Prof. Dr. Heinz Vallender, Erftstadt
In einem Europa, das wirtschaftlich immer stärker zusammenwächst, stellt der vom OLG Karlsruhe (NZI 2024, 514) entschiedene Fall zwar keine Besonderheit mehr dar. Er führt indes eindrucksvoll vor Augen, dass bei einer Beteiligung eines ausländischen Staats juristische Überlegungen über das nationale sowie das europäische Recht hinausgehen und auch die Regeln des Völkergewohnheitsrechts über die Staatenimmunität (vgl. § 20 II GVG) einbeziehen müssen.
Danach genießen vor deutschen Gerichten fremde Staaten grundsätzlich Immunität für hoheitliches Handeln (acta iure imperii), während sie bei nicht-hoheitlichen Betätigungen (acta iure gestionis) inländischer Gerichtsbarkeit unterworfen sind.
Zu entscheiden hatte das OLG Karlsruhe über folgenden Sachverhalt: Die Schuldnerin, über deren Vermögen ein deutsches Gericht das Insolvenzverfahren eröffnet hatte, war zuvor vom polnischen Finanzamt nach Stellung des Insolvenzantrags zur Zahlung von Umsatzsteuer als Folge der Einfuhr außereuropäischer Waren in ihr Logistikzentrum aufgefordert worden. Dem kam diese vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach. Der Insolvenzverwalter forderte vom
polnischen Fiskus die Rückgewähr der gezahlten Umsatzsteuer unter dem Aspekt der Insolvenzanfechtung wegen kongruenter Deckung. Er argumentierte, deutsche Gerichte seien international zuständig; der zivilrechtliche Anfechtungsanspruch sei von der hoheitlichen Tätigkeit der Steuererhebung zu unterscheiden. Der Grundsatz der Staatenimmunität werde im Übrigen durch die EuInsVO verdrängt.
Dieser Rechtsansicht erteilte das OLG Karlsruhe in seinem Berufungsurteil vom 15.04.2024 mit der Begründung, die deutsche Gerichtsbarkeit sei nicht eröffnet, eine klare Absage (krit. dazu Thole ZRI 2024, 384). Dass diese Entscheidung für den Insolvenzverwalter zu einem Dilemma führen kann, liegt auf der Hand. Denn die Zuständigkeit eines polnischen Gerichts dürfte sich allein durch die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens in Polen begründen lassen. Ob sich im Übrigen ein polnisches Gericht der von Kopp (NZI 2021, 657 (662)) und Cranshaw (DZWIR 2019, 459 (473)) empfohlenen teleologischen Reduktion des Art. 6 I EuInsVO anschließen und auf der Grundlage dieser Vorschrift seine Zuständigkeit bejahen würde, erscheint mehr als ungewiss.
Vor diesem Hintergrund richtet sich nun der erwartungsvolle Blick nach Karlsruhe auf den BGH. Denn das OLG Karlsruhe hat gegen seine Entscheidung vom 15.04.2024 die Revision zugelassen. Sollte sich der BGH indes der nicht durchgehend stringenten und überzeugenden Argumentation des Berufungsgerichts anschließen, wäre die in der Überschrift dieses Beitrags gestellte Frage zumindest für Insolvenzanfechtungsklagen weitgehend zu bejahen.