Zeitenwende - NZI 16-17/2022
RiAG a. D. Ulrich Schmerbach, Göttingen
Seit dem 24.02.2022 ist die Welt eine andere. Der russische Überfall auf die Ukraine lässt die Welt aus den Fugen geraten. Die Folgen sind gravierend und treffen jeden. Verteuerung der Energie (Benzin, Gas, Strom) und der Lebensmittelpreise haben schon zu einer Inflation von fast 8% geführt, ein Ende des Kriegs und der weiteren Folgen ist nicht absehbar. Auch ist ungewiss, welche Auswirkungen die Corona Pandemie im Herbst haben wird. Die Rufe nach staatlichen Hilfen werden zunehmen. Allerdings werden die Grenzen bald erreicht sein.
Die öffentlichen Kassen sind schon durch Coronahilfen und steigende Verteidigungsausgaben belastet. Die Schuldenbremse des Grundgesetzes lässt eine Kreditaufnahme durch den Staat nur eingeschränkt zu.
Auswirkungen sind auch bei den Insolvenzverfahren zu erwarten. Betroffen sein wird zunächst der Bereich der Regelinsolvenzen. Gleichermaßen betroffen sind Verbraucher. Steigende Energiekosten werden sich spätestens im nächsten Jahr mit einer „saftigen“ Nachzahlung zusätzlich mit einer erhöhten Nebenkostenvorauszahlung bemerkbar machen. Die Eingangszahlen bei Insolvenzgerichten werden ansteigen. Mit einer Personalvermehrung ist in Anbetracht der Staatsfinanzen nicht zu rechnen. Es stellt sich die Frage nach Entlastungen durch Verfahrensvereinfachungen insbesondere im Bereich des Massengeschäftes Verbraucherinsolvenzverfahren.
Die Sinnhaftigkeit eines obligatorischen außergerichtlichen Einigungsversuchs ist schon öfter bezweifelt worden; sie hängt allerdings auch zusammen mit der Finanzierung der Schuldnerberatungsstellen. Die InsO enthält keine klaren Vorgaben zu einer gesicherten Finanzierung durch die Länder. Fraglich ist weiter, ob eine Eröffnung im Regelfall der masselosen Verfahren notwendig ist oder ob nicht bei nachträglicher Massegenerierung ein vereinfachtes Verteilungsverfahren genügt. Daneben ist das Versagungsverfahren alles andere als überschaubar und leicht handhabbar, was sich auch an der geringen Anzahl der Versagungsanträge zeigt. Die Versagungsgründe sollten einheitlich für eröffnetes Verfahren und Wohlverhaltensperiode gelten. Unterschiedliche Versagungsgründe mit unterschiedlichen Schuldformen (einfache oder grobe Fahrlässigkeit) verwirren nur.
Zum Abschluss noch eine Anregung: Bei Coronahilfen gibt es vielfach Streit um die (Un)Pfändbarkeit, die je nach Konstellation nicht nur die Insolvenz- und Zivilgerichte beschäftigt, sondern auch die Fachgerichtsbarkeit (LAG Berlin-Brandenburg 23.02.2022 – 23 Sa 1254/21, BeckRS 2022, 8258). Eine gesetzliche Regelung würde die Rechtsprechung entlasten und zudem für die betroffenen Schuldner eine zeitnahe Klärung bedeuten.