Von
RA Dr. Rolf Leithaus, Köln | Feb 08, 2022
Falls jemand, wovon selbst der Verfasser dieser Zeilen nicht ausgeht, in 50 Jahren diesen Tagungsbericht liest, wird dieser sich über die Einleitung sicher wundern. Beim heutigen Leser dürfte das Gegenteil der Fall sein: Die zweite Herbsttagung des VID unter Corona-Bedingungen unterschied sich von ihrer Vorgängerin doch erheblich. Während sich im November 2020 nur ein äußerst harter Kern von ca. 30 Personen, bestehend aus den Veranstaltern, einigen Referenten und wenigen mutigen Ehrengästen und Pressvertretern im riesigen Saal des Berliner Intercontinental Hotels verloren, konnte in diesem Jahr bei der Anzahl der körperlich Teilnehmenden ein frappierender Faktor 10 konstatiert werden. Diese fühlten sich jedoch trotzdem nicht beengt und bedrängt, da es dem VID gelungen war, ein hybrides Konzept auf die Beine zu stellen, das eine sehr gute Mischung aus erforderlichem Abstand und gewünschter Nähe ermöglichte.
Begrüßung durch den Vorsitzenden
Außer den Begleitumständen gab es aber auch noch inhaltliches zu berichten. Die Teilnehmer wurden begrüßt vom Vorsitzenden des VID Dr. Christoph Niering. Dieser äußerte zur Ermöglichung eines nach der Pandemie anstehenden Transformationsprozesses insgesamt sechs Wünsche an Gesetzgeber und Politik. Hierzu gehörte, dass, anders als im Krisenmodus der letzten zwei Jahre, Insolvenzen nicht um jeden Preis vermieden und dem I-Wort die Stigmatisierung genommen werden sollte. Niering sieht es gerade nicht als Erfolg an, dass während der Pandemie so wenige Insolvenzen stattfanden. Die Politik solle verstehen, dass Insolvenzen zum Transformationsprozess beitragen können. Man solle schon jetzt im Hinblick auf die zukünftig anstehenden Veränderungen umdenken. Er nannte hierbei den Automotive-Sektor als "Auslaufmodell". Gut funktionierende wirtschaftliche Einheiten könnten zukünftig auch in anderen Branchen erfolgreich agieren. Der Gesetzgeber möge sich nach den Aktivitäten der vergangenen Jahre zurückhalten und allenfalls einige Regelungslücken schließen um weniger Raum für Interpretationen zu lassen. Vor allem Steuer- und Insolvenzrecht mögen (besser) harmonisiert werden. Berufsrecht und Qualifizierung für Verwalter hält Niering für besonders wichtig. Es müsse Spielregeln geben, die für alle und überall gelten. Hierzu habe der VID zahlreiche Vorschläge gemacht. Auch Europa ist Niering ein großes Anliegen. Die Pandemie habe zwar das Zusammenwirken in Europa beeinträchtigt, aber der VID bleibe in Brüssel weiter aktiv. Als eine Baustelle bei der Harmonisierung nannte er das Anfechtungsrecht. Schließlich wünscht Niering
sich etwas mehr Wertschätzung für die Arbeit der Insolvenzverwalter. Deren Aufgaben seien immer komplexer und haftungsträchtiger.
