RA Philipp Freiherr von dem Bussche, Berlin und RA Dr. Rolf Leithaus, Köln
Die Insolvenzszene konnte sich nach längerer Covid-Pause einmal wieder auf das alljährliche Klassentreffen der Branche freuen und strömte in Scharen in die Hauptstadt zum alten Tagungshotel im leicht abgewandelten neuen Setting um viele alte Bekannte zu treffen und neue Netze zu knüpfen.
Nachdem sich die Teilnehmer von der Vorabendveranstaltung erholt hatten und die Trophäen für die erstmals verliehenen DAV-Awards bestaunen konnten, begrüßten die beiden Vorsitzenden der ARGE Insolvenzrecht im DAV, Dr. Anne Deike Riewe und Dr. Rainer Eckert die (ganz knapp) über 1.000 Kollegen und Kolleginnen aus der gesamten Republik. Dabei hob Eckert die Rolle der Banken in der anhaltenden Krise hervor und stellte zu den aktuellen berufsrechtlichen Themen zum Stichwort „Verwalterkammer“ fest, dass zwischen der ARGE und der BRAK eine „natürliche Schnittmenge“ bestehe und man allseits ein System der Selbstorganisation der Verwalterschaft unterstütze. Riewe sprach die internationalen Themen, insbesondere die Harmonisierung des Sachrechts nach dem seit Dezember 2022 vorliegenden Richtlinien-Vorschlag der EU-Kommission an.
Grußwort des Justizministers
Der Tradition der Vorjahre folgend hielt der Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann ein vielbeachtetes und kenntnisreiches Grußwort. Buschmann stellte seiner Rede voran, dass er Mitglied der Anwaltskammer und Anwalt ist und sich in seiner zurückliegenden aktiven Tätigkeit bereits mit Insolvenzen, speziell mit Finanzierung und Distressed M&A beschäftigt hatte. Er lobte die Veranstaltung als echte Institution und Highlight in seinem Kalender. Die InsO war zu Beginn des ersten DIT vor über 20 Jahren bereits fünf Jahre alt und habe sich als „Dauerbaustelle“ erwiesen. Zwar habe es eine Vielzahl von Änderungen und Eingriffen gegeben, die innere Ordnung der Gesetzgebung sei aber erhalten geblieben. Er blickte mit Optimismus auf die Umsetzung der Richtlinie zum Restrukturierungsverfahren und äußerte die Erwartung, dass man im nächsten Jahr noch gelassener über das StaRUG sprechen werde. In der Folge äußerte Buschmann sich auch noch zum Berufsrecht. Ziel des Gesetzgebers sei es, die Gerichte bei der Vorauswahl zu entlasten. Man wollte aber gleichzeitig sicherstellen, dass Zugang zum und Ausscheiden aus dem Verwalteramt fachgerecht erfolgt. Insbesondere solle ein Zugang für Newcomer gewährleistet werden. Das BMJ werde sich der schwierigen Aufgaben mit erheblichen Auswirkungen für die Betroffenen mit größter Sorgfalt zuwenden. Buschmann schloss seine Rede mit einem Gesprächsangebot an die Teilnehmer der Tagung und wünschte dieser einen erfolgreichen Verlauf.
Aktuelle Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des BGH
Traditionell ging es weiter, indem der neue Vorsitzende des IX. Zivilsenats Prof. Dr. Heinrich Schoppmeyer die jüngere Rechtsprechung seines Senats erläuterte. Schoppmeyer konzentrierte sich dabei auf fünf besonders herausragende Entscheidungen, wie die zur (Un-)Zulässigkeit von Lösungsklauseln auf den Fall der Insolvenz (IX ZR 213/21, NZI 2023, 165 mAnm. Lenger-Bauchowitz NZI 2023, 171). Hierzu betonte er die in der jüngeren Rechtsprechung schon angeklungene Möglichkeit der Vereinbarung einer Kündigung wegen der Insolvenz als wichtigem Grund, wenn ein solcher bereits im dispositiven Recht angelegt sei.
Bei der internationalen Zuständigkeit sprach Schoppmeyer die „Galapagos“-Entscheidung (IX ZB 72/19, NZI 2023, 183 mAnm Bork NZI 2023, 187) an. Hier war der COMI einer in Düsseldorf ansässigen Gesellschaft nach UK verlegt worden, weshalb es – aufgrund des Brexits – nicht mehr auf das gegenseitige Vertrauensgebot innerhalb der EU ankam. Daher blockierte die Anhängigkeit eines Insolvenzverfahrens in London eine Eröffnung in Deutschland nicht.
