Gute Insolvenz, böse Insolvenz? - NZI 21/2022
RAin Dr. Anne Deike Riewe, München
„Die Politik“ und „der Gesetzgeber“ vermitteln zum Thema Insolvenz (wenigstens) zwei unterschiedliche und sich diametral widersprechende Sichtweisen. Während einerseits eine möglichst frühzeitige Antragstellung befördert werden soll, um eine Sanierung des schuldnerischen Unternehmens zu einem Zeitpunkt einzuleiten, in dem „noch etwas da ist“, führen andererseits akute Krisen dazu, dass die bestehenden Antragspflichten ausgesetzt oder „erleichtert“ werden, um die Insolvenz (also: das Insolvenzverfahren) um jeden Preis zu verhindern.
Der neueste Streich nun also: das sanierungs- und insolvenzrechtliche Krisenfolgenabmilderungsgesetz (SanInsKG). Keine völlige Neuerung freilich, denn im nahtlosen Übergang von Pandemie zu Krieg und Energiekrise wird hier das COVInsAG erneut geändert und vom Virusbezug befreit. Und aus Aussetzung wird Abmilderung. Ein Hoffnungsschimmer für die Annäherung der Positionen?
Nicht nur im internationalen Vergleich betont die deutsche Insolvenzrechtspraxis die Straf- und Haftungsrelevanz der Insolvenzgründe. Die Normen der §§ 15a und 15b InsO einem in- oder ausländischen Mandanten erklären zu wollen, ist eine schweißtreibende Aufgabe und lässt diesen dennoch oft ratlos zurück. Dass das deutsche Recht schöne Sanierungstools wie die Insolvenzgeldvorfinanzierung und den Insolvenzplan kennt, dringt nach dem ersten Schock kaum noch durch. Dabei ist die Angst der Geschäftsführer vor einer Haftung nicht nur groß, sondern oft auch berechtigt. Die Verfasserin kennt kein Insolvenzgutachten, in dem Haftungsansprüche gegen Geschäftsführer/ Gesellschafter nicht wenigstens mit einem Erinnerungswert vermerkt sind. Und natürlich sieht ein Insolvenzverwalter den Verlauf der Ereignisse klarer als der nur über eine trübe Glaskugel verfügende Geschäftsführer im Moment der Entscheidung über das (Nicht-)Vorliegen eines zwingenden Insolvenzgrundes.
Ob die nun bis Ende 2023 geltende kriseninduzierte Verkürzung des Prognosezeitraums von zwölf auf vier Monate die Haftungsängste verringern kann, ohne gleichzeitig die Attraktivität des Insolvenzverfahrens als Sanierungsinstrument zu opfern, wird nur die Zukunft zeigen können. Politische Äußerungen, die dem Verteufeln von „bösen“ Insolvenzverfahren entgegenwirken, sind leider zu selten und werden, wenn sie doch einmal vorkommen, allseits belächelt und (absichtlich oder nicht) missverstanden. Ohne eine breit angelegte Imagekampagne „pro InsO“ wird sich das Grunddilemma der zu späten Einleitung von Insolvenzverfahren nicht beseitigen lassen. Dass dies nicht ausschließlich von den Nutznießern ausgehen sollte, versteht sich von selbst. Vielmehr sollte eine Entkriminalisierung und Beschränkung einer Haftung auf wirklich schändliche Sachverhalte angestrebt werden, damit nicht automatisch jeder Insolvenzantrag eine „Kriminalinsolvenz“ zur Folge hat, in der dem Geschäftsführer wenig mehr bleibt, als dem Insolvenzverwalter seine Vermögensverhältnisse offen zu legen.