen Tabellen hat sich die NJW die Abdrucklizenz auch für die kommenden zwei Jahre gesichert. Für die weitere Optimierung der NJW gilt: Das Feedback der Leserinnen und Leser ist die wichtigste Erkenntnisquelle. Daher freuen wir uns, wenn Sie uns mit Anregungen oder Kritik unterstützen. Schreiben Sie uns an . Im Namen der gesamten NJW-Redaktion wünsche ich Ihnen ein gutes, gesundes und erfolgreiches Jahr 2011.
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