Prozessual komplex wurde es bei der Entscheidung über die Aufnahme eines Rechtsstreits durch den Verwalter bei einer Zug-um-Zug-Forderung (IX ZR 78/21, NZI 2022, 856 mAnm Sternal NZI 2022, 858). Ob der Verwalter aufnehmen kann oder muss, richtet sich im Einzelfall nach der Stoßrichtung der Klage als Aktiv- oder Passivprozess. Jedenfalls dann, wenn bereits ein erstinstanzliches Urteil gegen den Schuldner besteht, obliegt die Klagelast dem Insolvenzverwalter.
Gegenstand der vierten referierten Entscheidung war das Entstehen von Masseverbindlichkeiten bei gegenseitigen Verträgen im Fall der Fluggesellschaft Condor (IX ZR 140/21, NZI 2022, 978). Aufgrund dieser Entscheidung ist der bloße Umstand, dass der Verwalter freiwillig einen Flug durchführt, wozu er insolvenzrechtlich nicht verpflichtet war, nicht automatisch Masseverbindlichkeiten begründet. Hierzu bedarf eines besonderen Verhaltens des Verwalters, um Forderungen aufzuwerten.
Schließlich berichtete Schoppmeyer noch über die jüngste Entscheidung zum Sale-and-lease-back von Schiffscontainern (P&R, IX ZR 17/22, NZI 2023, 332 mAnm Borries/Thormann NZI 2023, 334), die tatsächlich nicht existierten, da die Schuldnerin ein „Schneeballsystem“ betrieben hatte. Der Senat verneinte in der Konstellation eine Unentgeltlichkeit im Sinne von § 134 InsO.
Permakrise, Staatswirtschaft und Megatrend
Patrik Ludwig Hantzsch vom Verband der Vereine Creditreform e. V. kam in seinem anschließenden Vortrag „Zwischen Permakrise, Staatswirtschaft und Megatrends“ zu der These, dass klassische Seismografen zur Bewertung einer wirtschaftlichen Krise nicht mehr funktionieren würden. Entgegen den Prognosen konnte bis 2021 ein rapider Abstieg der Unternehmensinsolvenzen registriert werden, welcher durch einen kleinen Anstieg im Jahr 2022 aufgefangen worden sei. Eine Trendumkehr sei zwar ersichtlich, allerdings müsse mit einem Ausbleiben des „Insolvenztsunamis“ gerechnet werden. Der Referent führte weiter aus, dass der Staat mit dem Stichwort „Bazooka“ in einen Dauerkrisenmodus (von Omikron über die Ukrainekrise bis hin zur Energiekrise) gefallen sei, welcher vollständig schuldenfinanziert sei. Diese Subventionierung mit der „Gießkanne“ sei der Grund für die abnehmenden Insolvenzahlen. Ob 2023 wieder mit einem Anstieg der Insolvenzen gerechnet werden könne, müsse anhand verschiedener Indikatoren beurteilt werden. So stehe die Marktwirtschaft insbesondere vor Herausforderungen wie gestiegener Baustoffkosten, einer extremen Regulatorik sowie eines Konsumrückganges. Hinzu komme der sogenannte „Corona-Bumerang“: Die Stundungen der Finanzämter und Krankenkassen liefen aus, Hilfskredite würden zur Rückzahlung fällig werden. Besondere Sorgen würden laut Umfragen insbesondere bezüglich der gestiegenen Energiekosten, des sich verschärfenden Personalmangels (Renteneintritt der Babyboomer) sowie der Inflation bestehen. Bemerkenswert sei, dass sich der Fokus von pandemiebezogenen Problemen hin zu Kernproblemen eines Handwerksbetriebes entwickle. Aktuell sei das Insolvenzgeschehen in der Handwerksbranche mit einer Insolvenzquote von 12% überdurchschnittlich. Zusammenfassend identifizierte er die Megatrends Inflation und Zinswende, (Fach-) Personalmangel, Lieferkettenproblematik sowie ESG.
