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Arbeitsgruppe „Junge Insolvenzrechtler“ der ARGE Insolvenzrecht und Sanierung und des FORUM Junge Anwaltschaft (19.11.2021, Frankfurt a. M.) - NZI 24/2021

Von RA Martin-Xaver Schmid, München | Feb 08, 2022

„5 vor 12 – Beratung in der Unternehmenskrise aus verschiedenen Perspektiven“

Am 19.11.2021 veranstaltete die Arbeitsgruppe „Junge Insolvenzrechtler“ der ARGE Insolvenzrecht und Sanierung und des FORUM Junge Anwaltschaft in Frankfurt a. M. eine Tagung zum Thema „5 vor 12 – Beratung in der Unternehmenskrise aus verschiedenen Perspektiven“.

Thomas Henz begrüßte als Sprecher der Arbeitsgemeinschaft zunächst die rund 40 Präsenz-Teilnehmer und stellte die Referenten der Veranstaltung.

Als Besonderheit der Veranstaltung zeigte sich, dass diese nicht als Aneinanderreihung einzelner Vorträge der Referenten konzipiert war, sondern gesamtheitlicher Austausch des Podiums und der Zuhörer über den Veranstaltungstag hinweg geboten wurde. So repräsentierte Rechtsanwältin Dr. Janina Schmidt-Keßler als Senior Expertin Kredit- und Insolvenzrecht bei Hamburg Commercial Bank den Blickwinkel einer finanzierenden Bank. Rechtsanwältin Dr. Susann Brackmann erläuterte die Vorgehensweise aus rechtlicher Beratersicht. Matthias Müller schilderte zu den verschiedenen Themen des Tages die Beratungsleistung als betriebswirtschaftlicher Restrukturierungsberater. Rechtsanwalt Maximilian Bei der Kellen brachte seine Eindrücke aus der Insolvenzverwalterkanzlei in die Veranstaltung ein.

Walking Dead – Gründe und Folgen der ausgebliebenen Insolvenzwelle und Marktausblick

Im Rahmen des ersten Programmpunkts erörterte Brackmann, wie sich die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zu Beginn des Jahres 2020 auf die Zahl der eröffneten Insolvenzverfahren ausgewirkt hat und warum aus ihrer Sicht die Aufhebung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bislang nicht in einer „Welle“ von Insolvenzverfahren mündete. Wesentlich kristallisierten sich hierbei die staatlichen Maßnahmen wie die (nun wieder aufgehobene) Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, das Kurzarbeitergeld und die finanziellen Unterstützungsmaßnahmen heraus. Müller erläuterte hierzu die Entwicklung der Anzahl der Unternehmen, die die Möglichkeit des Kurzarbeitergeldes wahrgenommen haben, über die letzten zweieinhalb Jahre. Wesentlicher betriebswirtschaftlicher Punkt der ausbleibenden Steigerung der Insolvenzverfahren sei die Tilgungen der ausgereichten staatlichen KfW-Kredite. Hierbei zeigte er die verschiedenen in der Zukunft liegenden Zeitpunkte auf, zu denen die Tilgung schwerpunktmäßig erfolgen wird. Weiter wurden die in Zukunft sich noch ergebenden strukturellen Herausforderungen wie etwa Digitalisierung oder Energiekosten und weitere Punkte diskutiert.

Vorstellung des Sanierungsfalls der X-Werkzeugbau GmbH für die Fallstudie

Als Bezugspunkt für die weiteren Betrachtungen präsentierte Brackmann die Fallstudie der sich in einer wirtschaftlichen Krise befindenden fiktiven X-Werkzeugbau GmbH. Die Gesellschafter der GmbH setzten sich aus der Gründerfamilie und einem strategischen Investor zusammen. Die finanzielle Schieflage der GmbH basierte auf den Auswirkungen von Rohstoffengpässen und der fehlenden Gewährleistung von Abnahmezusagen. Folglich stieg die Verschuldung der GmbH und die Liquidität sank. Zudem liefen verschiedene bilaterale Kredite aus und es bestand nicht mehr die Möglichkeit zur Finanzierung der gegebenen Schuldscheine.
Im weiteren Verlauf der Veranstaltung wurden verschiedene Ansätze zur Stabilisierung und Lösung der wirtschaftlichen Notlage dieses Unternehmens aufgegriffen und diskutiert.

