RAin Dr. Anne Deike Riewe, München
Unter welchen Umständen ist ein Geschäftsleiter zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichtet? Eine Standardfrage, die insolvenzrechtliche Berater tagtäglich gestellt bekommen. Berechtigterweise, denn schließlich ist die Verletzung der Insolvenzantragspflicht straf- wie zivilrechtlich haftungsbegründend. Daher Hand aufs Herz: Wie sicher sind Sie sich heute in der zutreffend vollständigen Beantwortung?
Zugegeben: Ich würde es nicht wagen, Ihnen die Antwort zuzuflüstern. Denn mein „heute“ des Schreibens ist nicht Ihr „heute“ des Lesens. An meinem „heute“ gilt § 15a iVm §§ 17, 19 InsO idF des SanInsFOG ohne Sonder- und Ausnahmeregelungen. In der jüngeren Vergangenheit hat sich dies durch die Reaktionen auf Pandemie und Starkregen allerdings teilweise monatlich geändert. Und aktuell werden neue Forderungen nach zeitlich befristeten Sonderregelungen als Reaktion auf die Folgen des Kriegs in der Ukraine erhoben.
Ist das ein Problem, wenn doch alle Sonderregelungen dem Geschäftsleiter entgegenkommen? Was leidet, ist der Eindruck der Klarheit und Stetigkeit des Regelungsrahmens. Beides ist aber wesentliche Grundlage dafür, dass das Recht als Sicherheit vermittelnder Ordnungsrahmen und Stabilitätsfaktor wahrgenommen wird. Angesichts von Jahrhundertereignissen und Zeitenwenden kann ein Bedarf nach gesetzlichen Anpassungen nicht pauschal zurückgewiesen werden. Im Insolvenz- und Sanierungsrecht, das gerade ein Krisenrecht darstellt, ist aber eine Ausgestaltung anzustreben, die auch in Krisenphasen als Leitplanke funktioniert.
Zum insolvenzrechtlichen Überschuldungsbegriff hat der Gesetzgeber zuletzt erst mit dem SanInsFOG eine dauerhaft geltende Präzisierung des Prognosezeitraums vorgenommen, dies allerdings in einem pandemie(stimmungs)getrieben eiligen Gesetzgebungsprozess. Vielleicht müssen wir gerade in Zeiten ständiger Veränderungen bewusst innehalten, um uns auf grundlegende Zielsetzungen zu besinnen und nachhaltige Gestaltungen zu entwickeln. Zur Antragspflicht ist etwa zu fragen, in welchem Zustand ein Unternehmen zwingend einem Insolvenzverfahren unterworfen sein soll. Dies ist nur sinnvoll zu beantworten, wenn die erstrebten und erzielbaren Wirkungen dieses Verfahrens geklärt sind. Zudem erschöpft sich die Wirkung der Überschuldung als Insolvenzgrund nicht in der Herbeiführung von Insolvenzverfahren quasi als Selbstzweck; vielmehr wird der Geschäftsleiter gerade durch das prognostische Element zur Befassung mit der Zukunft angehalten – was mindestens die erste Stufe einer Bewältigung von negativen Entwicklungen darstellt.
Die vorausschauende Lösung zukünftiger Probleme ist nicht trivial – weder für den Gesetzgeber noch für den Unternehmer und dessen Berater. Eine bessere Idee als Prognosezeitraumverschiebungen und Unterausnahmen im Halbjahrestakt sollte sich aber doch finden lassen – was wäre Ihre?