Grußworte der Bundesjustizministerin
Im Anschluss wurde ein kurzes Grußwort der geschäftsführenden Bundesjustizministerin Christine Lambrecht als Videobotschaft eingespielt. Sie berichtete über eine ereignisreiche Legislatur, die zuletzt durch Corona und Naturkatastrophen geprägt war. Der Regierung sei es durch das größte Hilfsprojekt aller Zeiten und ein zeitweises
Aussetzen der Antragspflicht gelungen, viele sonst unvermeidliche Insolvenzen zu verhindern. Dadurch konnten bewährte Strukturen erhalten bleiben, und die Wirtschaft erhole sich derzeit wieder. Auch das Hochwasser habe erneutes Handeln erforderlich gemacht. Die Lasten des Klimawandels dürfen ihrer Meinung nach nicht Einzelnen aufgebürdet werden. Die Gesetzesprojekte der vergangenen Monate und Jahre haben neue Chancen für Unternehmen und Verbraucher geschaffen. Lambrecht erwähnte zunächst die Verkürzung der Wohlverhaltensperiode von sechs auf drei Jahre. Auch berichtete sie über die Einführung des Sanierungsverfahrens außerhalb der Insolvenz nach dem StaRUG. Trotz des engen europäischen Zeitrahmens bewertet sie das Ergebnis positiv. Viele Regelungen seien zwar komplex, aber das StaRUG-Verfahren eigne sich auch für kleinere Unternehmen. Ihrer Auffassung nach erleichtere und ermögliche schon die Verfügbarkeit des Verfahrens eine außergerichtliche Sanierung. Abschließend kündigte die Bundesjustizministerin noch die angestrebte Harmonisierung des Insolvenzrechts, insbesondere des Anfechtungsrechts, auf europäischer Ebene an.
Grußworte des CNAJMJ
Ein weiteres Grußwort erfolgte durch
Alain Damais, der in Vertretung von Christophe Bas für den französischen Partner des VID, den Conseil National des
Administrateurs Judiciaires et des Mandataires Judiciaires (CNAJMJ), als Gast an der Tagung teilnahm. Er lobte die Zusammenarbeit zwischen CNAJMJ und VID, insbesondere mit Axel Bierbach, und äußerte den Wunsch, dass die Zusammenarbeit weiter vertieft werde. Im März/April 2022 solle eine gemeinsame Veranstaltung in Brüssel stattfinden. Außerdem sei der 6. Deutsch-Französische Sanierungsgipfel im Herbst 2022 in Paris geplant. Nach dem Brexit komme es im Wesentlichen auf Frankreich und Deutschland als Europäische Treiber an. Damais
berichtete weiter über die französischen Sanierungsverfahren und verglich diese mit der deutschen Praxis. Die Europäische Richtlinie sei ein wichtiges Instrument für die Annährung der Rechtsordnungen. Im
Sauvegarde-Verfahren wurde jetzt nach dem Vorbild Deutschlands auch eine Einteilung in Gläubiger-Klassen vorgenommen.
BGH-Rechtsprechung im Überblick
Es folgte ein ausführlicher Bericht von Herrn VorsRiBGH Dietmar Grupp über die Rechtsprechung des
BGH der vergangenen Monate. Hervorzuheben ist hier eine Vorlage des
BGH zum EuGH (IX ZB 72/19,
NZI 2021, 187) zur Frage, ob ein im Vereinigten Königreich anhängiges Insolvenzverfahren einen späteren Antrag in Deutschland ausschließt. Der
EuGH hat hierzu noch nicht entschieden. Im eröffneten Verfahren waren wieder einige Entscheidungen zur Haftung von Kommanditisten nach
§§ 171, 172 HGB zu verzeichnen. In einer jüngeren
Entscheidung (IX ZR 54/20,
NZI 2021, 440 mAnm Glasmacher/Jens Schmidt
NZI 2021, 443) änderte der Senat seine ältere Rechtsprechung aus 2009, wonach Kommanditisten für Masseverbindlichkeiten nach
§ 55 IV InsO nur begrenzt hafteten. Der IX. Senat sieht in Übereinstimmung mit dem II. Senat, dass die gesellschaftsrechtlichen Maßgaben entscheidend seien. Einen größeren Raum nahmen Entscheidungen zum Anfechtungsrecht ein. Eine der ersten Entscheidungen zum neuen Recht stellt die
