Nachhaltigkeitsorientierter Umbau der WirtschaftWenn kürzlich über einen weiter zunehmenden Restrukturierungsbedarf berichtet und damit die Einleitung bzw. Umsetzung von grundlegenden strategischen Veränderungen adressiert wurde, so ist das zu einem großen Teil auch der mehr und mehr Gewicht gewinnenden Nachhaltigkeitsmaxime geschuldet. Eine neue Studie belegt zwar, dass der Umbau der Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit – wichtiger Treiber sind Anforderungen der Kapitalmärkte – deutlich vorankomme; aufgedeckt wird aber auch, dass vielerorts noch großer Nachholbedarf besteht.
Praxis-Info!
Problemstellung Der kräftig wachsende Stellenwert der Nachhaltigkeit kommt darin klar zum Ausdruck, dass 84% der Verantwortlichen für Nachhaltigkeit in Unternehmen der Realwirtschaft sagen, das Thema sei „wichtiger“ oder „viel wichtiger“ geworden. In der Finanzwirtschaft liegt der Wert mit 73% nicht viel niedriger; ein wichtiger Treiber des Trends ist eben insbesondere der Druck auf den Kapitalmärkten. Das sind am 12.1.2023 veröffentlichte Ergebnisse des Sustainability Transformation Monitors 2023 (STM – Überwachung der Nachhaltigkeitstransformation), einer breit angelegten Befragung von Unternehmen in Deutschland. Getragen wird das Projekt nicht von Interessensvertretern, bei denen man Eigennutzen mit Blick auf die Weckung von Beratungsbedarf vermuten könnte, sondern von einem renommierten, breit aufgestellten Expertenteam der Bertelsmann-Stiftung, der Stiftung Mercator, der Peer School for Sustainable Development („Schule“ für nachhaltige Entwicklung) und der Universität Hamburg. Diese Beteiligten stehen wie sonst selten anzutreffen für eine besonders ausgewogene Thesenbildung und eine entsprechend unterfütterte Ableitung von Handlungsempfehlungen. Wenn auch das Nachhaltigkeitsstreben gemäß den vorgenannten Befragungsergebnissen mehr und mehr Akzeptanz findet, so ist mit den Studienautoren aber doch festzustellen, dass sich bislang allerdings nur rund ein Drittel der Unternehmen der Realwirtschaft und lediglich ein Viertel der Finanzwirtschaft konkrete Klimaziele gegeben haben. Es gibt demnach noch viel „Luft nach oben“, sodass die Frage im Raum steht, welche Prioritätenaktuell zu setzen sind.
Lösung (1) Weitere Befragungsergebnisse im Überblick: Allerdings dürften sich die vorgenannten Defizite relativ schnell abbauen lassen. Denn 43% der Befragten aus der Realwirtschaft und 33% aus der Finanzwirtschaft geben an, die Formulierung von Klimazielen sei „in Vorbereitung“. Bei kapitalmarktorientierten Unternehmen spielt das Thema „Nachhaltigkeit“ eine etwas größere Rolle als bei den übrigen Firmen. 72,5% von ihnen sagen, die Geldgebenden seien an der Nachhaltigkeitstransformation ihres Unternehmens interessiert. 55,6% beurteilen das Thema als „sehr wichtig“ oder „eher wichtig“ bei der Finanzierung ihres Unternehmens. Aber auch bei den nicht-kapitalmarktorientierten Unternehmen sind es 59,1% bzw. 45,2%. Nachhaltigkeit ist bei Banken und privaten Investoren mit 41,3% und 45,2% am stärksten verankert; hier hinken Versicherungen (30,85%) und die öffentliche Hand (30,3%) hinterher. Wirtschaftliche Motive sind in der Finanzwirtschaft wichtigster Grund, um nachhaltige Produkt- und Serviceportfolios anzubieten. Minimierung und Management von Risiken stehen als Argument für ein nachhaltiges Produkt- und Serviceportfolio an zweiter Stelle. (2) Handlungsfelder: Erforderlich ist nach Ansicht der Studienautoren zunächst eine tiefe Integration von Nachhaltigkeit in die Geschäftsstrategie und -prozesse. Vor dem Hintergrund neuer Regulation können Unternehmen es sich nicht mehr leisten, Nachhaltigkeit lediglich als ein „added benefit“ (einen Zusatznutzen) in ihrer Entscheidungsmatrix zu behandeln. Stattdessen wird sich Nachhaltigkeit voraussichtlich zu einem zentralen Erfolgsfaktor der Geschäftsstrategie von Unternehmen entwickeln. Als zweites Handlungsfeld wird die Schaffung einer umfassenden Datenbasis genannt: Mit der bereits teilweise in Kraft getretenen EU-Taxonomie-Verordnung sowie der zukünftig geltenden Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD, EU-Richtlinienvorschlag