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MaI: 16. Marburger Insolvenzrechtstag (25.05.2023, Marburg) - NZI 15/2023

Von RAin Nadine Eschen, Marburg | Jul 04, 2023
Am 25.05.2023 fand der von RA Manfred Kuhne, Marburg, veranstaltete und von diesem und Professor Dr. Andreas Rein, Ludwigshafen, geleitete 16. Marburger Insolvenzrechtstag bei schönstem Wetter, untermalt mit Livemusik, in der malerischen Dammmühle in Marburg statt. In diesem Jahr referierten Prof. Dr. Jens Schmittmann, Rechtsanwalt Torsten Steinwachs und Rechtsanwalt Kai Henning.

Steuerliche Highlights 2022/23 aus Sicht der Insolvenzverwaltung

Den Auftakt machte Prof. Dr. Jens M. Schmittmann mit dem Sanierungs- und insolvenzrechtlichen Krisenfolgenabmilderungsgesetz (SanInsKG) vom 31.10.2022, das das COVInsAG abgelöst hatte. Mit § 4 SanInsKG sind die in §§ 19 III 1, 270a I Nr. 1 InsO und § 50 II Nr. 2 StaRUG genannten Zeiträume einheitlich auf vier Monate verkürzt worden. Diese Verkürzung gilt grundsätzlich auch, wenn vor dem 09.11.2022 eine Überschuldung nach § 19 InsO vorlag. § 4a SanInsKG regelt nun auch eine Höchstfrist für die Antragstellung bei Überschuldung: In dem Zeitraum vom 09.11.2022 bis einschließlich 31.12.2023 tritt an die Stelle des § 15a I 2 InsO genannten Zeitraum von sechs Wochen ein Zeitraum von acht Wochen. Nach Ansicht von ‚Schmittmann bleibe, ob das Gesetz tatsächlich nur temporär bis zum 31.12.2023 gelte oder wie seine Vorgänger verlängert oder gar entfristet werden.

Schmittmann wandte sich den steuerlichen Folgen des SanInsFOG und dazu, ob Vorsteuer aus der Vergütung des Sanierungsmoderators und des Restrukturierungsbeauftragen gezogen werden kann, zu. Fraglich sei zunächst, wer Leistungsempfänger sei. Der Referent stellte dazu die Vergleichsüberlegung der Vorsteuer aus einem vom Gläubigerausschuss beauftragten Kassenprüfung an. Hierzu hat der BFH (NZI 2022, 815 mAnm Schmittmann NZI 2022, 816) entschieden, dass von einer unmittelbaren Auftragserteilung durch die Insolvenzmasse jedenfalls dann auszugehen sei, wenn der Insolvenzverwalter in die Beauftragung eines Kassenprüfers eingebunden ist, indem er dem Gläubigerausschuss den Prüfer vorschlägt und dem Prüfer den Beschluss des Gläubigerausschusses über dessen Beauftragung übermittelt. Werde ein sachverständiger Dritter durch den Insolvenzverwalter mit der Prüfung beauftragt, seien die Kosten der Prüfung Masseverbindlichkeiten, da sie iSd § 55 I Nr. 1 InsO durch die Verwaltung der Masse verursacht würden. In diesem Fall stehe der Insolvenzmasse der Vorsteuerabzug aus den Prüfungsleistungen zu.

Hinsichtlich der Umsatzsteuer sei zu beachten, dass der Sanierungsmoderator keine Person iSd § 34 AO ist. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bleibe regelmäßig beim Schuldner. Es sei beim Schuldner eine Korrektur der Vorsteuer gem. § 17 UStG zu prüfen, wenn der Gläubiger, insbesondere ein Lieferant oder Dienstleister, auf eine Forderung verzichtet habe. Ein Forderungsverzicht aus anderen umsatzsteuerlich unbeachtlichen Rechtsverhältnissen habe keine Folgen.

Beim Gläubiger sei im Falle eines Forderungsverzichts eine Korrektur der Umsatzsteuer gem. § 17 UStG zu prüfen. Als Rechtsfolgen eines Restrukturierungsplans sei zu beachten, dass der Wegfall von Verbindlichkeiten zu einer Gewinnerhöhung, der Verlust einer Forderung zu einem Aufwand führe.