Entscheidung vom 25.03.2021 (IX ZR 70/20,
NZI 2021, 577 mAnm Riewe
NZI 2021, 581) dar, auch wenn diese zu
§ 3 II AnfG erging. Die neue Verkürzung auf 4 Jahre beziehe sich nur auf Deckungshandlungen. Das Grundgeschäft selbst unterliegt aber weiter der zehnjährigen Anfechtung. Etwas ausführlicher widmete sich Grupp dem viel beachteten
Urteil vom 06.05.2021 (IX ZR 72/20,
NZI 2021, 720 mAnm Ganter
NZI 2021, 725), weil diese Entscheidung eine neue Ausrichtung des
BGH dokumentiere. Bisher reichte es für den Schuldnervorsatz auch bei kongruenten Deckungshandlungen aus, dass der Schuldner zahlungsunfähig ist und dies auch erkenne. Das hatte aber zur Folge, dass der Anwendungsbereich des
§ 133 InsO zu weit ausgedehnt wurde. Der "Abstand" zu
§ 130 InsO mit der Anfechtungsfrist von lediglich drei Monaten sei zu gering. Es müsse also weiter festgestellt werden, dass der Schuldner auch später die übrigen Gläubiger nicht mehr werde befriedigen können. Der Verwalter müsse künftig "mehr" vortragen, um den Schuldnervorsatz darlegen zu können. Auch müsse dar Umfang der Zahlungsunfähigkeit ein gewisses Ausmaß annehmen. Schließlich gebe es nicht automatisch eine Vermutung der Fortdauer einer einmal eingetretenen Zahlungsunfähigkeit (im entschiedenen Fall ging es um zehn Monatsraten à 230 Euro, die vom Schuldner ca. 3½ Jahre vor dem Insolvenzantrag gezahlt worden waren). Grupp machte weiter deutlich, dass auch im Bereich der Anfechtung unentgeltlicher Rechtshandlungen Änderungen zu verzeichnen seien. So verneinte der Senat in der Entscheidung
IX ZR 208/18 (
NZI 2021, 26 mAnm d`Avoine
NZI 2021, 29) eine (Teil-)Unentgeltlichkeit im Zweipersonenverhältnis, wenn beide Parteien subjektiv vom angemessenen Wert ausgegangen waren. Der Verwalter müsse darlegen und beweisen, dass es Umstände gab, wonach die Parteien nicht von einer Gleichwertigkeit ausgehen durften. Solche Umstände könnten in der großen Eile einer Transaktion, der persönlichen Nähe der Parteien und kurz bevorstehenden Zwangsmaßnahmen des Finanzamtes liegen. Auch weitere Entscheidungen zur Schenkungsanfechtung bei einem "Schneeballsystem"
(IX ZR 247/19,
NZI 2021, 30 mAnm P. Meyer
NZI 2021, 35;
IX ZR 157/20,
NZI 2021, 883 mAnm
Leithaus
NZI 2021, 886) sowie zu
§ 135 InsO bei Auszahlungen von Gewinnen an (ehemalige) Gesellschafter
(IX ZR 122/19,
NZI 2021, 180;
IX ZR 195/20,
NZI 2021, 980 mAnm Primozic/Ruf
NZI 2021, 883) wurden von Grupp behandelt.
Staatliche Finanzhilfen in der Insolvenz
Nach einer Pause trug Prof. Dr. Christoph Thole zu staatlichen Finanzhilfen in der Insolvenz vor. Er berichtete zunächst unter dem Motto "all you can eat" über das Buffet von Finanzhilfen, das die Regierung den unter Corona leidenden Unternehmen zur Verfügung gestellt hat. Ausgangspunkt nach EU-Recht sei, dass ein Unternehmen nur dann Anspruch auf Beihilfen habe, wenn es nicht schon vor Corona "in Schwierigkeiten" war. Im Vortrag ging Thole näher auf den (nicht vorhandenen) Anspruch der Unternehmen auf Beihilfen und die Pfändbarkeit von an den Schuldner bereits ausgezahlten Beihilfen ein. Bei der Auszahlung gelte für den Staat nach einer älteren Entscheidung des
BGH ein Aufrechnungsverbot
(VII ZR 423/56,
NJW 1957, 1759). Abschließend behandelte Thole
noch die Problematik von Kurzarbeiter- und Insolvenzgeld. Eine Gewährung von KuG könne nach Meinung von Thole
von einem Anfechtungsverzicht hinsichtlich im Antragsverfahren gezahlter Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuern abhängig gemacht werden.
