Wohnungen in der Insolvenz - NZI 16-17/2023
Prof. Dr. Dr. h.c. Martin Ahrens, Göttingen
Die Wohnung bildet einen Kernbereich der autonomen Lebensführung. Ihrem hohen Stellenwert wird in vieler Hinsicht Rechnung getragen. Bei Mietwohnungen ist der Schutz sehr stark ausgebildet. Eine außerordentliche fristlose Kündigung setzt einen Verzug mit zwei Monatsmieten oder einem nicht unerheblichen Teil der Miete voraus, doch ist die Kündigung ausgeschlossen, wenn der Vermieter vorher befriedigt wird, § 543 II 1 Nr. 3, S. 2 BGB.
Für die ordentliche Kündigung des Vermieters wegen eines Zahlungsrückstands ist sogar ein echtes Verschulden erforderlich, § 573 II Nr. 1 BGB. Von den Sozialleistungsträgern wird der Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II und § 35 SGB XII gedeckt, uU werden sogar Mietschulden übernommen, § 22 VIII SGB II. Der Räumungsschutz ist in § 721 ZPO und vielen weiteren Detailregelungen normiert (Schindler NZM 2021, 745; BVerfG BeckRS 2023, 10661). Nicht vergessen werden dürfen auch die §§ 108 f. InsO, die den Mieter begünstigen.
Als Immobilieneigentümer ist der Schuldner dagegen weitaus geringer geschützt (ausf. BeckOK InsR/Markovic Immobilienrecht, 31. Ed.). Das Eigentum an Immobilien fällt in die Insolvenzmasse und kann vom Insolvenzverwalter mit Zustimmung der Gläubigerversammlung bzw. des Gläubigerausschusses nach § 160 II Nr. 1 InsO freihändig verwertet werden. Auch eine Zwangsversteigerung ist möglich, § 165 InsO. Aus einem Zuschlagsbeschluss findet nach § 93 I 1 ZVG die Räumungsvollstreckung statt. Eine Schutzmöglichkeit bietet oft nur § 765a ZPO (vgl. etwa BGH NJW-RR 2017, 695). Nicht selten werden allerdings erhebliche Absonderungsrechte auf der Immobilie liegen und eine Verwertung durch den Insolvenzverwalter faktisch ausschließen.
Einen Versuch, auf anderem Weg einen Pfändungsschutz zu erreichen, hat jetzt der ua für Ansprüche aus dinglichen Rechten an Grundstücken zuständige V. Zivilsenat blockiert (BGH NZI 2023, 413 mAnm Neumann NZI 2023, 415). Da ein Wohnrecht als beschränkte persönliche Dienstbarkeit prinzipiell unübertragbar und damit unpfändbar ist, §§ 1093, 1092 I 1 BGB, wird es eigentlich vor dem Insolvenzbeschlag geschützt. Diese gesetzliche Konsequenz hat jetzt der V. Zivilsenat abgelehnt, wenn Grundstückseigentümer und Wohnungsberechtigter personenidentisch sind.
Zwangsläufig ist diese unterschiedliche Behandlung der Wohnungsmieter und der Eigentümer von Wohnimmobilien jedoch nicht. Art. 23 III Buchst. f Restrukturierungsrichtlinie ermöglicht, dass die Hauptwohnung des insolventen Unternehmers und seiner Familie nicht verwertet wird. Es ist längst schon Zeit, über einen anderen Schutz des Immobilieneigentümers im deutschen Recht nachzudenken. Ziel muss dabei sein, die Gläubigerbefriedigung und den Schutz der Wohnung angemessen auszubalancieren. Welche Instrumente könnten dafür sinnvoll sein? Eine verlängerte Entschuldungsfrist stellt eine Option dar.