Voraussetzung für die Steuerbefreiung nach § 3a EStG sei die Sanierungsbedürftigkeit, die Sanierungsfähigkeit sowie die Sanierungseignung. Eine Sanierung sei eine Maßnahme, die darauf gerichtet ist, die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zu verhindern oder zu beseitigen und zugleich die wesentlichen Betriebsstrukturen zu erhalten (§ 8c Ia S. 2 KStG).

 Hinsichtlich der Restschuldbefreiung und Betriebsaufgabe sei zu beachten, dass ein Buchgewinn, der aufgrund der Erteilung einer Restschuldbefreiung entsteht, grundsätzlich im Jahr der Rechtskraft des gerichtlichen Beschlusses zu erfassen sei (BFH 03.02.2016 – X R 25/12, BeckRS 2016, 94410). Wenn der Betrieb jedoch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegeben wurde, müsse ein in das Jahr der Aufstellung der Aufgabebilanz zurückwirkendes Ereignis vorliegen (s. auch BGH NZI 2017, 583 mAnm Schmittmann). Im Falle einer Betriebsaufgabe wäre daher eine Aufgabebilanz zu erstellen, hier seien vor allem die Verlustvorträge problematisch.

In Fortführung des Senatsurteils vom 13.12.2016 (BFH NZI 2017, 583 mAnm Schmittmann und Harder VIA 2017, 79) hat der BFH entschieden, dass die RSB-Erteilung iRd Insolvenzverfahrens für die Ermittlung des Gewinns aus einer Betriebsaufgabe auch dann ein rückwirkendes Ereignis darstelle, wenn der Betrieb erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegeben worden sei.

Die aus der RSB resultierenden Steuern sein im Fall der Betriebsaufgabe nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseverbindlichkeiten iSd § 55 I Nr. 1 InsO, da sie Folge der Verwaltung durch den Insolvenzverwalter seien (BFH NZI 2023, 88). Schmittmann wies auf das BMF Schreiben vom 08.04.2022 – IV C 6 S 2242/20/1002 hin, nachdem abweichend von den Aussagen im BMF-Schreiben vom 22.12.2009 (BStBl. I 2010 S. 18),die erteilte Restschuldbefreiung ein auf den Zeitpunkt der Betriebsaufgabe rückwirkendes Ereignis darstelle. Dies gelte unabhängig davon, ob der Betrieb vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegeben wurde. Aus Gründen des Vertrauensschutzes müsse der Steuerpflichtige die erteilte Restschuldbefreiung nicht als rückwirkendes Ereignis behandeln, wenn der Betrieb nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und vor Veröffentlichung dieses BMF-Schreibens aufgegeben wurde, bzw. als aufgegeben gelte. Sofern der Betrieb vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegeben wurde bzw. als aufgegeben gelte, könne der Steuerpflichtige bei Betriebsaufgaben vor dem 08.08.2017 entsprechend verfahren.

Der BFH hat entschieden, dass wenn das Insolvenzverfahren nach rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans aufgehoben wird, das Finanzamt die Lohnsteuer, die es nicht zur Insolvenztabelle angemeldet hat, als Nachzügler im Wege eines Haftungs- und Nachforderungsbescheids innerhalb der Frist des § 259b InsO festsetzen kann. Dem Finanzamt sei kein Verschulden an der Nichtanmeldung von Steuer- und Haftungsansprüchen zur Insolvenztabelle anzulasten, wenn es die Kenntnis vom Bestehen der Ansprüche erst nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans infolge einer Lohnsteuer-Außenprüfung erlange. Die teilweise Befreiung des Insolvenzschuldners von seinen Verbindlichkeiten durch den Insolvenzplan berühre nur die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis, weshalb das FA bei deren Festsetzung nicht auf die Insolvenzquote beschränkt sei (BFHE 275, 493= NZI 2022, 752).