Praxisberichte zu StaRUG-Verfahren
Vor der Mittagspause berichteten
Dr. Sylwia Maria Bea und Dr. Jasmin Urlaub aus der Praxis der von ihnen in den vergangenen Monaten begleiteten insgesamt vier StaRUG-Verfahren. Hierbei zeigten sie, dass sie hochkomplexe Fallgestaltungen den Teilnehmern besser schildern können, als dies dem Verfasser möglich ist. In einem von
Urlaub erläuterten Fall stellte sich die Problematik, dass eine Gruppengesellschaft über ein StaRUG-Verfahren von einer Mithaft befreit werden sollte, um hierdurch einen Investorenprozess über eine Unternehmensgruppe zu ermöglichen. Trotz anfänglicher Zurückhaltung von Teilen der finanzierenden Banken wurde der Plan schließlich einstimmig angenommen. Der zweite Fall betraf die rechtlich ungeklärte Frage, ob durch ein deutsches StaRUG-Verfahren auch ausländische Steuerforderungen "abgeschüttelt" werden konnten. Hierzu wurden Gutachten namhafter Professoren eingeholt, die sich mit unterschiedlichen Begründungen für eine entsprechende Wirkung aussprachen. Ein weiterer von –
geschilderter StaRUG-Fall betraf die Entschuldung eines Bus-Unternehmens mit öffentlicher Beteiligung, an der nicht sämtliche Kommanditisten mitwirken wollten. Schließlich berichtete Bea über einen komplexen Fall der für eine Gesamtlösung erforderlichen Entschuldung einer natürlichen Person, die außerdem Vorstand einer börsennotierten AG war. Eine Insolvenz hätte zu nachteiligen ad-hoc-Pflichten geführt. Das StaRUG-Verfahren konnte aber offenbar nach dessen Einleitung noch durch Verhandlungen mit den Banken vermieden werden.
Gläubigerinformationssystem (GIS) nach § 5 V InsO
Nach der Mittagspause referierte RiAG Dr. Daniel Blankenburg, derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter beim BGH, zum Gläubigerinformationssystem (GIS) nach dem neuen § 5 V InsO. Grundsätzlich einstellungspflichtige Person ist der Insolvenzverwalter; das Gericht habe insoweit keine Pflicht. Unklarheiten bestehen hier noch bei der Eigenverwaltung, da nicht geregelt ist, ob der Schuldner oder der Sachwalter das GIS führen. Auch der Umfang der einzustellenden Unterlagen sei noch nicht abschließend geklärt. Blankenburg meint, dass grundsätzlich sämtliche Unterlagen iSv § 160 III Nr. 6 ZPO einzustellen seien, also auch etwaige Rechtsmittelentscheidungen gegen Beschlüsse des Insolvenzgerichts. Aber auch der Datenschutz sei zu beachten. Dennoch meint er, dass Beschlüsse im Volltext und ohne Schwärzungen einzustellen seien, da (auch bestrittene) Gläubiger ein uneingeschränktes Akteneinsichtsrecht hätten. Ausnahmen könnten für vermeintliche Gläubiger mit „Fake“-Anmeldungen gelten. Da Gläubiger Unterlagen einsehen dürften, die die eigene Forderung betreffen, müssten sie auch Zugang zu Gläubigerlisten haben, in denen die eigene Forderung aufgeführt ist. Dem Verwalter obliege die Pflicht, den Datenschutz und die Cybersicherheit zu gewährleisten. Der Verwalter solle den jeweiligen Gläubiger auch auf dessen Geheimhaltungspflichten hinweisen. Blankenburg setzte seinen Vortrag fort mit Ausführungen zum Verhältnis des Internetportals (§ 9 IV InsO) zum GIS und zur Frage, ob die Einstellung von Beschlüssen ins GIS Mängel der Veröffentlichung im Portal heilen könne. Jedenfalls ersetze die Einstellung ins GIS alleine nie eine Zustellung. Der Vortrag endete mit dem Fazit, dass angesichts der jungen Regelung noch keine abschließende Rechtssicherheit bestehe. Dennoch erscheint der von ihm so bezeichnete „erste Aufschlag“ von Blankenburg für die Praxis sehr beachtlich.