Sanierungsvergleichsgesetz
Die anschließende Podiumsdiskussion wurde von Eckert geleitet, der die Podiumsteilnehmer vorstellte und Prof. Dr. Gerrit Hölzle das Wort überließ. Hölzle führte in die Fragestellung ein, ob ein Sanierungsvergleichsgesetz, auch vor Hintergrund der insolvenzreduzierenden „Corona-Gesetzgebung“, gebraucht werde. Bereits in der Krise 2009 habe Eidenmüller die Frage gestellt, ob das bisherige Insolvenzrecht zur Bewältigung aller Unternehmenskrisen ausreiche. Obwohl das deutsche Insolvenzrecht international als „viertbestes“ Recht bewertet worden sei, sei die öffentliche Wahrnehmung der Insolvenz durchweg negativ. Insbesondere habe die Insolvenzordnung wegen der langen Dauer und schweren Vorhersehbarkeit keinen guten Ruf als Sanierungsgesetz. Ob das StaRUG hier Abhilfe schaffen könne, sei fraglich. Allerdings seien bereits erste gute Erfahrungen gesammelt worden. Ein neues Pre-Pack-Verfahren könne die Lösung sein. Hölzle plädierte dafür, dass ein Verfahren bei Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen schon zum Zeitpunkt der Antragstellung sofort eröffnet werden solle. Insolvenzgeld solle für die ersten drei Monate des Verfahrens gewährt werden. Sofern der Sanierungsvergleich durch das Restrukturierungsgericht bestätigt werde, könne das Verfahren umgehend aufgehoben werden, im Falle der Nichtbestätigung würde sich ein sofortiges Insolvenzverfahren anschließen.
Diskussionseinleitend führte Dr. Wenke Mull aus, dass die deutsche Anwaltschaft für ein solches Verfahren grundsätzlich hinreichend qualifiziert sei. Allerdings müsste sich die deutsche Gerichtsbarkeit ebenso spezialisieren. Weiter erläuterte sie, dass die Coronamaßnahmen weniger als Kritik an dem bestehenden Insolvenzrecht zu verstehen seien, sondern vielmehr eine ex-ante Entscheidung gewesen seien. Umso mehr gelte es heute, diese wieder zurückzufahren. Nach ihrer Einschätzung laufe die vorinsolvenzliche Sanierung bei „Androhung“ eines StaRUG-Verfahrens meist außergerichtlich ab, und im Falle des Vorliegens von Insolvenzgründen könne auf die Insolvenzordnung zurückgegriffen werden. Prof. Dr. Christoph Thole ergänzte, dass er diesen Bedarf vor dem Hintergrund des immer mehr nachgefragten Schutzschirmverfahrens eher nicht erkennen könne. Auch würde das vorgestellte Sanierungsvergleichsverfahren einem Insolvenzplanverfahren sehr ähneln, und er halte es für fraglich, ob eine „Umlackierung“ das Stigma der Insolvenz beseitigen könne. Eckert fragte, wie man sonst alternativ schnell in das Verfahren einsteigen könne. Mull erläuterte hierzu, dass es schwierig sei zu beurteilen, wann der beste Zeitpunkt für die Durchführung eines solchen Verfahrens sei und wie dessen wirtschaftlicher Erfolg ausfallen werde. Hölzle wendete hier ein, dass dies gerade bei einem Pre-Pack-Verfahren der Fall sei und diese Quote dem Restrukturierungsgericht bei Einreichung des Vergleiches mitgeteilt werde. Thole ergänzte, dass das Verfahren einer professionellen Vorbereitung bedürfe und daher eher für größere Unternehmen in Betracht komme. Parallel zur Diskussion mit div. Tagungsteilnehmern wurde eine Abstimmung unter den Teilnehmern des DIT durchgeführt. Die Frage, ob das vorgeschlagene Vergleichsgesetz für sinnvoll erachtet wird, wurde zu 16% mit „ja“ und zu 70% mit „nein“ beantwortet.
Wissenschaftspreis Insolvenzrecht und Sanierung
Herr Prof. Dr. Heinz Vallender verkündete anschließend die Verleihung des Wissenschaftspreises Insolvenzrechts und Sanierung. Gewinnerin war Dr. Julia Hart mit ihrer Dissertation zum Thema „Universalität im internationalen Insolvenzrecht“, Doktorvater ist Prof. Dr. Reinhard Bork. Die Jury um Prof. Dr. Heinz Vallender, Prof. Dr. Godehard Kayser sowie Prof. Dr. Christoph Thole war einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich dabei um eine „akademische Spitzenleistung“ handele.
