Prof. Ulrich Keller, Berlin
Nachdem sich die Wogen der letzten Reformen im Insolvenzrecht ein wenig geglättet haben, wird von interessierten Kreisen das nächste Thema diskutiert: Die Einrichtung eines „großen Insolvenzgerichts“. Dabei wird vorgeschlagen, sämtliche Verfahren und Prozesse des Insolvenzverfahrens bei einem Gericht zu bündeln oder die Führung von Insolvenzverfahren bei den Kammern der Landgerichte anzusiedeln.
Mindestens sollten für Zivilprozesse dort eigene Kammern eingerichtet werden, was durch das SanInsFoG mit Schaffung des § 72a I Nr. 7 GVG bereits vorgegeben ist. Durch das „große Insolvenzgericht“, das nicht nur für die Verfahrensführung selbst, sondern auch für alle streitigen Verfahren, insbesondere auch für Insolvenzanfechtungsprozesse, zuständig sein soll, sollen Synergien gebildet und Sachverstand gebündelt werden.
Dieser Gedanke mag zunächst sympathisch erscheinen.
Führt sie aber auch zu mehr Effizienz bei der Verfahrensdurchführung? Ein Blick in die Rechtsgeschichte zeigt eher das Gegenteil. Das sog. gemeinrechtliche Konkursverfahren, das bis zur Einführung der KO im Jahre 1877 weit verbreitet war, kannte mit der vis attractiva concursus eine Konzentration nicht nur der Forderungsprüfung und -feststellung beim Konkursgericht, sondern auch dessen Zuständigkeit für alle das Konkursverfahren betreffenden Streitigkeiten. Die Konzentration aller Streitverfahren beim Konkursgericht führte zu erheblichen Verfahrensverzögerungen. Auch der Verwalter war dem Konkursgericht gegenüber untergeordnet und weisungsgebunden. Eine Errungenschaft der KO von 1877 war es, die Rechtszersplitterung zu beseitigen, das Einheitsverfahren für Kaufleute und Verbraucher zu schaffen und durch Zuständigkeitsverteilungen das Verfahren zu flexibilisieren. In diesen Tatbeständen sah Ernst Jaeger einen wesentlichen Vorteil der KO gegenüber früheren Gesetzen (E. Jaeger, KO, 5. Aufl .1916, S. 30). Wesentliche Errungenschaft der neuen KO war die Verlagerung von der Gerichtsmacht des gemeinrechtlichen Konkurses zur Verwaltermacht und zu eigenständigem Verwalterhandeln.
Auch wenn heute ein Insolvenzverfahren wegen zahlreicher zu klärender Fragen, beispielsweise des Steuerrechts, lange Zeit in Anspruch nehmen kann, führt die Verlagerung der Zuständigkeit streitiger Verfahren auf die Prozessgerichte zu einer Verfahrensvereinfachung. Das Insolvenzgericht überwacht die Ordnungsmäßigkeit der Verfahrensdurchführung und überlässt streitige Themen den Prozessgerichten. Jaeger pries diese Arbeitsteilung als revolutionär.
Will man mit dem sog. großen Insolvenzgericht heute wieder zurück zum gemeinrechtlichen Konkursverfahren? Für Verfahrenskonzentrationen und Bündelung von Sachverstand sollte bei den Insolvenzgerichten die Öffnungsklausel des § 2 II InsO genügen, für streitige Verfahren die Bildung von Spezialkammern bei den Landgerichten. Das sog. große Insolvenzgericht wäre kein „back to the roots“, sondern eine Wiederkehr dessen, was man vor rund 150 Jahren mit guten Gründen abgeschafft hat.