Neues zum „großen“ Insolvenzgericht - NZI 11/2023
RiAG a. D. Ulrich Schmerbach, Göttingen
Seit mehr als einem Jahrzehnt wird in Abständen auch an dieser Stelle immer wieder über die Bildung eines „großen“ Insolvenzgerichts diskutiert (Sternal NZI-Editorial 12/2015, V; Schmerbach NZI-Editorial 1-2/2017, V; Bogumil NZI 2018, 774). Der Gesetzgeber der Konkursordnung entschied sich 1877 gegen eine umfassende Zuständigkeit der Konkursgerichte für sämtliche Streitigkeiten mit insolvenzrechtlichem Bezug, vis attractiva concursus (rechtshistorisch dazu Keller NZI-Editorial 5/2023, V).
Die Problematik hat zuletzt auch den Ersten Deutschen Restrukturierungs- und Insolvenzgerichtstag vom 22. und 23.9.2022 beschäftigt (Tagungsbericht Bogumil ZInsO 2022, 2184 (2186 f.)).
Während sich ein Übergewicht der Stellungnahmen für die Überführung der Annexmaterien des Insolvenzverfahrens (insbesondere Geschäftsleiterhaftung und Anfechtungsrecht) in die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts als großen Insolvenzgerichts abzeichnete, blieb die Frage von dessen Verortung am Amts- oder Landgericht heftig umstritten. Die geplante Abstimmung wurde aus Zeitgründen nicht durchgeführt.
Diese Problematik darf aber nicht überbewertet werden. Häufig sind beim Landgericht anstelle der Kammer Einzelrichter zuständig. Auch bei einer Zuständigkeit der Amtsgerichte kann dem Kammerprinzip Rechnung getragen werden (wie beim erweiterten Schöffengericht, § 29 II GVG). Bei der Bildung von Kollegialorganen besteht im Gerichtsalltag aber ein „strategischer“ Vorteil für die Amtsgerichte. Diese verfügen über die größere Flexibilität hinsichtlich des Einsatzes der Richter. Regelmäßig bearbeitet ein Richter am Amtsgericht mehrere Dezernate. Erhält er ein größeres Insolvenzverfahren, kann er unproblematisch freigestellt werden. Zugleich erhält sein Vertreter Einblick in das Insolvenzrecht, so dass ein Vertreter-Pool gebildet werden kann.
Es spricht viel dafür, dass die Diskussion zunächst weiter kontrovers geführt werden wird, bis die EU mehr oder weniger konkrete Vorgaben macht. Entscheidend ist dann, welcher Entscheidungsspielraum dem nationalen Gesetzgeber noch verbleibt.