Start-Up Finanzierung in der Krise
Der Nachmittag des ersten Tages war den insgesamt vier Workshops gewidmet. Den Workshop I (Start-Up Finanzierung in der Krise) moderiete Dr. Christoph Morgen. Die Impulsreferate wurden gehalten von Dr. Benjamin Ullrich sowie Prof. Dr. Reinhard Bork. Das Podium vervollständigten Dr. Veronika von Heise-Rotenburg, Christoph J. Stresing sowie Ivo-Meinert Willrodt.
Ullrich führte in die Thematik der Venture Capital-Finanzierung für Start-Ups ein. Ein VC-Fonds sei auf den Wertwachstum seiner Anteile und nicht auf eine Dividendenzahlung ausgelegt. Mit dieser Prämisse investiere er in der Regel in bis zu 50 Start-Ups, wobei jedes Start-Up im Erfolgsfall geeignet sein müsse, den gesamten Fonds zu finanzieren. Somit könne eine Erfolgsquote von 5% gerechtfertigt werden. Die typischen Finanzierungsphasen erläuterte er als die Gründungs-, Preseed- und Seedphase sowie in die Series A-Finanzierungsphase, in der nahezu ausschließlich über Eigenkapital finanziert werde. Ab der Series B-Finanzierungsphase werde auch Fremdkapital eingesammelt.
Im zweiten Impulsreferat führte Bork zunächst aus, dass sich bei Start-Ups häufig Haftungsprobleme im Zusammenhang mit einer latenten Insolvenzverschleppung (§ 823 II BGB iVm §§ 15a, 15b InsO) stellten. Bei der Erstellung einer rechnerischen Überschuldungsbilanz sehe sich das Start-Up häufig damit konfrontiert, dass nahezu keine werthaltigen Aktivpositionen zu verzeichnen seien. So würden sich aus einem Term-Sheet regelmäßig keine durchsetzbaren Ansprüche ergeben, eine Bilanzierbarkeit müsse daher verneint werden. Allenfalls kämen Kredit- oder Einlagenansprüche gegen die Investoren oder bereits werthaltige Immaterialgüter als aktivierbare Positionen in Betracht. Bei Betrachtung der Passivseite müssten insbesondere Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten und Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen bis zur nächsten Kündigungsmöglichkeit beachtet werden. Nachfolgend ging Bork auf die „Fortführungsprognose“ ein und leitete mit der Vorstellung einer Umfrage bezogen auf die Gründe des Scheiterns von Start-Ups ein: So sei „kein Markt“ (42%) der Hauptgrund, gefolgt von einer „unzureichenden Finanzierung“ (29%) und einem „falschen Team“ (23%). 19% würden die „Wettbewerbsverdrängung“ als Hauptgrund nennen, 18% würden ein schwieriges „Preis-Kosten-Verhältnis“ hauptsächlich problematisieren. Bei der Bewertung einer „Fortführungsprognose“ sei insbesondere zu berücksichtigen, ob ein klar definiertes, innovatives und realisierbares Geschäftsmodell vorliege und weitere Erfolgsfaktoren bestehen. Auch müsse eine realistische Finanzplanung regelmäßige Aktualisierungen erfahren. Die Sicherung der Finanzierung könne auch durch offene Kreditlinien, Drittzusagen sowie harte Termsheets nachgewiesen werden, Finanzierungserwartungen sollten stets verschriftlicht werden. Bork fasste zusammen, dass für eine Fortführungsprognose stets eine Einzelfallbewertung vorzunehmen sei. Den Besonderheiten eines Startups müsse dabei Rechnung getragen werden.