Beginn der Unternehmenssanierung – Stakeholder-Management und Liquiditätssicherung

Müller stellte die verschiedenen Krisenstadien des fiktiven Unternehmens von der latenten Krise bis hin zur akuten Krise dar. Hierbei erläuterte er, dass über die Stadien hinweg der Handlungsspielraum abnimmt, die Liquidität sinkt und der Restrukturierungsaufwand steigt. Bei der Kellen erfasste dann die Pflichten der Geschäftsführung zur Krisenfrüherkennung iSd § 1 StaRUG. Brackmann erarbeitete die Insolvenzantragsgründe nach §§ 17 ff. InsO und ging hierbei auf das SansInFoG und die Änderung des Begriffs der drohenden Zahlungsunfähigkeit ein. Müller griff diesen Punkt auf und erläuterte die zentrale Stellung des Stakeholder- Managements als Erfolgsfaktor für eine angestrebte Restrukturierung.
Schmidt-Keßler zeigte in diesem Zusammenhang die Rolle und die Interessen der Finanzierer im Rahmen einer Restrukturierung auf. So sei wesentliches Ziel die Vermeidung eines Ausfalls. Als Herausforderungen für eine Sanierung ergeben sich vielmals eine Vielzahl an Finanzierungen, verschiedenen Finanzierungsarten und verschiedene Besicherungen. Aufgrund dessen sei es ratsam, Steering Committees zu bilden, um die Interessen der Beteiligten zu wahren.
Im Weiteren erarbeitete das Podium die Rolle und Interessen der Gesellschafter, der Lieferanten und Kunden und auch der Arbeitnehmerseite. Es zeigte sich zudem, dass eine Blockadehaltung – egal aus welcher Richtung – frühzeitig zu erkennen und zu lösen sei.
Zu Beginn von Restrukturierungsbemühungen seien die Insolvenzantragsgründe zu prüfen. Dabei sei im ersten Schritt die Erstellung des Finanzstatus zum Stichtag der Liquiditätsplanung notwendig. Weiter ist eine 13-Wochen-Planung zu erstellen. Müller erläuterte hierbei mittels anschaulicher Beispiele aus der Praxis die Herausforderungen, sollten die durch die Geschäftsführung gelieferten Informationen intransparent oder sogar falsch sein.
Aus Sicht der finanzierenden Banken sei es nach Ansicht von Schmidt-Keßler in der Standstill- und Überbrückungsphase sinnvoll, Stillhalt- und Überbrückungsvereinbarungen mit dem Ziel der Stabilisierung zu schließen. In diesem Zusammenhang wurde im Wege eines Exkurses auf die Lender Liability aufgrund sittenwidriger Gläubigerschädigung nach § 826 BGB eingegangen. Als Präventivmaßnahmen aus Sicht der Kunden und Zulieferer des strauchelnden Unternehmens zeigte Brackmann verschiedene in Betracht kommenden Maßnahmen und deren jeweilige Vor- und Nachteile für die Beteiligten auf.
Bei der Kellen thematisierte die mögliche Geschäftsführerhaftungsthemen aufgrund Stundung des Finanzamts und aufgrund der Gewährung von Leistungen für angezeigte Kurzarbeit. Hierbei stellte er vornehmlich heraus, dass gerade keine Herausnahme der Haftung für Sozialversicherungsbeiträge durch § 15b VIII InsO erfolgt.