Die Geschäftsführerhaftung entfällt nicht bei eigenem Unvermögen des Geschäftsführers (BFH DStR 2023, 496). Wer den Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer nicht entsprechen könne, müsse von der Übernahme der Geschäftsführung absehen bzw. das Amt niederlegen. Ein Geschäftsführer, der sein Amt aufgrund einer rechtskräftigen Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung kraft Gesetz verloren hat, könne aufgrund des Rechtsscheins des Handelsregisters für Steuern der GmbH in Haftung genommen werden. Die Haftung nach § 34 AO setze eine wirksame und andauernde Bestellung als Geschäftsführer voraus, die faktische Geschäftsführung reiche dafür nicht aus (FG Münster NZI 2023, 347).

Das FG Düsseldorf hatte anscheinend Mitleid mit einem Geschäftsführer, in dem dortigen Fall entschieden die Richter, dass die Geschäftsführung nach Ablauf eines befristeten Anstellungsvertrags ende, obwohl der Geschäftsführer noch im Handelsregister als solcher eingetragen war. Ein Haftungsbescheid sei wegen fehlerhafter Ermessensausübung aufzuheben, wenn die Finanzbehörde rechtsirrtümlich davon ausgehe, dass eine andere Person als Haftungsschuldner nicht in Betracht komme, obwohl eine andere Person zum Geschäftsführer bestellt worden sei oder die Geschäftsführung faktisch übernommen habe. Dieses Urteil des FG Düsseldorf (18.11.2022 – 3 K 590/21, BeckRS 2022, 35870) liegt derzeit zur Überprüfung beim BFH.

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt nicht zum Entstehen eines Aufrechnungsverbots zugunsten des freigegebenen Vermögens des Schuldners, so das FG Münster (NZI 2023, 342 mAnm Schmittmann). Das FG Düsseldorf hat sich mit der Umsatzsteuer in der vorläufigen Eigenverwaltung beschäftigt. (FG Düsseldorf NZI 2023, 430 mAnm. Schmittmann). Das Hessische FG hat darauf hingewiesen, dass auch das Finanzamt hat bei der Stellung eines Insolvenzantrags Ermessen auszuüben habe (NZI 2023, 353). Der BGH hat sich zur Massezugehörigkeit von (Einkommen-)Steuererstattungsansprüchen bei Restschuldbefreiung im laufenden Insolvenzverfahren geäußert (NZI 2022, 226) und am 28.06.2022 entschieden, dass die Tatsachen, aus denen sich nach Einschätzung des Gläubigers ergibt, dass der bereits zur Insolvenztabelle festgestellten Forderung eine Steuerstraftat des Schuldners zugrunde liegt, gem. § 177 I InsO nachträglich angemeldet werden können (BFH NZI 2022, 907).

Im zweiten Teil des Vortrags ging Schmittmann auf das derzeit brennend heiße Thema der Relevanz von Kryptowerten, die zunehmend an Bedeutung gewinnen, ein. In Insolvenzverfahren stelle sich immer häufiger die Frage, wie im Rahmen des Insolvenzverfahrens mit diesem umzugehen sei und wie der Insolvenzverwalter Zugriff auf die Kryptowerte erlangen könne.

Abschließend zeigte Schmittmann strafrechtliche Risiken im Zusammenhang mit dem SanInsFoG auf. In § 42 StaRUG ist die strafbewehrte Pflicht zur Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung gegenüber dem Restrukturierungsgericht normiert. Ein Berater könne sich als Teilnehmer an Insolvenzstraftaten des Schuldners schuldig machen kann (NJW- Spezial 2017, 281). Auch eine Strafbarkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters wegen Anstiftung oder Beihilfe des Schuldners zu Steuerstraftaten komme in Betracht, zB wenn der vorläufige Insolvenzverwalter den Schuldner veranlasst, Voranmeldungen oder fällige Steuererklärungen nicht, nicht rechtzeitig oder mit unzutreffendem Inhalt abzugeben oder diese den Schuldner im Hinblick auf § 55 IV InsO auffordere, bestimmte Sachverhalte im Zeitraum vor Anordnung der Sicherungsmaßnahmen zu buchen.