In der anschließenden Podiumsdiskussion antwortete Christoph J. Stresing auf die Frage, was denn überhaupt ein Start-Up sei. Er sehe im Wesentlichen zwei Kriterien: Der Grad der Innovation und die Skalierbarkeit der Idee und damit einhergehend auch der Skalierungswille der Gründer. Zu bewerten, ab wann es sich bei einem Unternehmen aufgrund der Größe um kein Start-Up mehr handele, sei indes schwierig. Trotz der angespannten Situation sei er langfristig betrachtet optimistisch, da sich die deutschen Start-Ups in einem grundsätzlich gesunden Ökosystem befänden. Ullrich warf hierzu ein, dass durch Investoren teilweise ein erheblicher Druck auf Gründer zum Weitermachen ausgeübt werden würde. Dies sei insolvenzbedingt kritisch zu sehen. Dem Gründer müsse die Möglichkeit gegeben werden, aus einem gescheiterten Start-Up ohne Schulden hervorzugehen. Mit Blick auf den Vortrag von Bork ergänzte von Heise-Rotenburg, dass ein hartes Term Sheet bestenfalls bereits sechs Monate vor Aufbrauchen der finanziellen Mittel stehen müsse. In einer Überschuldungsbilanz dürften IP-Rechte selten zu aktivieren sein, es sei denn, es komme bereits eine Verwertung der Rechte in Betracht. Willrodt berichtet aus seiner Erfahrung als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Start-Ups „Windeln.de“ und führte unter Verweis auf das Beispiel aus, dass nicht jedes Unternehmen, welches als Start-Up bezeichnet werde, auch tatsächlich ein solches sei. Da die Rechtsprechung sich bislang bedeckt halte, fragte Morgen, wie sicher denn die kommende Finanzierungsrunde bei der Bewertung der Überschuldung sein müsse und ab wann denn mit der Finanzierung auch „Schluss“ sei. Von Heise-Rotenburg führte hierzu aus, dass ein Start-Up in der Regel zunächst auf maximales Wachstum fokussiert sei, um im Anschluss das Unternehmen in die Rentabilität „zu drehen“. Bis zu diesem Zeitpunkt seien Finanzierungsrunden geplant und auch erforderlich. Aus dem Publikum fragte Prof. Dr. Georg Bitter, wie das Scheitern junger Unternehmen gesehen werde. Es gebe eine Studie, die ergeben habe, dass jemand eher scheitere, wenn er bereits gescheitert sei. An Bork gewandt äußert er die Ansicht, dass die Wahrscheinlichkeit bei der Bewertung der Fortführungsprognose mehr als 50% betragen müsse, ansonsten handele es sich nur im ein Roulettespiel mit der Wahrscheinlichkeit Schwarz oder Rot. Auf die abschließende Frage von Morgen, ob es bei der Insolvenz eines Start-Ups besonders schutzwürdige Gläubiger geben würde, erwiderte Bork, dass dies gegen den Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz verstoßen dürfte. Ullrich ergänzte, dass auch aus seiner Sicht kein gesonderter Schutzbedarf bestehe. Mit Blick auf die Überschuldungsbewertung würde er sich aber wünschen, dass das Term Sheet und auch eine ausführliche positive Due Diligence bei einem Start-Up auch zu einer positiven Fortführungsprognose führen würden. Morgen stellte als Fazit fest, dass bei der Beurteilung der Überschuldung ein Start-Up keinesfalls pauschal bewertet werden könne, stets sei eine vertiefte Einzelfallprüfung erforderlich, um Insolvenzverschleppungsfälle zu vermeiden.
Die weiteren Workshops widmeten sich den folgenden Themen:
Workshop II: „Direktversicherung, Riester und Co. – Pfändbarkeit und Massezugehörigkeit der Altersvorsorge des Schuldners“ mit Impulsreferaten von Dr. Elske Fehl-Weileder und Dr. Andreas Hofelich, die zusammen mit Monika Deppe und den Moderatoren Horst Harms-Lorscheidt und Kai Henning die anschließende Diskussion bestritten; Workshop III: „ESG – Refinanzierbarkeit und Probleme der Planungsunsicherheiten in Sanierungsfällen“ mit einem Impulsreferat von Holger Rabelt und einem Podium bestehend aus Britta Habekost, Oliver Kehren und Herbert Woisetschläger unter der Moderation von Marlies Raschke und Andreas Ziegenhagen; sowie Workshop IV: „Liquiditätshilfen in die Insolvenz!“ mit einem Impulsreferat von Prof. Dr. Torsten Martini und einem Podium bestehend aus Dr. Christian Gerloff und Dr. Sabine Vorwerk unter der Moderation von Daniel F. Fritz.
Aktuelle Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH
Zu Beginn des zweiten Veranstaltungstages begrüßte Dr. Peter Depré die Teilnehmer und führte in den ersten Vortrag des ehemaligen Vorsitzenden des II. (Gesellschaftsrechts-)Zivilsenats Prof. Dr. Ingo Drescher ein.
Dieser begann seinen Vortrag mit einem Urteil bezüglich der Haftung von Kommanditisten gegenüber den Gläubigern der Untergesellschaft ein (II ZR 123/20, NZI 2021, 926 mAnm Otte NZI 2021, 930). Hiernach sei eine Haftung der Obergesellschaft einer doppelstöckigen KG gem. §§ 171, 172 HGB bzw. § 128 HGB für Verbindlichkeiten der Untergesellschaft gegenüber Dritten möglich.
