RiBGH a. D. Professor Dr. Markus Gehrlein, Landau
Nicht wenige seit vielen Jahren geltende Vorschriften wären für die Aufmerksamkeit dankbar, die der Regelung des § 2 StaRUG-E gewidmet wird, die nicht über das Entwurfsstadium hinaus gediehen ist, aber gleichwohl in der Literatur eine ungewöhnliche Resonanz ausgelöst hat. Nach dieser Vorschrift hatten die Geschäftsleiter ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit die Interessen der Gläubiger zu wahren. Die Interessen der Anteilsinhaber waren erst nachrangig zu berücksichtigen. Verstöße gegen die Pflicht der Geschäftsleiter, die Interessen der Gläubiger zu wahren, sollten im Verschuldensfalle nach § 3 StARUG-E eine Schadensersatzpflicht gegenüber dem haftungsbeschränkten Unternehmensträger nach sich ziehen.
Bekanntlich ist die Regelung des § 2 StaRUG-E, die mit der Berücksichtigung der Gläubigerinteressen einen shift of duties vorsah, kurz vor Toresschluss aus dem Gesetz gestrichen worden. Die Streichung erfolgte nach Auffassung des Gesetzgebers in dem Verständnis, dass sie keine Haftungslücken hinterlässt. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass das Bedürfnis nach Gläubigerschutz, das mit der Rückbildung der davon betroffenen gläubigerschützenden Haftungsnormen einhergeht, durch die gesellschaftsrechtlichen Haftungsnormen aufgefangen werden wird. Niemanden wird überraschen, dass derartige gesetzgeberische Kehrtwendungen gerade im sensiblen Bereich der Restrukturierung erhebliche Unsicherheit auslösen. Es muss befremden, wenn eine gesetzliche Regelung vorgeschlagen wird, die kurze Zeit später für entbehrlich erklärt wird, weil sie bereits im geltenden Recht verankert sei.
Gleichwohl sollte die durch das gesetzgeberische Ungeschicklichkeit aufgeworfenen Streitfrage nicht überbewertet werden, indem aus einer Ameise ein Elefant gemacht und ein künstlicher Interessengegensatz zwischen Unternehmenswohl und Gläubigerinteressen konstruiert wird. Auch auf der Grundlage der business judgement rule können angemessene Lösungen erzielt werden.
Die Pflicht, die Interessen der Gläubigerschaft zu wahren, bedeutet nicht, dass sich die Geschäftsführung ausschließlich an den Interessen der Gläubiger auszurichten hätte. Ein absoluter Vorrang der Gläubigerinteressen, der zur vollständigen Verdrängung der Interessen insbesondere der Anteilsinhaber führte, kann in der Regel nicht angenommen werden. Zum einen verlaufen die Interessen der Gläubigerschaft und der Anteilsinhaber über weite Strecken parallel. Denn weder die Anteilsinhaber noch die Gläubiger haben ein Interesse an der Vertiefung der Krise, sondern wünschen deren Überwindung. Zum anderen hängt der Grad, zu dem auf die Belange der Gläubigerschaft Rücksicht zu nehmen ist, von der Wahrscheinlichkeit und dem Ausmaß der Gefährdung der Gläubigerinteressen ab, so dass sich in einem früheren Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit aus der Interessenwahrungspflicht je nach den konkreten Umständen mitunter noch keine konkreten Handlungspflichten ableiten lassen. Je näher indessen die Zahlungsunfähigkeit rückt und je mehr sich die Handlungsspielräume verengen, desto mehr werden sich die Interessenwahrungspflichten zu konkreten Handlungspflichten verdichten. Die Geschäftsleiter sind dann gehalten, bei den Geschäftsführungsentscheidungen die Interessen der Gläubigerschaft zu berücksichtigen und Maßnahmen zu unterlassen, welche geeignet sind, die im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit angelegte Gefährdung der Gläubigerinteressen weiter zu vertiefen.
Folgerichtig ist der unternehmerische Beurteilungsspielraum der Geschäftsleiter in der finanziellen Krise eines Unternehmens deutlich eingeschränkt, weil einer Konsolidierung im Interesse eines Unternehmenserhalts der Vorrang gegenüber finanziellen Wagnissen zu geben ist. Dies bedeutet, dass ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit Risikogeschäfte einer besonderen Rechtfertigung bedürfen und im Zweifelsfall tunlichst zu unterbleiben haben.