Prof. Dr. Stephan Madaus, Halle-Wittenberg
Im vergangenen Monat wurde ein neues EU-Parlament gewählt. Die neu gewählte
EU-Kommission ihre Arbeit nun aufnehmen und schon im Herbst ihren Aktionsplan
erarbeiten und veröffentlichen. In den vergangenen drei Aktionsplänen war jeweils
auch das Ziel der weiteren Harmonisierung des Insolvenzrechts im EUBinnenmarkt
enthalten, jeweils auf Initiative der Kapitalmarktverbände.
Dies verwundert kaum, wenn man bedenkt, dass wir in den letzten 20
Jahren einen EU-Binnenmarkt mit harmonisiertem Verbraucher-, Kapitalmarkt-,
Bankenaufsichts- und Bankenabwicklungsrecht geschaffen haben.
Diese Aufzählung hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Das
gemeinsame Marktaustrittsrecht fehlt allerdings. Gut möglich also, dass
es das Insolvenzrecht wieder in den Aktionsplan schafft. Jedenfalls der
Abschluss des Gesetzgebungsvorhabens „Insolvency III“, das bis zum
Ende der Legislaturperiode verhandelt wurde, scheint naheliegend.
Ein schlichtes „Weiter so“ ist allerdings bei genauer Betrachtung keineswegs sicher. Das Harmonisierungsprojekt stößt gerade im materiellen Insolvenzrecht in letzter Zeit in zunehmendem Maße auf Widerstand, ist es doch tief mit den nationalen Regeln über die Verteilung insolvenzbedingter Ausfälle verwoben. Die Frage, wann solche
Ausfälle zu realisieren und wer sie letztendlich zu tragen hat, beantwortet primär, aber nicht allein das Insolvenzrecht. Grundsatzentscheidungen des Gesellschafts-, Kreditsicherungs- und Sozialrechts begleiten, ja ermöglichen insolvenzrechtliche Regeln.
Es verwundert insofern kaum, dass jüngst eine gemeinsame Initiative deutscher Wirtschaftsverbände ausdrücklich der Notwendigkeit widersprochen hat, das Insolvenzrecht im Interesse der Fortentwicklung des EU-Kapitalmarkts umfassend zu harmonisieren. Dieses Interesse könne allein durch insolvenzrechtliche Sonderregeln für Finanzinstrumente bedient werden. So überzeugend diese Argumentation ist; sie greift zu kurz. Die Alternative zur Harmonisierungsidee liegt im Lösungsansatz der 1960iger und 1970iger Jahre verborgen. Die ersten Entwürfe eines Insolvenzübereinkommens für den Gemeinsamen Markt sahen die universelle Geltung des Insolvenzrechts des Staates des Schuldners vor. Es galt der Grundsatz: ein Insolvenzschuldner – ein Insolvenzverfahren – ein Insolvenzrecht. Dieser Grundsatz ist bis zum Inkrafttreten der EuInsVO 2002 in immer neuen Entwürfen verloren gegangen. Investoren im EU-Binnenmarkt brauchen ein Insolvenzrecht, das ex-ante vorhersehbar und in der Krise hinreichend flexibel ist. Eines einheitlichen Insolvenzrechts bedarf es hierzu nicht. Es genügt ein nationales Insolvenzrecht mit Wirkung in der gesamten EU. Die EU-Kommission sollte die 2027 anstehende Evaluierung der EuInsVO nutzen, um diese – im Gegensatz zu 2015 – grundlegend zu überarbeiten.