Im Anschluss besprach er ein Urteil zur Zahlungsunfähigkeit im Cash-Pool (II ZR 112/21, NZI 2022, 787 mAnm Gutmann NZI 2022, 789). Wesentliche Erkenntnis aus dieser Entscheidung war, dass maßgebend für die Schuldendeckungsfähigkeit der Unternehmenstochter die im Cash-Pool vorhandenen liquiden Mittel seien.
Als nächstes wurde das Urteil zur „weichen“ Patronatserklärung vor dem Hintergrund der Überschuldung besprochen (II ZR 84/20, NZI 2021, 872 mAnm Fehl-Weileder NZI 2021, 875). Eine solche habe nach Auffassung des Senats mangels Bilanzierbarkeit keine Bedeutung für die Bewertung einer rechnerischen Überschuldung, könne aber unter Umständen eine positive Fortbestehensprognose begründen. Im Falle einer Krise bedürfe es hierfür aber regelmäßig einer „harten“ und auch tatsächlich durchsetzbaren Patronatserklärung.
Im Anschluss ging Drescher auf die Haftung bei Vorleistung des Zahlungsempfängers nach § 64 GmbHG aF ein (II ZR 355/18, NZI 2021, 45 mAnm Müller NZI 2021, 51).
Nach einer weiteren besprochenen Entscheidung (II ZR 387/18, NZI 2021, 637 mAnm Fehl-Weileder NZI 2021, 641) sind Vereinbarungen über Haftungsansprüche nach § 64 aF (und somit auch § 15b IV 4 InsO) unwirksam.
DFL: Öffnung der Fußball-Bundesliga für Investoren
Nahtlos ging es danach in ein eher „fachfremdes“ Panel zur Fußball-Bundesliga. Dr. Ruth Rigol begrüßte die Teilnehmer Axel Hellmann, Thomas E. Herrich, Prof. Dr. Christian C.-W. Pleister sowie Ingo Schiller. Pleister verwies einleitend auf die Zentralvermarktung durch die DFL und bestimmte Einschränkungen durch das Kartellamt, wonach eine Zusammenfassung im Free-TV samstags um 18.30 Uhr gewährleistet sein müsse und es nicht nur einen Anbieter geben dürfe. Außerdem gelte die „50+1“-Regelung. Es folgte eine Übersicht über die Regelungen in den einzelnen Vereinen der ersten Bundesliga. Hellmann stellte im Anschluss klar, dass ein Blick auf die Tabelle der 1. Bundesliga zeige, dass die Rechtsform keinen Einfluss auf den Erfolg eines Clubs habe. Vor diesem Hintergrund bekannte er sich auch ausdrücklich als Befürworter der 50+1-Regel. Darüber hinaus lasse sich der Wert eines Vereins nicht an den Investitionen messen. Pleister warf ein, dass es dem Wettbewerb in der Bundesliga nicht schaden würde, wenn sich die Umsätze der Vereine auf dem Niveau der Premier League bewegen würden. Hellmann entgegnete, dass er ein dauerhaft defizitäres System wie in der Premier League für nicht erstrebenswert halte. Die Podiumsteilnehmer waren sich nach der weiteren Diskussion darüber einig, dass es wohl auch Mäzene in der Bundesliga brauche, es müsse nur die „Waage gehalten“ und das gesunde Wachstum der Fußballclubs sichergestellt sein. Abschließend äußerte Hellmann die Meinung, dass man die Bundesliga wohl noch mehr für Investoren öffnen müsse, um international konkurrenzfähig zu bleiben.
Betriebsfortführung in unsicheren Zeiten
Zur Betriebsfortführung in unsicheren Zeiten trug nach einer Pause Dr. Dirk Andres vor. Neben der Fortbestehensprognose des § 19 InsO erfordere auch das StaRUG, aber auch beispielsweise § 90 I Nr. 1 AktG eine valide Unternehmensplanung. Im Insolvenzverfahren selbst seien die Akteure dafür verantwortlich, dass kein Vermögensverzehr stattfinde. Allerdings sei dies aus der insolvenzrechtlichen Buchhaltung nicht ohne weiteres erkennbar. Vielmehr sei eine Gewinn- und Verlustrechnung zur Prognostizierung der Vermögensentwicklung erforderlich. Klarstellend fügte Andres hinzu, dass ein Vermögensverzehr im Rahmen einer Gesamtschau festgestellt werden müsse. So könne ggf. auch ein defizitäres Geschäft (zB Start-Ups) fortgeführt werden, um den Wert der Assets zu erhöhen oder Masseschulden zu vermeiden. Der Prognosezeitraum der Planung orientiere sich an dem Zweck der Planung: Aufgrund der Fortbestehensprognose nach § 19 InsO sei eine Viermonatsplanung zu kurzfristig, eine Planung sollte eher für den Zeitraum von neun bis zwölf Monaten erfolgen. Insbesondere halte er eine 13-Wochen-Planung für unpassend, da stets eine Unsicherheit wegen hoher Kostenpunkte (Gehalt etc.) am Ende des vierten Monats (also in den Wochen 14 bis 16) bliebe. Abschließend warb Andres dafür, den integrierten Ansatz bereits im Vorfeld des Verfahrens zu Überwachung einzuführen.
