Transformationsgeld für Arbeitnehmer statt Staatshilfen für UnternehmenEine kritische Sicht auf immer neue Staatshilfen prägte die Eröffnung des diesjährigen Jahreskongresses der Insolvenzverwalter am 3.11.2022 in Berlin. Die schon im Vorjahr und nun sehr verschärft das Wirtschaftsgeschehen prägenden Disruptionen stellen den Berufsstand der Insolvenzverwalter vor große Herausforderungen: Zwar müsse eine Insolvenzwelle verhindert werden. Marktaustritte sind aber Grundvoraussetzung für einen funktionierenden Wettbewerb. Der Verband der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID) empfiehlt, in solchen Fällen Mitarbeitenden den Wechsel in neue Arbeitsverhältnisse über ein Transformationsgeld zu erleichtern.
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Problemstellung In einem hochexplosiven Wirtschaftsumfeld wurde am 3.11.2022 der Deutsche Insolvenzverwalter-Kongress 2022 eröffnet. Im Rahmen der Begrüßung der Teilnehmer durch den VDI-Vorsitzenden Dr. Christoph Niering (Köln) wurde – ausgehend von der zuletzt vielfach im Mittelpunkt stehenden Energiekrise – betont, dass vielfältige andere Faktoren die Entwicklung verschärfen, so die gestörten Lieferketten, die beispielsweise Elektro-Pkw-Bestellungen einschränken. Das Ende der Niedrigzinspolitik, die Inflationsrate und vieles anderes mehr, wie z.B. ein verändertes Konsumverhalten und der Fachkräftemangel, vergrößern die Problemlage, eine Lohn-Preis-Spirale deutet sich an. Vor diesem Hintergrund erinnerte Niering an einen altbekannten Erfahrungssatz: „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“ Das könne für die Betroffenen ein Problem sein, müsse es aber nicht.
Lösung Statt immer neuer Staatshilfen für Unternehmen fordern die Insolvenzverwalter ein Transformationsgeld für Arbeitnehmer/innen. In seiner Begründung empfahl Niering statt einer Arbeitsplatzerhaltung um jeden Preis die Fokussierung auf gesunde Geschäftsmodelle, was auch eine Normalisierung der Insolvenzzahlen und damit eine Abkehr von dem zuletzt niedrigen Niveau bedeute. Niering erläuterte: „Zur Bewältigung der Krise dürfen Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren nicht ausgeschlossen sein. Staatliche Unterstützung und Förderung sollten gezielt Unternehmen zugutekommen, die zukunftsfähig sind. Nicht mehr tragfähige Unternehmen binden wichtige Ressourcen, nicht zuletzt auch Arbeitskräfte, die in überlebensfähigen Einheiten dringend gebraucht werden.“ Aktuelle Hilfspakete wirken dagegen wie ein Staudamm. Kurzarbeitergeld könne zum Winterschlaf verführen und zum Beharren auf überholten Geschäftsmodellen. Der derzeit vieldiskutierte Gaspreisdeckel solle nur differenziert angeboten werden, um bisher energieineffizientes Verhalten nicht weiter zu fördern. Die Vielzahl angestauter Krisenunternehmen müsse abfließen können, ohne eine Insolvenzwelle zu erzeugen. Das werde letztlich auch dem Problem des Fachkräftemangels entgegenwirken. Der VID fordert insoweit ein Transformationsgeld über drei Monate (volle Gehaltszahlung statt Beantragung von Arbeitslohngeld), um den Wechsel in neue Arbeitsverhältnisse zu fördern. Nach Niering sollen „in dieser Zeit bei nicht fortgeführten Betrieben gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit die Arbeitnehmer aktiv und damit deutlich schneller in neue Beschäftigungsverhältnisse vermittelt werden. Dies reduziert letztendlich auch die finanziellen Aufwendungen für das Arbeitslosengeld“. Das gelte insbesondere für masselose Verfahren; bei Unternehmen mit Reserven seien eher andere Instrumente zu präferieren. Das Transformationsgeld solle nicht über eher komplizierte Transfergesellschaften laufen. Eine Sprinter-Prämie für besonders schnelle Vermittlungen sei vorstellbar. Es gehe auch um Unterstützung bei Bewerbungsprozessen für solche, die insoweit ungeübt sind wegen langjähriger Beschäftigung. Das müsse mit einem erweiterten Insolvenzschutz der Altersversorgung für ältere Kleinunternehmer flankiert werden. Im anschließenden Grußwort aus dem Bundesministerium der Justiz wurde durch Dr. Heike Neuhaus betont, dass auf längere Zeit keine wirtschaftliche Normalisierung zu erwarten sei, zumal von der Geldpolitik keine Entspannung geleistet werden könne, weil mit Zinsanhebungen die Inflation einzudämmen sei. Es verdichten sich Hinweise auf eine deutliche Erhöhung der Insolvenzzahlen. Zwar war das Management der Corona-Krise erfolgreich, aber es gebe eben auch viele, für die eine verschleppte Insolvenzbewältigung zu verzeichnen sei. Marktaustritte sind aber Grundvoraussetzung für einen funktionierenden Wettbewerb, zumal jetzt weitreichende Transformationsprozesse anstehen (Digitalisierung, Klimawandel). Die Gesellschaft müsse den erforderlichen Strukturwandel akzeptieren. Deshalb sollte der Fokus jetzt auf der Insolvenzbewältigung liegen, nicht auf Insolvenzverhinderung. Regelungen zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht seien daher aktuell nicht das Mittel der Wahl, hier werde nur im Rahmen der Überschuldungsprüfung nachgebessert, um unnötige Antragstellungen zu vermeiden. Weitere Entwicklungen müssen fortlaufend geprüft werden. Insolvenzzahlen bewegen sich mit Nachholeffekten auf das Vorkrisenniveau zu. Außerhalb von Insolvenzverfahren mögliche Sanierungen (das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) als aus BMJ-Sicht gelungene Erweiterung des Instrumentenkastens) wirken trotz relativ geringer Zahlen, weil schon im Vorfeld gegengesteuert wird. Deshalb werden hierzu nun auch die Zugangsvoraussetzungen erleichtert. Auf europäischer Ebene wird am 7.12.2022 ein Vorschlag für die weitere Entwicklung des Insolvenzrechts erwartet. Themen sind:
Ein roter Faden ist für Neuhaus nicht erkennbar, daher besteht die Sorge wegen unmethodischen Vorgehens, so etwa hinsichtlich der Harmonisierung des Anfechtungsrechts mit bzw. ohne Fiskus-Privileg. Die Harmonisierung von Geschäftsleiterpflichten wird ebenfalls kritisch gesehen, weil der Insolvenzbegriff in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich ausgelegt wird (enge bzw. lockere Definition).
Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld
BC 12/2022
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