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Pfändungsfreibeträge - NZI 10/2024

Prof. Dr. Dr. h.c. Martin Ahrens, Göttingen
Die zwangsvollstreckungsrechtlichen Pfändungsfreibeträge, die über § 36 I 2 InsO entsprechend auch im Insolvenzverfahren gelten, stellen eine große gesetzgeberische Leistung dar. Sie vereinfachen das Vollstreckungsverfahren in hohem Maß, weil das Vollstreckungs- bzw. Insolvenzgericht den unpfändbaren Betrag der Tabelle entnehmen kann und grds. nicht mehr einzeln berechnen muss. Auch wegen der Rechtssicherheit erscheint dies als ein riesiger Vorteil gegenüber systemsprengenden Ansätzen, die einen Rekurs auf individuelle Bedürfnislagen suchen.

Aber darf das Gericht den Pfändungsfreibetrag herabsetzen, wenn der Schuldner bestimmte Ausgaben nicht tätigen muss, etwa keine Unterkunftskosten zu zahlen hat? Der BGH (NJW-RR 2004, 1439) und einzelne Mittelgerichte (LG Kassel JurBüro 2007, 664) haben dies verneint. In jüngerer Zeit wird bei den Untergerichten vermehrt eine Tendenz sichtbar, in solchen Fällen den Pfändungsfreibetrag herabzusetzen (AG Oranienburg JurBüro 2016, 658; AG Wuppertal JurBüro 2020, 269; AG Tostedt JurBüro 2021, 106; AG Nordenham Jur- Büro 2021, 331; AG Bamberg JurBüro 2021, 331). Zurückhaltend formuliert: Diese Entwicklung verblüfft.

Systematisch gewendet, müsste es eine entsprechende Reduzierungsmöglichkeit geben. Dafür ist nichts ersichtlich. Antragsrechte der Gläubiger bestehen gesetzlich unter den Voraussetzungen der §§ 850c VI, 850d und 850f ZPO, aber nicht bei ersparten Aufwendungen. Damit fehlt ein erster zentraler Ansatzpunkt zur Modifikation der Pfändungsfreibeträge. Woraus soll dann die Kompetenz des Gerichts zur Beschränkung des Vollstreckungsschutzes resultieren? Gesetzlich bestimmte Beträge sind positives Recht und nicht in das Belieben eines Untergerichts gestellt.

Teleologisch könnte vielleicht noch an einen überschießenden Schutz des Schuldners gedacht werden, den es zu reduzieren gilt. Dem steht aber die klare Zielsetzung der Tabellenbeträge entgegen (BT-Drs. 14/6812, 9). Diese beruhen zwar auf einzelnen Berechnungsfaktoren, überlassen jedoch die Verwendungsentscheidungen dem Schuldner (PG/Ahrens, 16. Aufl., ZPO § 850c Rn. 7). Eine Kontrollüberlegung bestätigt dies. Wenn eine Beschränkung des Pfändungsschutzes bei fehlenden Mietzahlungen möglich wäre, müsste auch eine Heraufsetzung bei höheren Mieten in Betracht kommen. Jenseits von § 850f I ZPO wird dies weder vertreten noch erscheint dies denkbar. Für andere Konstellationen gilt Entsprechendes.

So bleibt nur zu erwägen, ob das unentgeltliche Wohnen, als Musterbeispiel für ersparte Aufwendungen, selbst eine pfändbare Leistung bildet. Wenn eine Wohnmöglichkeit unentgeltlich vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wird, kommt eine Pfändung nach Maßgabe von § 850e Nr. 3 ZPO in Betracht. Hier handelt es sich um einen Teil der Vergütung. Andere Vermögensrechte sind nach § 857 ZPO pfändbar, außer es liegt eine nach § 851 ZPO unpfändbare Forderung vor. Bei der Überlassung von Wohnraum nach § 399 Alt. 1 BGB handelt es sich um eine höchstpersönliche, deswegen unabtretbare und damit unpfändbare Leistung.

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