Körperschaftsteuerliche Organschaft bei Mängeln des GewinnabführungsvertragsBFH-Urteil vom 13.7.2022 – I R 42/18
– Gewinnabführungsverträge sind nach objektiven Gesichtspunkten einheitlich aus sich heraus auszulegen. Umstände, für die sich keine ausreichenden Anhaltspunkte im Vertrag finden, können zur Auslegung grundsätzlich nicht herangezogen werden (Bestätigung der Rechtsprechung). – Die Korrektur einer Unstimmigkeit in einem Gewinnabführungsvertrag durch einen notariellen Nachtragsvermerk nach § 44a Abs. 2 S. 1 BeurkG entfaltet jedenfalls dann keine steuerliche Rückwirkung, wenn sich der tatsächlich gewollte Vertragsinhalt nicht objektiv aus den Vertragsregelungen heraus ergibt und unklar ist, wie eine mögliche Lücke in der Vertragsurkunde zu füllen ist.
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Problemstellung Die körperschaftsteuerliche Organschaft ermöglicht die ertragsteuerliche „Konsolidierung“ von Gewinnen und Verlusten einer Kapitalgesellschaft bei dem Organträger. Grundsätzlich werden Kapitalgesellschaften nach dem „Trennungsprinzip“ besteuert, sodass jede einzelne Kapitalgesellschaft „für sich“ der Ertragsbesteuerung unterliegt. In dem besonderen Fall einer (wirksamen, steuerlich anzuerkennenden) Organschaft wird jedoch das Einkommen der Organgesellschaft, soweit sich aus § 16 KStG nichts anderes ergibt, dem Organträger zugerechnet und unterliegt bei diesem der Ertragsbesteuerung (§ 14 Abs. 1 S. 1 KStG). Für die Gewerbesteuer ergibt sich nach § 2 Abs. 2 S. 2 GewStG im Wesentlichen derselbe Effekt. Die körperschaftsteuerliche Organschaft ist an zahlreiche Tatbestandsmerkmale in §§ 14, 17 KStG geknüpft:
Daneben ergibt sich aus der Voraussetzung eines Gewinnabführungsvertrags im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG (oder einer entsprechenden wirksamen Verpflichtung nach § 17 Abs. 1 KStG) ein weiteres Tatbestandsmerkmal, für das das Gesetz einen Abschluss für mindestens fünf Jahre und eine Durchführung während der gesamten Geltungsdauer fordert (§ 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 1 KStG). Rund um dieses Tatbestandsmerkmal rankt sich dementsprechend eine umfassende Rechtsprechung, die den Inhalt des Vertrags selbst betreffen kann (z.B. BFH Urt. v. 12.1.2011 – I R 3/10, DStR 2011, 717, zur Mindestlaufzeit), aber auch seine tatsächliche Durchführung (BFH Urt. v. 21.10.2010 – IV R 21/07, DStR 2010, 2505) oder seine bei „wichtigem Grund“ zulässige vorzeitige Beendigung (z.B. BFH Urt. v. 13.11.2013 – I R 45/12, DStR 2014, 643). Gefahren drohen damit bei jeglichen Mängeln im Gewinnabführungsvertrag, etwa wenn dieser einen Ausgleich eines während der Vertragsdauer entstehenden Jahresfehlbetrags nach Entnahme aus Gewinnrücklagen und Kapitalrücklagen anordnet, statt korrekterweise nur die Gewinnrücklagen zu nennen (FG Düsseldorf Urt. v. 17.4.2018 – 6 K 2507/17 K, DStR 2018, 1857, rkr.; Brühl/Weiss, DStR 2018, 2368). Einen noch fundamentaleren Fehler hatte der BFH nun zu beurteilen: Der Gewinnabführungsvertrag im Urteilssachverhalt war im Jahr 1991 bis zum 31.12.1996 abgeschlossen worden. Beim Abschluss wurde jedoch im § 4 des Vertrags ein Absatz 2 vergessen, der eine (automatische) Verlängerung der Laufzeit hätte bewirken sollen, solange keine Kündigung vorgenommen wurde. Dieser Fehler sollte nach seiner Entdeckung im Jahr 2012 (!) korrigiert werden, indem der Amtsnachfolger des beurkundenden Notars einen Nachtragsvermerk anfertigte, der den entsprechenden Absatz enthielt. Aufgrund dieses Mangels hatte das Finanzamt die Organschaft für die Streitjahre 2006 bis 2009 nicht anerkannt. Es nahm in Höhe der vorgenommenen Gewinnabführungen verdeckte Gewinnausschüttungen der (vermeintlichen) Organgesellschaft an („verunglückte Organschaft“), mit der Folge der Erhöhung ihres Einkommens (§ 8 Abs. 3 S. 2 KStG). Gegen diese Körperschaftsteuerbescheide klagte die (vermeintliche) Organgesellschaft.
Lösung Der I. Senat des BFH hat die Revision jedoch zurückgewiesen. Unabdingbare Voraussetzung für die Anerkennung einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft sei ein auf mindestens fünf Jahre abgeschlossener Gewinnabführungsvertrag, der auch zivilrechtlich wirksam ist. Der Gewinnabführungsvertrag habe jedoch am 31.12.1996 geendet. Der fehlende Absatz zur automatischen Verlängerung könne nicht nachträglich in den Vertrag „hineingedeutet“ werden. Vielmehr sei der Vertrag nach objektiven Gesichtspunkten einheitlich aus sich heraus auszulegen. Hintergrund der strengen Auffassung des I. Senats des BFH ist, dass er den Finanzbehörden eine sichere Prüfungs- und Beurteilungsgrundlage geben möchte, ob – durch die Organschaft – ausnahmsweise ein Steuersubjekt an die Stelle eines anderen Subjekts tritt. Ein „faktisches Wahlrecht“ der Parteien zur Organschaft oder gegen sie solle gerade verhindert werden.
Dr. Martin Weiss, Steuerberater, Fachberater für Internationales Steuerrecht, Dipl.-Kfm., Verlag C.H.BECK, München
BC 1/2023
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