Nachhaltige Transformation der Automobilindustrie
Unter der Moderation von Riewe bestritten Andreas Rade, Dr. Jasmin Urlaub, Peter Wiegand sowie als Überraschungsgast der Vorstandsvorsitzende der Continental AG, Nikolai Setzer, den folgenden Workshop mit dem Titel „Nachhaltige Transformation der Automobilindustrie“. Riewe führte in das Thema ein und stellte Setzer vor. Dieser erläuterte, dass sich die Automobilzulieferer zunehmend unter Druck stünden. Das Europa- und Nordamerikageschäft nehme ab, der Schwellenlandmarkt, insbesondere in China, nehme zu. Grundsätzlich stelle man sich auf ein konstantes Produktionslevel ein, allerdings werde der Standort Deutschland weniger relevant werden. Man sehe sich umfassenden Transformationsaufgaben konfrontiert. Hierzu gehörten Digitalisierung und Automatisierung sowie Nachhaltigkeit. Insgesamt müsse die geringere Wertschöpfung einen höheren Kapitalbedarf finanzieren. Insbesondere würde die E-Automobilität in manchen Bereichen zu einem Wertschöpfungseinbruch von bis zu 40% führen. Vor diesem Hintergrund führe auch die Zinswende dazu, dass eine Refinanzierung schwieriger und Liquiditätsengpässe bei Automobilzulieferern realistischer werden würden. Dennoch hätten Erhebungen von Continental ergeben, dass von deren über 4.000 Zulieferern nur wenige insolvenzgefährdet seien. Urlaub rechnete auch vor dem Hintergrund des Vortrags nicht damit, dass eine große Insolvenzwelle komme. Vielmehr sei mit einem leichten Anstieg auf Vorkrisenniveau zu rechnen. Rade ergänzte, dass es sich bei der Autoindustrie um eine der deutschen Vorzeigeindustrien handele. Noch könne entschieden werden, ob deren Umbau innerhalb oder außerhalb Europas stattfinden solle. Wiegand gab zu bedenken, dass die Autoindustrie in der Vergangenheit viel Liquidität habe generieren können. Rade betonte, dass die Zerstrittenheit in der Ampel-Regierung Gift für die Automobilindustrie sei. Um eine Transformation zu schaffen und E-Automobilität attraktiv zu gestalten, müssten auch erneuerbare Energien zu bezahlbaren Preisen zur Verfügung stehen. Setzer hält eine Transformation in Deutschland aufgrund des Fachkräftemangels für unwahrscheinlich. Eher würde eine Transformation eines Tier 1-Unternehmens in China oder Indien vorangetrieben werden können. Hingegen käme die Neuausrichtung von KMUs im Rahmen eines Insolvenzverfahrens in Deutschland durchaus in Betracht. Wiegand stellt die Frage in den Raum, welche Verpflichtungen man als Unternehmen in der Automobilbranche überhaupt noch eingehen könne, wenn man doch nur ein Produkt herstelle, dessen Nachfrage endlich sei. Urlaub ergänzte, dass notwendige Transformationen im KMU-Bereich durch die Subventionspolitik der letzten Jahre verzögert worden seien. Wiegand meinte hierzu, dass auch das Insolvenzstigma einen Veränderungsprozess behindere. In der anschließenden Diskussion unter Beteiligung des Publikums wurde ua über eine Abhängigkeit von China gesprochen. Als Lösungsmöglichkeit wurden niedrigere Energiepreise und Steuern benannt. Ferner müsse dem Arbeitskräftemangel begegnet werden.