Wege aus der Krise – Außergerichtliche Sanierung vs. StaRUG vs. Restrukturierung im Insolvenzverfahren

Müller behandelte die verschiedenen Wege aus der Krise aus der betriebswirtschaftlichen und juristischen Beratersicht. Hierbei zeigte er auf, welche Konsequenzen sich aus dem Sanierungsprozess für die verschiedenen Stakeholder ergeben. Zu Beginn der Erörterung des in Betracht zu ziehenden Vorgehens stehe stets der Kick-Off, auf den die Vergleichsrechnung zwischen den verschiedenen Sanierungsverfahren folgt. Darauf aufbauend erfolgt die Verhandlung mit den Stakeholdern, um dann schlussendlich ein finales Konzept realisieren zu können. Zum Thema, welches Verfahren für welche Situation und aus der jeweiligen Stakeholder-Sicht am besten passend erscheint, entstand eine rege und interessante Diskussion des Podiums, bei der auch die weiteren Veranstaltungsteilnehmer ihre Ansichten einbrachten.

Plan A – Umsetzung der außergerichtlichen Sanierung, Kommunikation und ausgewählte Fallstricke

Schmidt-Keßler setzte sich im Weiteren mit den Handlungsmöglichkeiten einer finanzierenden Bank auseinander und erläuterte die Vor- und Nachteile einer konsensualen Lösung, der Sicherheitenverwertung, des StaRUG-Verfahrens, eines Insolvenzverfahrens und auch eines Forderungsverkaufs. Zudem erfasste sie die möglichen Sanierungsbeiträge aller Stakeholder und zeigte die wesentlichen Inhalte einer Restrukturierungsvereinbarung zwischen allen Beteiligten auf.
Müller ging auf das Sanierungskonzept als zentrales Instrument als Grundlage für die weiteren leistungs- und finanzwirtschaftlichen Maßnahmen ein. Demnach erfolge die Sanierung aus der operativen Wertschöpfungs-, der strategischen Markt- und aus der Finanzierungssicht, um die finanzwirtschaftlichen Möglichkeiten des Unternehmens erkennen und bewerten zu können.
Als Abschluss dieses Themenblocks entwickelte Brackmann ein Term Sheet und explizit am Fall wurden sodann die Sanierungsbeiträge der Stakeholder erarbeitet.

Dual Track – Parallele Vorbereitung des Plan B-Szenarios?

Im abschließenden Themenblock der Veranstaltung gab Brackmann einen Überblick über das Restrukturierungsverfahren nach
dem StaRUG und erläuterte den recht kleinen Anwendungsbereich hierfür. Dabei betonte sie, dass das StaRUG-Verfahren als wesentliches
konsensuales Verfahren für das Einbinden aller Beteiligten dienen kann. Müller erörterte unter diesem Blickwinkel,
dass eine Einbindung der Gesellschafter und ein Gesellschafterbeschluss zur Einleitung des StaRUG-Verfahrens unerlässlich sei.
Schmidt-Keßler beleuchtete die Herausforderungen und die Lösungsansätze für Finanzierer im Rahmen eines StaRUG-Verfahrens.
Hierbei zeigte sie auf, dass das StaRUG-Verfahren auf der einen Seite die Mitgestaltung und das Einbringen von Eigeninteressen
ermöglicht. Auf der anderen Seite trete aber der Punkt der sofortigen und bestmöglichen Verteidigung etwas zurück.
Brackmann untersuchte die Möglichkeiten des Wechsels vom StaRUG-Verfahren in ein Insolvenzverfahren. Hierauf nahm Müller
Bezug und erläuterte die betriebswirtschaftlichen Voraussetzungen zur Sinnhaftigkeit eines Insolvenzverfahrens.
Abschließend nahm das Podium noch jeweils Stellung zu den Änderungen der Regelungen zum Eigenverwaltungsverfahren nach
§§ 270b InsO und beschloss damit den kurzweiligen und erkenntnisreichen Veranstaltungstag.

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