Arbeitsrecht in der Insolvenz

Nach einer kurzen Pause referierte RA Torsten Steinwachs zum Arbeitsrecht in der Insolvenz und fokussierte sich auf die sinnvolle Zusammenstellung der Mitglieder eines Gläubigerausschusses, dessen Aufgaben und Haftungsgefahren, seine Vergütung und die Möglichkeit der Einflussnahme im Insolvenzverfahren. Dann wandte ua er sich den Modifizierungen des Arbeitsrechts in der Insolvenz zu, insbesondere Verkürzung der Kündigungsfristen gem. § 113 und der Frage, wann die ordentliche Kündigung aufgrund des besonderen Kündigungsschutzes ausgeschlossen sein könne (zB besonderer Kündigungsschutz für Datenschutzbeauftrage gem. §§ 6 IV 2, 38 BDSG oder Mitglieder der Gemeindeverwaltung, § 35a HGO), den Themenbereichen Namensliste und Sozialauswahl und den Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen BGH und dem BAG (s. zB NZA 2011, 534) zu. Bei einer übertragenden Sanierung sei zu beachten, dass gemäß ständiger Rechtsprechung § 613a BGB auch im Insolvenzverfahren Anwendung finde (BAG ZIP 2021, 918). Steinwachs wies darauf hin, dass dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit offenstehe, seinen Betrieb vor einer sanierenden Übertragung „attraktiv“ zu kündigen. Es müsse hierfür ein verbindliches Konzept/Sanierungsplan des Erwerbers vorliegen, dessen Durchführung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits „greifbare“ Formen angenommen hat.

Aktuelle Rechtsprechung aus den Verfahren der natürlichen Personen

Anschließend stellte RA Kai Hennig die aktuelle Rechtsprechung der Verfahren der natürlichen Personen vor.

2022 haben insgesamt 86.984 Verfahren mit Restschuldbefreiung vorgelgen. In 821 Verfahren seien gerichtliche Schuldenbereinigungspläne zustande gekommen – dies entspreche nur 1,24% der Verbraucherinsolvenzverfahren insgesamt. Henning führt dies ua darauf zurück, dass iRd § 308 InsO unsicher sei, ob der Schuldner alle Gläubiger benannt habe. Insgesamt sei trotz gleich hohem Anteil der Verschuldung in der Bevölkerung ein Rückgang der Fälle der Verbraucherinsolvenzverfahren zu verzeichnen. Die Bundesregierung berichte dem Deutschen Bundestag bis zum 30.06.2023, wie sich die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf das Antrags-, Zahlungs- und Wirtschaftsverhalten von Verbraucherinnen und Verbrauchern ausgewirkt habe und gehe auch auf etwaige Hindernisse ein, die von den bestehenden Möglichkeiten der Speicherung insolvenzbezogener Informationen durch Auskunfteien für einen wirtschaftlichen Neustart nach Erteilung der Restschuldbefreiung ausgehen. Allerdings werde die Auswirkung der Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf das Antrags-, Zahlungs- und Wirtschaftsverhalten von Verbraucherinnen und Verbrauchern nach aktueller Auskunft des BMJ bei der Evaluierung wegen fehlendem Zahlenmaterial keine größere Rolle spielen. Schwerpunkt der Evaluierung werde die Speicherung insolvenzbezogener Dateien sein.