Insolvenzverwalterhaftung bei bestehender D&O-Versicherung
Vor der nächsten Pause referierte Dr. Richard Scholz zum sehr praxisrelevanten Thema der Haftung des Insolvenzverwalters bei Bestehen einer D&O-Versicherung für das Management der Schuldnerin. Sowohl die Verwalter als auch die diesen beaufsichtigenden professionellen Gläubigerausschussmitglieder haben nicht erst in letzter Zeit einen möglichen Anspruch gegen einen D&O-Versicherer als Sonderaktivum und Massebestandteil entdeckt. Scholz führte die Teilnehmer souverän durch die einzelnen Fallgestaltungen und -stricke. Hierzu gehörte der Umfang der D&O-Versicherung zur Absicherung von Risiken des Eigenverwalters.
Europäische Harmonisierung
Anschließend erfolgte ein Vortrag von Dr. Robert Hänel zur bereits in den Grußworten angesprochenen europäischen Harmonisierung. Nicht zuletzt aufgrund eines Aktionsplans im Rahmen der Kapitalmarktunion 2020 wurden von der DG Just der EU-Kommission diverse Cluster gebildet. Hierzu gehören neben verfahrensrechtlichen Themen das so genannte asset tracing zur Unterstützung von Verwalter, die Rangfolge von Forderungen sowie die Geschäftsführerhaftung und nicht zuletzt auch das Recht der Insolvenzanfechtung. Angestrebt wird eine Mindestharmonisierung vor allem bei KMU, da zahlenmäßig die meisten Unternehmen in diese Kategorie fallen. Um eine Mindestharmonisierung beim Anfechtungsrecht herzustellen, gibt es bereits eine Untersuchung zu den skandinavischen Staaten und dem Baltikum. Außerdem wurde unter Führung der Professoren Bork und Veder eine ca. 200 Seiten starke große Studie erstellt, die nahezu alle Mitgliedstaaten erfasst.
Aktuelles Insolvenzsteuerrecht
Prof. Christoph Uhländer hielt im Anschluss daran einen sehr interessanten und inhaltsvollen Vortrag zum aktuellen Insolvenzsteuerrecht. Die zahlreichen neuen Regelungen im SanInsFOG und COVInsAG hätten eher kleinteilige Themen geregelt. Die bislang ungelösten Probleme wurden aber auch durch die jüngsten Neuregelungen nicht geklärt. Beispielhaft wurde darauf hingewiesen, dass durch ein StaRUG-Verfahren in der Regel eine Betriebsaufspaltung und eine Organschaft nicht beendet werden. Ausführlicher setzte Uhländer sich mit der Regelung in § 15b VIII InsO nF auseinander. Hier gab es eine „arge Schelte“ in der Gesetzesbegründung für die Rechtsprechung der Finanzgerichte. Uhländer wies darauf hin, dass die Norm eigentlich in die AO gehört habe. Das hätte aber nach seiner Einschätzung im Gesetzgebungsverfahren Probleme geben können. Schließlich befasste Uhländer sich noch mit § 55 IV InsO nF. Nach der Gesetzesbegründung sei nicht ganz klar, wie weit der Anwendungsbereich der Norm gehe, da die Aufgaben des vorläufigen Sachwalters nicht immer vorhersehbar seien.
