Kennziffer „Working Capital“: Optimierungsmöglichkeiten in der Rechnungswesenpraxis
Branchenvergleiche und Steuerungsinstrumente
Die Finanzierung der Ausweitung der Geschäftstätigkeit durch Kapitalgeber (Gesellschafter, Banken) stößt seit einigen Jahren immer mehr an ihre Grenzen. Auch neuere Finanzierungsformen (z.B. stille Beteiligung, Genussrechte) können hier nur bedingt einen Ausgleich schaffen. Das Working Capital (u.a. Laufzeiten der Debitoren und Kreditoren) wirkt hierbei als „Bonitätshebel“: Eine hohe Working-Capital-Bildung ist mit einem hohen Kapitalbedarf verbunden und umgekehrt. Eine Studie der Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner (aus dem Jahr 2004) gibt Antworten u.a. auf die Fragen: Welche Bindungsdauer haben Unternehmen im Working Capital? Wie lässt es sich steuern bzw. optimieren?
Die wenigsten Controlling-/Rechnungswesensysteme sind heute durchgängig auf die Abbildung der Working-Capital-Konsequenzen ausgerichtet. Häufig ist beispielsweise nicht bekannt, welche Folgen eine Produkteinführung über den gesamten Produktlebenszyklus für das Working Capital hat. Bei vielen Produkten steigen z.B. in der Phase des Absatzrückgangs die Working-Capital-Kosten (u.a. auf Grund geringerer Lagerumschlagshäufigkeit) stark an.
Was ist unter „Working Capital“ zu verstehen? Welche Aussagekraft hat es? Das Working Capital – auch als Netto-Umlaufvermögen bezeichnet –, eine absolute Kennzahl zur Beurteilung der Liquidität, beinhaltet den längerfristig finanzierten Teil des Umlaufvermögens:
Umlaufvermögen (soweit innerhalb eines Jahres liquidierbar) ./. kurzfristige Verbindlichkeiten . = Working Capital
Das Netto-Umlaufvermögen verändert sich nicht bei Geschäftsvorfällen, die lediglich die kurzfristigen Bilanzpositionen (z.B. Bezahlung kurzfristiger Verbindlichkeiten in bar oder mit Wechsel) oder nur die langfristigen Bilanzpositionen (z.B. Rücklagenzuweisung) berühren. Beeinflusst wird es durch Entscheidungen, die langfristige und kurzfristige Bilanzpositionen tangieren (z.B. Barverkauf eines Grundstücks, Tilgung langfristiger Schulden aus Barmitteln). Das Working Capital sollte immer positiv sein, da negatives Working Capital auf die Nichteinhaltung der goldenen Bilanzregel hinweist (fehlende Deckung des Anlagevermögens und des langfristigen Umlaufvermögens durch das Eigenkapital und das langfristige Fremdkapital). Das Working Capital offenbart insbesondere, in welchem Umfang Teile des kurzfristig freisetzbaren Umlaufvermögens lang- bzw. mittelfristig finanziert sind. Dieser Manövrierfond könnte zur Finanzierung langfristigen Kapitalbedarfs eingesetzt werden. Das Working Capital schultert somit via Forderungslaufzeiten und Bestandsvorhaltung Versäumnisse in der Wettbewerbsfähigkeit der primären Leistungsfaktoren (Produkte, Marke, Dienstleistungen). Nicht selten steigt das Working Capital vor Krisensituationen deutlich an.
Welche Bindungsdauer im Working Capital haben Unternehmen im internationalen Vergleich? Mit einer steigenden Bindungsdauer im Working Capital nimmt der Kapitalbedarf für die Expansionsfinanzierung eines Unternehmens erheblich zu. Hinsichtlich der durchschnittlichen Bindungsdauer im Netto-Umlaufvermögen bestehen im internationalen Vergleich erhebliche Unterschiede; die Bindungsdauer beträgt – im Branchenvergleich
Für Anstrengungen zur Optimierung des Netto-Umlaufvermögens (Senkung der Bindungsdauer) ist für die Praxis insbesondere ein Branchenvergleich der Bindungsdauer bei einzelnen Bestandteilen des Working Capital aufschlussreich; die nachstehende Tabelle bietet wichtige Anhaltspunkte zur Selbstdiagnose.