Der BGH hatte sich mit der Frage, wann ein Schufa-Eintrag zu einer erteilten Restschuldbefreiung zu löschen ist (NZI 2023, 586) zu befassen, hat aber keine Entscheidung getroffen, sondern das Verfahren gem. § 148 ZPO analog bis zur Entscheidung des EuGH in den dort anhängigen und verbundenen Verfahren C-64/22 und C-26/22 ausgesetzt. In einer Pressemitteilung des EUGH 16.03.2023 merkte Generalanwalt Pikamäe an, dass die erheblichen negativen Folgen, die die Speicherung der Daten für die betroffene Person nach Ablauf des fraglichen Zeitraums von sechs Monaten haben werde, gegenüber dem geschäftlichen Interesse des privaten Unternehmens und seiner Kunden an der Speicherung der Daten nach diesem Zeitraum zu überwiegen scheinen. In diesem Kontext sei hervorzuheben, dass die gewährte Restschuldbefreiung dem Begünstigten ermöglichen solle, sich erneut am Wirtschaftsleben zu beteiligen. Dieses Ziel würde jedoch vereitelt, wenn private Wirtschaftsauskunfteien berechtigt wären, personenbezogene Daten in ihren Datenbanken zu speichern, nachdem diese Daten aus dem öffentlichen Register gelöscht worden seien. Bislang habe die Schufa die Ansicht vertreten, eine Speicherung sei drei Jahre lang zulässig. Ein berechtigtes Interesse iSd Art. 6 DSGVO folge ua daraus, dass Personen, denen die Restschuldbefreiung erteilt wurde, in den ersten drei Jahren nach Erteilung zu 15,27% erneut negativ auffallen würden, während die Quote aller weiterer Personen nur bei 4,35% liege. Die Gegenmeinung sehe in der Löschungsfrist des § 3 InsBekV eine gesetzgeberische Wertung, die für eine Speicherfrist von lediglich sechs Monaten spreche. Nachdem der BGH die Entscheidung zur Aussetzung des Verfahrens mitteilte, teilte die Schufa am selben Tag durch Presseerklärung mit, dass sie die Speicherdauer von Restschuldbefreiungsdaten auf sechs Monate verkürzen werde, um Klarheit und Sicherheit für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu schaffen und nicht den langen Instanzenweg abzuwarten. Henning deutete an, dass sich möglicherweise Schadensersatzansprüche aus unberechtigter Speicherung gem. § 823 II BGB iVm Art 6, 82 DSGVO ergeben könnten.

Der Referent stellte den Beschluss des AG München vom 04.02.2022 (NZI 2022, 825 mAnm Piper VIA 2022, 78) vor, der klarstellt, dass die Festsetzung nach § 295a II InsO nur die fiktive Bruttovergütung erfasse, Nettogehalt und pfändbaren Einkommensanteil habe der Schuldner selbst aus dem festgesetzten Betrag zu berechnen.

Für die Insolvenzantragstellung eines Verbrauchers herrscht Formularzwang. Das amtliche Verbraucherinsolvenzformular liegt nun in korrigierter Form mit dem Titel „Amtliche Fassung 1/2021“ vor.

Der Workshop Verbraucherinsolvenzrecht des Deutschen Insolvenzrechtstags 2022 (DIT) hätten sich intensiv mit möglichen Änderungen in der Verbraucherinsolvenz befasst. Die Arbeitsgruppe habe nun die folgenden Vorschläge erarbeitet: So sei beispielsweise eine Änderung des § 306 I InsO vorgeschlagen worden. Der Schuldner solle wählen können, ob ein gerichtliches Schuldenplanbereinigungsverfahren stattfindet. Die Frist zur Forderungsanmeldung solle eine dreimonatige Ausschlussfrist werden. Forderungen sollen zwar angemeldet, aber nur geprüft werden, wenn Masse vorhanden ist. Man habe sich für eine Streichung des § 298 InsO ausgesprochen. Die Verstrickungsproblematik solle gelöst werden.

Die Entschließung der diesjährigen Jahresfachtagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung (BAG-SB) habe die Einrichtung eines Fonds vorgeschlagen, mit dem außergerichtliche Einigungen sowohl für die Gläubiger als auch den Staatshaushalt deutlich attraktiver würden. Der Fond solle 20% der Forderungssumme, maximal jedoch 2.000 EUR zur Verfügung stellen für Menschen, bei denen keine Kostendeckung für das Insolvenzverfahren zu erwarten sei und deren Gesamtverschuldung unter 10.000 EUR liege. Überschuldeten Personen würden damit bundesweit unabhängig vom Wohnort die Chance auf eine unbürokratische und selbstbestimmte Entschuldung ermöglicht.