Verwertung von Kryptowerten in der Insolvenz
Der erste Tag wurde beschlossen durch einen Vortrag von Prof. Dr. Dominik Skauradszun zum komplexen Thema der Verwertung von Kryptowerten in der Insolvenz. Diese haben inzwischen an erheblicher Relevanz gewonnen. Skauradszun nahm die Teilnehmer entsprechend seiner Ankündigung an die Hand und führte sie durch die Welt der Kryptowährung. Die möglichen sachen- und vollstreckungsrechtlichen Probleme schilderte Skauradszun schulmäßig und zeigte den staunenden Teilnehmern auf, dass und wie sich die rechtlichen Probleme auflösen lassen. Praktisch problematisch erscheint die Verwertung aber dann, wenn der Schuldner sich trotz entsprechender Pflicht nach den §§ 97 ff. InsO weigert, Zugangsdaten zu offenbaren. Da helfen im Notfall nur Zwangsmaßnahmen nach § 98 I InsO, wozu auch eine Beugehaft bis zu sechs Monaten gehört.
Abnehmenden Insolvenzfälle trotz Krisenumfeld
Der zweite Veranstaltungstag wurde eröffnet mit einem volkswirtschaftlichen Vortrag von Prof. Dr. Steffen Müller, der sich mit dem Insolvenz-Paradox der stetig abnehmenden Insolvenzfälle trotz des Krisenumfeldes befasste. Müller verwies in seinem Vortrag auf den Ökonomen Schumpeter, der schon 1908 die These vertreten hatte, dass Marktaustritte durch Insolvenzen durchaus wünschenswert seien, da hierdurch Ressourcen neu allokiert werden. Dieser Kanal müsse im Interesse der Gesamtökonomie funktionieren. Allerdings erkannte Müller an, dass es zu Beginn der Pandemie keine besseren Lösungen als die Soforthilfen und die Aussetzung der Antragspflicht gab. Nach seiner Meinung müssten aber die Fehlallokationen der Hilfen und das KuG irgendwann aufgehoben werden. Im Rahmen des Vortrags stellte Müller die statistischen Zahlen der Insolvenzeröffnungen der letzten 20 Jahre vor. Daraus folgt ein weitgehend linearer Abwärtstrend der Zahlen. Allerdings gebe es aktuell einige sehr große Insolvenzen, sodass – speziell Mitte 2020 – die Anzahl der betroffenen Beschäftigten überdurchschnittlich hoch gewesen sei. Der Grund für die geringere Zahl der Insolvenzen liege nicht nur im anhaltend niedrigen Zinsniveau, sondern auch in den in den letzten Jahren fehlenden Neugründungen. Weil es weniger junge Unternehmen gebe, gingen auch weniger junge Unternehmen in die Insolvenz. Wegen der künftigen Entwicklung ist Müller optimistisch. Zwar gebe es einen „Rückstau“ bei kleineren Insolvenzen von je nach Untersuchung 10.000 bis 25.000. Das betreffe aber eher kleine Unternehmen mit einem bis drei Mitarbeitern und werde über Jahre verteilt. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zu Beginn der Pandemie begrüßte Müller. Er hält dies aber nicht für eine dauerhafte Lösung. Auch die Staatshilfen und die Verlängerung des KuG führe eher zu einer Begünstigung der "Zombie"-Unternehmen als zu ökonomisch sinnvollen Ergebnissen. Müller beschloss seinen Vortrag mit der Frage, wie man wieder aus den Hilfen herauskommen könne. Er konstatierte, dass es in Deutschland eigentlich keine Arbeitslosigkeit gebe, sondern einen (Fach-)Kräftemangel. Daher sollten Ressourcen bei profitablen Unternehmen allokiert werden, um keine Fehlanreize zu setzen. Die schwächsten Unternehmen hätten unter der Pandemie am stärksten gelitten und auch die meiste Hilfe bekommen. Das müsse sich zukünftig ändern. Sein Vorschlag liegt darin, den Verlustrücktrag für Unternehmen zu erhöhen und die Beihilfen zu beenden. Das führe dazu, dass es keine Hilfe für Unternehmen gebe, die vorher bereits Verluste geschrieben haben.