Je länger der Zeitraum, in dem die Lieferantenverbindlichkeit nicht bezahlt wird, desto länger steht dem Unternehmen ein zinsloser Kredit zur Verfügung (entscheidender Nachteil: nach 3 bis 10 Tagen Verlust des Skontoabzugs).
Die nachstehende Übersicht verdeutlicht u.a. eine relativ hohe Kapitalbindung mittelständischer Unternehmen beim Vorratsvermögen (Bestandsreichweite). Bei der Reichweite der Lagerbestände schneiden größere Unternehmen allein schon insofern besser ab, als sie in aller Regel größere Volumina absetzen als kleine Unternehmen.
Wie lässt sich das Working Capital konkret steuern? Eine Optimierung des Netto-Umlaufvermögens erhöht die Innenfinanzierungsspielräume nachhaltig; hierdurch wird Eigenkapital für notwendige Investitionen und Desinvestitionen geschaffen. Unmittelbare Folgen für die einzelnen Komponenten des Working Capital (z.B. Forderungslaufzeit, Lagerbestände) haben u.a. die Komplexität des Produktprogramms, Sortimentsveränderungen, spezifische Machtverhältnisse auf den Märkten, Gestaltungsmaßnahmen bei der Bilanzierung (z.B. Factoring von Forderungen), die Wertschöpfungstiefe, Internationalisierungsschritte (z.B. Finanzierung von Lagerbeständen im Zielland) usw.
Optimierung des Working-Capital-Bestands bei einzelnen Prozesskomponenten Bestandssenkungsprogramme, straffes Forderungsmanagement und gesteigerte Lieferantenbeanspruchung führen zur Verbesserung der Kennziffer „Reichweite des Working Capital“:
Geplante und effektive Bestandsgrößen bei Forderungen, Beständen und den Lieferantenverbindlichkeiten sind kontinuierlich zu prüfen.
Branchenspezifische Hinweise zur Optimierung des Working-Capital-Bestands Sofern in der Konsumgüterindustrie mit hoher Umschlagshäufigkeit der Endprodukte und damit geringen Warenbeständen (z.B. Nahrungsmittelunternehmen) die Lagerreichweite der Bestände an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen (RHB) sowie Fertigwaren mehr als 60 Tage beträgt, sollten insbesondere folgende Working-Capital-Initiativen ergriffen werden:
Bei Unternehmen der Konsumgüterindustrie mit geringer Umschlagshäufigkeit der Endprodukte und damit hohen Warenbeständen (z.B. Porzellanfiguren) empfehlen sich folgende Maßnahmen zur Optimierung des Working-Capital:
In der anlagenintensiven Investitionsgüterindustrie können insbesondere erhaltene Anzahlungen das Working Capital senken.
Das Working Capital stellt eine quer zu den betrieblichen Funktionen (insbesondere Einkauf, Produktion, Vertrieb, Rechnungswesen) laufende Größe dar; insofern müssen entsprechende Controllingsysteme bei der Kostenarten-/-stellenrechnung ansetzen. Noch deutlich unterentwickelt sind Controllingsysteme, die einzelne Funktionsbereiche mit Hilfe unmittelbarer Kennzahlen steuern (zur Einhaltung finanzwirtschaftlicher Ziele), z.B.:
Welche Auswirkung haben Veränderungen des Working Capital auf Bilanz- und GuV-Strukturen? Jede Verbesserung des Working Capital, d.h. Verkürzung der Bindungsdauer bei Kundenforderungen, Lagerbeständen oder Verlängerung der Bindungsdauer bei Lieferantenverbindlichkeiten, setzt liquide Mittel frei. Bei Unternehmen, welche die Bindungsdauer ihres Netto-Umlaufvermögens von 143 Tage auf 80 Tage verringern konnten, hat dies beispielsweise zur Folge:
Unternehmen mit negativen Jahresüberschüssen, insbesondere wenn diese über mehrere Perioden anfallen, müssen allerdings nicht zwangsläufig schlechtere Working-Capital-Kennziffern aufweisen.
Die Kennziffer „Working Capital zur Bilanzsumme“ (vgl. Tabelle) gibt u.a. Aufschluss über zu erwartende Liquiditätsprobleme: Bereits drei Jahre vor einer Liquiditätskrise verschlechtert sich diese Messgröße erfahrungsgemäß erheblich.
BC 1/2005 |