Seit Dezember 2022 liegt der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts vor. Es wird ein vereinfachtes Verfahren für Kleinstunternehmen vorgeschlagen, das gleichzeitig den Zugang zum eröffneten Verfahren erleichtern und die Kosten senken soll. Hierfür werde auf die Bestellung eines Insolvenzverwalters verzichtet. Vorhandene Vermögenswerte sollen über ein elektronisches Auktionssystem verwertet werden. Das Verfahren soll komplett digital elektronisch geführt werden. Als Kleinunternehmen gelte danach ein Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz von bis 2 Mio. EUR. Es soll für alle wirtschaftlichen Einheiten unabhängig von der Rechtsform gelten. Die Forderungsanmeldung und -Prüfung soll nach Art. 45 und 46 des Richtlinienentwurfs so gestaltet sein, dass der Schuldner mit seinem Antrag ein Gläubiger- und Forderungsverzeichnis einreicht. Die Gläubiger sollen 30 Tage Zeit haben Forderungen zu korrigieren oder nachzumelden. Forderungen sollen als festgestellt gelten, wenn keine Einwände der Gläubiger erfolgen. Hennig stellte die Frage in den Raum, ob dieses Verfahren praxistauglich sei. Er verwies dabei auf die aktuellen Regelungen zum Schuldenbereinigungsplanverfahren der §§ 307, 308 InsO. Nach Art 56 der Richtlinie sollen auch Mitschuldner bei Schulden des insolventen Unternehmens in vollem Umfang entschuldet werden. 

Hennig wies darauf hin auf, dass sich der geschützte Freibetrag der Sterbegeldversicherung zum 01.01.2022 ohne Übergangsregelung in allen Verfahren von 3.579 EUR auf 5.400 EUR erhöht habe. Der BGH hat am 10.08.2022 (NJW-RR 2022, 1651) beschlossen, dass diese Erhöhung in allen Verfahren ohne Übergangsregelung gilt. Die Folgen hiervon träfen den Treuhänder. Einige Fragen seien noch nicht beantwortet worden:

– Haftet der Verwalter, wenn er zuvor unter Berücksichtigung des niedrigeren Freibetrags die Sterbegeldversicherung zur Masse gezogen hat?

– Darf er dann den zur Masse gezogenen Betrag an die Gläubiger ausschütten?

– Kann er sich auf Masseunzulänglichkeit berufen?

– Ist vor einer persönlichen Inhaftungnahme des Insolvenzverwalters die Insolvenzmasse zu verklagen?

Der BGH hat am 16.03.2023 (IX ZR 150/22, BeckRS 2023, 8345) entschieden, dass der Treuhänder dem Schuldner insoweit persönlich Schadensersatz zu leisten habe, wenn er den von ihm nach Eintritt der tatbestandlichen Voraussetzungen für die vorzeitige Restschuldbefreiung eingezogenen Neuerwerb an die Gläubiger auskehrt, anstatt ihn nach rechtskräftiger Erteilung der Restschuldbefreiung an die Schuldner herauszugeben. Hinsichtlich der Haftung sei zu beachten, dass aus der objektiven Pflichtverletzung regelmäßig der Fahrlässigkeitsvorwurf folge. Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liege bei einem Insolvenzverwalter regelmäßig nur dann vor, wenn er die Rechtslage unter Einbeziehung höchstrichterlicher Rechtsprechung sorgfältig geprüft habe und bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt auch mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte. Der Schuldner könne den Verwalter persönlich in Anspruch nehmen, denn er kann als Geschädigter frei wählen, ob er gegen den Verwalter persönlich oder gegen die Masse vorgeht (BGH NZI 2006, 169).

Zu absehbaren Entwicklungen in den Verfahren der natürlichen Personen ging Henning auf den BGH-Beschluss vom 23.02.2022 (NJW-RR 2022, 579) ein. Danach sei das Mindestelterngeld nach § 2 IV 1 BBEG aufgrund seiner besonderen Zweckbindung nicht den eigenen Einkünften des Unterhaltsberechtigten iSv § 850c VI ZPO hinzuzurechnen. Bei Änderungen der tatsächlichen oder der rechtlichen Verhältnisse käme ein unbefristeter Antrag nach § 850g ZPO in Frage. Auch bei der Berechnung des pfändbaren Einkommensanteils sei bei ausgezahltem Elterngeld nach dem unpfändbaren Mindestelterngeld nach § 3 IV 1 BBEG sowie dem wie Arbeitseinkommen pfändbaren weiteren Elterngeld zu unterscheiden.