zur nachhaltigkeitsbezogenen Unternehmensberichterstattung) kommen auf Unternehmen schärfere Regulierungen im Bereich Nachhaltigkeit zu. Auch ist nicht davon auszugehen, dass diese Gesetzesrichtlinien die letzten ihrer Art sein werden. Damit ist die Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsberichterstattung als drittem Handlungsfeld unmittelbar verbunden. Bisherige Nachhaltigkeitsberichte werden häufig nur als freiwilliges „Add-on“ (Erweiterung) zum Geschäftsbericht der Unternehmen wahrgenommen. Dies wird sich unter den neuen gesetzlichen Vorgaben künftig ändern. Unternehmen werden verpflichtet sein, eine deutlich ausführlichere Berichterstattung zur Nachhaltigkeit ihrer Geschäftsprozesse zu präsentieren. Einheitliche Standards für die Berichterstattung werden zukünftig helfen, die Auswirkungen der Unternehmen auf Umwelt und Menschen sichtbar und vergleichbarer zu machen. Viertens wird es gemäß STM-Autoren auf eine effektive Zusammenarbeit und einen intensiven Dialog von Real- und Finanzwirtschaft ankommen. Die Ergebnisse deuten demnach darauf hin, dass es eine Entwicklung über das „Vermeiden von negativen Investments“ hin zur Förderung von nachhaltigeren Geschäftsmodellen und konkreten Transformationsfinanzierungsmodellen geben wird. Nachhaltiges „Impact“-Investment (Wirkungsinvestition) kann eine entscheidende Rolle spielen, Unternehmen zur Entwicklung nachhaltigerer Geschäftsmodelle zu incentivieren (Anreize setzen). Damit dies geschehen kann, sei es wichtig, die Kommunikation zwischen den beiden Welten weiter zu intensivieren. Die Investition in nachhaltige Technologien und digitale Prozesse ist das STM-Handlungsfeld Nr. 5: In dem aktuellen Monitor zeigt sich schon beim Thema „Berichterstattung“ die enge Verzahnung der digitalen und der Nachhaltigkeitstransformation: In vielen Unternehmen stelle die mangelnde Digitalisierung eine der größten Hürden bei der Bereitstellung von Nachhaltigkeitsdaten dar. Unternehmen müssen – so die im STM erhobene Forderung – jetzt in nachhaltige Technologien und digitale Prozesse investieren, um damit nicht nur die Grundlage für ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung zu bilden, sondern auch ihre Nachhaltigkeitsperformance zu optimieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. (3) ESG-Kriterien in Vergütungssystemen: Ein besonders wichtiges und zugleich untergewichtig behandeltes Handlungsfeld wird hier separat behandelt: Da gemäß dieser Studie und etlichen anderen, die gleichlautende Trends sehen, die weitere Durchdringung des Wirtschaftsgeschehens mit Nachhaltigkeitsthemen unabdingbar ist, wird es auch erforderlich sein, dass ESG-Kriterien (ESG: Environmental/Umwelt, Social/Soziales, Governance/verantwortungsvolle Unternehmensführung und -überwachung) zunehmend in die Vergütungssysteme integriert werden. Das ist vielerorts gerade im deutschen Mittelstand zwar noch Zukunftsmusik, aber immerhin heißt es in einer Mitteilung vom 18.1.2023 über den Executive Compensation Report 2022 der Diligent-Gesellschaft Insightia, dass der Anteil der in Europa börsennotierten Unternehmen, die ESG-Kennzahlen (KPI = Key Performance Indicators) in ihre Vergütungspläne für Führungskräfte einbeziehen, von 15% im Jahr 2008 auf 46% im Jahr 2021 gestiegen ist. Frankreich ist bei dieser Entwicklung führend. 82% der Aktiengesellschaften (AG) mit Hauptsitz in Frankreich haben bereits entsprechende Indikatoren eingeführt. Deutsche Unternehmen hinken bei der Entwicklung dagegen deutlich hinterher: Nur 22% von ihnen haben mit Stand Ende 2021 ESG-Indikatoren in den Vergütungsplänen ihres Managements berücksichtigt. Der aktuellere, aber auch auf Nicht-AG bezogene STM bekräftigt den Nachholbedarf: Nur in einer vergleichsweise kleinen Gruppe der Organisationen gibt es Vergütungsmodelle, die Nachhaltigkeitskriterien entweder bei der Geschäftsführung (Realwirtschaft: 15,7%; Finanzwirtschaft: 17,1%) oder aber auch beim mittleren Management (12,7% bzw. 17,8% der Befragten) berücksichtigen.
Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld
BC 2/2023
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