Insolvenzanfechtung
Dem praxisrelevanten Thema der Anfechtung widmete sich anschließend Prof. Dr. Reinhard Bork. Er begann seinen Vortrag mit einer grundsätzlichen Kritik am Trend des Gesetzgebers sowie der jüngeren Rechtsprechung des BGH und der zunehmenden Versubjektivierung der Anfechtungsvoraussetzungen und Verschiebung der Beweislast zulasten der Insolvenzverwalter. Damit einher gehe eine unerfreuliche Erhöhung der Rechtsunsicherheit. Schon die Regelung in § 2 I Nr. 4 COVInsAG sieht Bork als Einfallstor, da sich die dort geregelte Privilegierung nicht nur auf Unternehmen ohne Antragspflicht nach § 15a InsO auswirke. Auch sei nicht deutlich, welcher Zeitraum für die Privilegierung maßgeblich sei. Die Ratio des COVInsAG liege im Schutz des Schuldners, nur im Reflex auch dem der Anfechtungsgegner. Daher solle die Norm teleologisch reduziert werden, wenn die Sanierung gar nicht möglich war. Zu § 89 StaRUG meint Bork, dass die Norm nur ein Indiz aus der Prüfung des Schuldnervorsatzes ausnehme, während die übrigen Indizien weiter Anwendung finden. Problematischer sieht er die Regelung in § 90 StaRUG zum Planvollzug. Bork kritisierte insbesondere die Auffassung Schoppmeyers, wonach die Privilegierung von Zahlungen in Vollzug eines Sanierungsplans zurückwirken solle. Jedoch sieht Bork, dass angesichts der geringen Zahl von StaRUG-Fällen die praktische Relevanz beschränkt sei. Im weiteren Verlauf des Vortrags äußert Bork Kritik an der Rechtsprechung des BGH, die nach Ausscheiden der Richter Kayser, Gehrlein und Pape neue Akzente gesetzt habe. Bork hält nicht alle Entscheidungen für gelungen, so etwa im Bereich der Schenkungsanfechtung die schon von Grupp behandelte Entscheidung des BGH zur Teilunentgeltlichkeit bei einem Grundstücksgeschäft, wenn beide Teile nach objektiven Umständen von einer Gleichwertigkeit ausgingen. Auch kritisiert Bork die ebenfalls von Grupp referierte Entscheidung (IX ZR 72/20, NZI 2021, 720 mAnm Ganter NZI 20212, 725) zur Neuausrichtung des § 133 InsO und meint, dass ein Abstandsgebot zwischen § 133 und § 130 InsO nicht zwingend sei. Abschließend widmete sich Bork der durch die EU-Kommission angestrebte Harmonisierung im Bereich des Anfechtungsrechts. Seiner Einschätzung nach werde dies wenig Einfluss auf die deutsche Rechtspraxis haben.
Verleihung des Uhlenbruck-Preises
Der folgende Tagesordnungspunkt bestand in der Verleihung des Uhlenbruck-Preises für herausragende wissenschaftliche Werke durch den Laudator Michael Bremen an Dr. Ivan Labusga für dessen Dissertation zur Insolvenzanfechtung von Austauschgeschäften. Labusga stellte anschließend seine wesentlichen Thesen auf Basis von vereinfachten Grundfällen vor. Aus den Beispielsfällen arbeitete er heraus, dass die Insolvenzmasse bei Berücksichtigung der Ansprüche des Anfechtungsgegners besser oder schlechter dastehe, je nachdem nach welcher Norm eine Anfechtung erfolgt und auf welche Rechtshandlungen die Anfechtung sich beziehe. Durch Anwendung einer teleologischen Reduktion plädiert er entgegen der hM dafür, in bestimmten Fällen bei Anfechtung des Grundgeschäfts § 144 II 2 InsO nicht anzuwenden.