Nach BAG vom 25.08.2022 (NZI 2023, 179 mAnm Ahrens VIA 2023, 15) ist die Corona Sonderzahlung, die Arbeitgeber steuer- und abgabenfrei an ihre Arbeitnehmer auszahlen konnte, als Erschwerniszulage gem. § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar. Aktuell stellt sich die Frage der Pfändbarkeit der Inflationsausgleichsprämie nach dem Gesetz zur temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz. Diese kann bis zu 3.000 EUR betragen und bis Ende 2024 vom Arbeitgeber steuer- und abgabenfrei an die Arbeitnehmer ausgezahlt werden. Das AG Köln hat mit Urteil vom 04.01.2023 (NZI 2023, 222) entschieden, dass die Inflationsausgleichsprämie wie Arbeitseinkommen pfändbar sei. Im Einzelfall könnte Wipperfürth (ZInsO 2022, 2558) zufolge ein Schutz nach den §§ 850f oder 765a ZPO in Betracht kommen. Die Energiepauschale sei hingegen nach § 122 S. 2 EstG unpfändbar.

Der PKW eines psychisch erkrankten Schuldners gem. § 811 ZPO könne unpfändbar sein kann, sofern dieser selbst ein Therapie- oder Hilfsmittel sei (BGH NJW-RR 2022, 1651), nicht aber, wenn der PKW allein ein Transportmittel zur Hilfe leistenden Stelle (zB einem Arzt) sei. Nur dann, wenn der Schuldner wegen seiner Erkrankung kein anderes Transportmittel nutzen könne (zB aufgrund Angstzuständen im ÖPNV), sei das Fahrzeug pfändubngsfrei. Eine Austauschpfändung nach § 811a I ZPO eines nach § 811 I Nr. 5 ZPO unpfändbaren KFZ sei nur zulässig, wenn das Ersatzstück eine annähernd gleiche Haltbarkeit und Lebensdauer wie das gepfändeten KFZ aufweise (NJW-RR 2011, 1366).

Die die vor Insolvenzeröffnung erfolgte Umwandlung einer Lebensversicherung in eine nach § 851c ZPO geschützte Altersvorsorge ist nicht anfechtbar, so das OLG Karlsruhe NZI 2022, 332.

Ansprüche des Schuldners aus einer Direktversicherung zur Altersvorsorge stehen bereits vor Fälligkeit und Auszahlung der Insolvenzmasse zu, soweit sie zum Zeitpunkt der Aufhebung des Insolvenzverfahrens bereits entstanden waren (BGH NZI 2019, 419 mAnm Mitlehner NZI 2019, 422). Sie können über eine Nachtragsverteilung eingezogen werden. Problematisch sei, dass Ansprüche auch erst nach 20 Jahren fällig sein könnten. Es wäre auch dann noch eine Nachtragsverteilung durchzuführen. Fraglich sei, ob der spätere Auszahlungsbetrag veräußert oder abgetreten werden könne und wie der bestehende Schutz aus § 850i ZPO umzusetzen sei. Ungeklärt sei auch, ob die Massezugehörigkeit ein mögliches Wahlrecht des Schuldners zwischen Rente und Kapital umfasse, das der Schuldner zumeist kurz vor Eintritt des Versicherungsfalls ausüben kann. Inzwischen habe der BGH geklärt, dass der Anspruch auf Auszahlung der Versicherungsleistung nicht nur gepfändet, sondern auch abgetreten werden könne (BGH 20.05.2020 – IV ZR 151/19, BeckRS 2020, 11976 und NJW 2020, 2465). Der Insolvenzverwalter könnte nun den ihm zustehenden Anteil am Auszahlungsbetrag im Wege der Abtretung an einen Finanzierer übertragen, der im Gegenzug den Auszahlungsbetrag gegen einen Abschlag vorfinanziert. Hennig geht davon aus, dass es derzeit solche Finanzierer nicht gäbe.

Der BGH hat darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit, ein in einem Pensionsvertrag vorgesehenes, etwaiges künftiges Angebot des Arbeitgebers auf Vertragsänderung (hier: Kapitalabfindung statt monatliche Rentenzahlung) anzunehmen, als bloße rechtsgeschäftliche Handlungsmöglichkeit nicht pfändbar ist (VII ZB 15/18, BeckRS 2021, 21903).