Talentgewinnung bei Fach- und Arbeitskräftemangel
Die den Kongress abschließende Diskussionsrunde widmete sich dem zuvor schon angesprochenen Fach- und Arbeitskräftemangel und den Möglichkeiten, in einem starken Bewerbermarkt Talente zu gewinnen. Unter der Moderation von Dr. Susann Brackmann und Max bei der Kellen diskutierten Alexander Ballmann, Dr. Alexander Jüchser, Prof. Dr. Stephan Madaus, Michelle Kluge sowie Annika in der Beek, welche mit einem Impulsvortrag die Diskussion eröffnete. Sie richtete den Blick auf die „Generation Z“, also die Jahrgänge 1995-2010, welche nun auf den Arbeitsmarkt strömte. Diese Generation lasse sich nicht mehr durch klassische Benefits locken. Vielmehr stünden die Identifikation mit dem Unternehmen, eine entsprechende Verantwortung und flexible Arbeitszeiten im Vordergrund. Auf Kanzleien umgemünzt bedeutete dies in der Regel die Möglichkeit, „remote“ zu arbeiten, flexible Arbeitszeitmodelle („Sabbaticals“) wahrnehmen zu können und eine Leistungsbemessung am Output und nicht an der Facetime vorzufinden. Problematisch sei hier aber die Mandatsarbeit und die damit einhergehenden Deadlines, welche eine gewisse Spontanität voraussetze. In Bezug auf die Zusammenarbeit im Team werde ein Arbeiten auf Augenhöhe gefordert und Feedback dürfe es nicht nur von oben nach unten geben. Auf die Frage, wie diesen Bedürfnissen in der Praxis entsprochen werden würde, entgegnete Madaus, dass sich die Universitäten auch als Arbeitgeber begreifen müssen. Nach seiner Erfahrung würden sich die Studenten weniger aufgrund des Faches, sondern eher aufgrund des Teams für einen Arbeitgeber entscheiden. Dieses Team müsse dann auch bei der Mitarbeiterrekrutierung mit eingebunden werden. Ballmann berichtete, dass die Zahl der Juraabsolventen stetig sinke, es sei ein „War for Talents“ ausgebrochen. Für die „Generation Y“ sei die Möglichkeit des Homeoffice, flexibler Arbeitszeiten und Work-Life-Balance wichtiger als etwa das Gehalt. Für eine Kanzlei bedeute dies einen Kompromiss zwischen Markt und Mitarbeiter. Jüchser ergänzte, dass in kleineren Insolvenzverwalterkanzleien der Großteil der Mitarbeiter keine Rechtsanwälte seien. Noch intensiver als der Rechtsanwaltsmarkt sei der Markt um Rechtsanwaltsfachangestellte umkämpft. Hier würden bereits die Abschlussjahrgänge angesprochen werden. Aber auch hier seien eine gute Vergütung und weitere nichtmonetäre Anreize selbstverständlich. Eine Talentbindung könne nur erfolgen, wenn der Mitarbeiter individuell behandelt wird und Rücksicht auf familiäre Belange genommen werde. Auch Brackmann äußerte, dass das Gehalt allein heutzutage nur noch wenige Mitarbeiter überzeugen würde. Kluge erwähnte, dass für sie neben dem Fachlichen auch das Team erheblich sei. Bei der abschließenden Fragerunde zum Begriff Work-Life-Balance wurde dieser zusammengefasst als die Möglichkeit, die Freizeit gestalten zu können, und nur arbeiten zu müssen, wenn auch Arbeit anstehe. Es stehe die Fertigstellung eines Projektes und nicht die Anwesenheit im Vordergrund. Als Fazit betonten die Beteiligten, dass eine klare Kommunikation der Unternehmensphilosophie bedeutend sei, zu der auch das immer präsentere Thema Diversity gehöre.
Die Vorsitzenden der ARGE Eckert und Riewe dankten schließlich den noch verbliebenen Teilnehmern sowie sämtlichen Referenten und Mitveranstaltern, bevor die Tagung durch die Mitgliederversammlung der ARGE beschlossen wurde. Als Fazit des Jubiläums-DIT ist es den Veranstaltern gelungen, nach der Zwangspause und der deutlich eingeschränkten Vorjahres-Tagung wieder zu alter Stärke zurückzukehren. Dabei wurden nicht nur bewährte Formate beibehalten, sondern auch interessante „abseitige“ Themen angegangen, die für die Gesamtentwicklung im Bereich der Insolvenz und Restrukturierung zunehmend an Relevanz gewinnen werden. Wir dürfen auf den 21. DIT im Jahre 2024 sehr gespannt sein: #wirsehenunsinberlin.