Podium: Zulassung zum Verwalteramt/Vorauswahlliste
Beschlossen wurden der zweite Tag und die gesamte Veranstaltung durch ein Podium bestehend aus den Professoren Dr. Stefan Smid und Dr. Florian Jacoby unter Moderation von Michael Bremen. Man widmete sich zunächst den Fragen der Zulassung von Verwaltern zum Amt und der Einführung einer bundesweiten Vorauswahlliste. Ausgangspunkt der Diskussion war eine Bund/Länder-Arbeitsgruppe, die im September des Jahres getagt hatte. Als Ergebnis liegt ein Papier vor mit dem Fokus auf eine zentrale Vorauswahlliste und detaillierte Auswahlkriterien. Jacoby steht hierzu auf dem Standpunkt, dass man die Zulassung des Verwalters nicht überregulieren sollte. Eine gerichtliche Aufsicht der Verwalter sei ausreichend. Smid erwiderte, dass die EU klar vorgebe, dass die Bestellung des Verwalters transparenter sein solle. Bundesweit gelte es rd. 1.400, und nicht mehr nur die 80 lokalen, Verwalter zu vereinheitlichen. Daraus folgerte er, dass der lokale Richter doch wieder eine eigene Liste benötige. Jacoby hielt es für sinnvoll, dass es bundesweite Kriterien gibt, aber lokale Präferenzen auch zu beachten seien. Zur Frage, wo eine Liste geführt werden soll, gab es unterschiedliche Auffassungen. Dies könne etwa beim Bundesamt für Justiz der Fall sein, aber auch eine Kammer käme in Betracht. Smid befürchtet einen erheblichen bürokratischen Aufwand. Er ist außerdem der Meinung, dass nicht nur „alte Hasen“ mit entsprechenden Vorerfahrungen in die Liste aufgenommen werden sollten. Er bezweifelte, dass eine Kammer hierzu geeignet sei. Bremen erwiderte hierzu, dass die Kammern hinreichend unabhängig seien. Dies werde auch in anderen Fällen nachgewiesen. Jacoby plädierte dafür, dass es eine Vereinfachung des Auswahlverfahrens geben solle. Man solle sich nicht mehr bei allen Gerichten bewerben müssen, sondern nur noch bei einer Stelle, die einheitlich die Kriterien abfrage. Dies könne das Bundesamt für Justiz bieten. Die Aufsicht im Einzelfall liege dann bei den Insolvenzgerichten. Smid sieht das Problem des Delistings einzelner Verwalter, wenn etwa der lokale Richter das Bundesamt auf Missstände hinweise. Auch sieht Smid das Problem der hohen Zahl bei einer großen Liste. Schließlich widmete sich das Podium noch den verbundenen Themen des nationalen „Forum-Shoppings“ und des so genannten Bremer Models. So sei es in der Vergangenheit zur Verlegung des Sitzes aus (zB) Hamburg nach (zB) Bremen gekommen, um einer Zuständigkeit bestimmter Richter und bestimmter Staatsanwaltschaften zu entgehen. Smid plädierte für die Anordnung einer grace period (Abkühlphase) nach einer Sitzverlegung entsprechend Art. 3 EuInsVO, innerhalb derer noch das Gericht des vorherigen Sitzes zuständig sein solle. Jacoby stellte sich insoweit eher auf den Standpunkt, dass die bestehenden Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit und die dazu ergangene Rechtsprechung des BGH ausreichend seien. Wenn eine Sitzverlegung zum Schein erfolge, könne dem mit den bestehenden Regelungen begegnet werden. Man müsse auch allgemein die Frage stellen, warum die Gerichte innerhalb Deutschlands so unterschiedlich seien, dass es zum Reflex der Sitzverlegung komme. Die Podiumsdiskussion wurde anschließend in das Auditorium geöffnet.
Zusammenfassung und Ausblick
Zum Schluss der Veranstaltung dankte der Vorsitzende des VID Christoph Niering den Teilnehmern. Diese konnten viel Wissen und neue Eindrücke mit nach Hause nehmen und endlich einmal wieder die Erfahrung machen, Kolleginnen und Kollegen „live“, in Farbe und in 3D zu begegnen. Das allein lohnte schon die Reise in die reichlich verregnete Hauptstadt im November 2021. Dem Deutschen Insolvenzverwalterkongress darf gewünscht werden, dass dieser in 2022 (noch) entspannter, unmaskierter und unbeeinträchtigter von Hygienekonzepten und ähnlichen Unbilden stattfinden kann.