Zum Pflegegeld hat der BGH klargestellt, dass das an eine Pflegeperson iSv § 19 SGB XI ausgezahlte Pflegegeld für eine zu pflegende Person nicht nach § 54 SGB I, sondern nach § 851 ZPO unpfändbar ist (NZI 2023, 221). Konsequenz hieraus sei für den beratenden Praktiker, dass das an die Pflegeperson ausgezahlte Pflegegeld auf deren Konto nicht über eine Pfändungskontobescheinigung, sondern nur auf Antrag gem. § 906 ZPO geschützt werden kann. Zu beachten sei auch, dass das SGB verschiedene Pflegegelder kennt. Zur Vertiefung verwies Rechtsanwalt Hennig auf Ahrens NZI 2023, 202.

Hinsichtlich der Bestellung eines Wohnungsrechts in einer Immobilie hat der BGH entschieden, dass die Bestellung des Wohnrechts am eigenen Grundstück zulässig ist (BGH NZI 2023, 413 mAnm Neumann NZI 2023, 415). Dieses Eigentümerwohnrecht ist jedoch stets pfändbar und fällt bei Insolvenz des wohnungsberechtigen Grundstückeigentümers in die Insolvenzmasse. Der Insolvenzverwalter ist befugt, im Rahmen der Verwertung die Löschung des Wohnungsrechts zu bewilligen. Im Grundbuch eingetragene Rechte sind zwar insolvenzfest (BGH 03.07.08 – IX ZR 233/07, BeckRS 2008, 14193). Das Wohnrecht macht jedoch eine Zwangsversteigerung nicht unmöglich, denn gem. § 91 ZVG erlischt es mit dem Zuschlag im Zwangsversteigerungsverfahren. Vom Ersteiger ist aber ein Wertersatz für das Wohnungsrecht zu leisten.

Nach Ansicht Hennig, dass das BVerfG derzeit als „neues Beschwerdegericht in Insolvenzsachen“ fungiere. So habe das BVerfG in den letzten Jahren Beschwerden angenommen und zugunsten der Schuldner entschieden, die vor den Änderungen im Jahr 2011 im Rechtsbeschwerdeweg geklärt worden wären, dies also nicht besonders grundsätzlich waren. So hat das BVerfG mit Kammerbeschluss vom 07.12.2016 entschieden, dass der Schuldner nicht verpflichtet ist, dem Insolvenzverwalter Auskunft über den mit einem gem. § 35 InsO freigegebenen selbständigen Tätigkeit erzielten Gewinn zu geben (NZI 2017, 111 mAnm Schmerbach VIA 2017, 22).

In einem Verfahren, in dem sich die Bf. gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde nach Zurückweisung ihres Antrags auf Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens über ihr Vermögen als unzulässig wendet, hat der BVerfG entschieden, dass die Rechtsfrage, ob für die persönliche Beratung iSd § 305 I Nr. 1 InsO n. F. eine fernmündliche Beratung durch einen Berater genügt oder ob die gleichzeitige körperliche Anwesenheit von Schuldner und Berater erforderlich ist, grundsätzliche Bedeutung hat (BVerfG NZI 2020, 1060). Erwähnt wurde auch der BVerfG-Beschluss vom 29.07.022 (2 BvR 1154/21, BeckRS 2022, 20908 mAnm Büttner VIA 2023, 4), in dem das Gericht feststellt, dass es eine Verletzung des Willkürverbots im Insolvenzverfahren darstellt, wenn das LG die offensichtlich einschlägige Übergangsvorschrift des Art 103h EGInsO nicht berücksichtigt und entgegen dem eindeutigen Wortlaut von § 290 I InsO aF eine schriftliche Antragstellung der Gläubiger auf Versagung der Restschuldbefreiung zugelassen hat, ohne dafür eine nachvollziehbare Begründung zu geben.

IV. Ausblick

Der 16. Marburger Insolvenzrechtstag klang mit angeregten Gesprächen der Teilnehmer bei musikalischer Begleitung und einem Snackbuffet aus. Schon jetzt sollte der Termin für den 17. Marburger Insolvenzrechtstag vorgemerkt werden und man kann gespannt sein auf ein Wiedersehen am Donnerstag, den 23.05.2024.

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