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Wirtschaft im Krisenmodus, Staat an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit – NZI 10/2022

RiBGH a. D. Professor Dr. Markus Gehrlein, Landau

Langsam wagte man aufzuatmen, als sich die COVID-Lage im Frühjahr mehr und mehr entspannte und zunehmend Hoffnung auf eine günstige wirtschaftliche Entwicklung keimte. Die Erleichterung ist großer Sorge gewichen, nachdem Russland gegen die Ukraine einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg vom Zaum gebrochenen hat. Der Tod unschuldiger Zivilisten und zur Verteidigung ihres Landes eingesetzter Soldaten hat großes, nicht wieder gut zu machendes Leid und Unrecht hervorgerufen. Die Bombardierungen haben ganze Städte und deren Infrastruktur zerstört, ungezählte Menschen sind heimatlos geworden. Niemand weiß, wie es in dem Kriegsgebiet weiter gehen wird.

GehrleinMit diesem Krieg gehen wirtschaftliche Belastungen einher, die selbstverständlich viel weniger schwer wiegen als die unsagbar schwere Not der unmittelbar Betroffenen. Gleichwohl müssen die wirtschaftlichen Folgen mit bedacht werden, zumal nur wirtschaftlich starke Staaten ihre Werte verteidigen und anderen Ländern wirksam zur Seite stehen können. Der deutsche Staat befindet sich gegenwärtig in einer ähnlichen Lage wie während der COVID-Krise, zu deren Überwindung die deutsche Wirtschaft mit öffentlichen Mitteln von rund 130 Mrd. EUR – in Form von Zuschüssen, die nicht zurückgezahlt werden müssen, aber auch in Form von Krediten, Bürgschaften oder Beteiligungen – unterstützt wurde. Die wirtschaftlichen Anstrengungen, die der Ukraine-Krieg verlangt, dürften, denkt man nur an das Sondervermögen von 100 Mrd. EUR für Verteidigung, nicht geringer zu veranschlagen sein. Nicht nur die Kosten für Energie werden erheblich steigen. Ferner soll Unternehmen, die mit Russland in engen Wirtschaftsbeziehungen stehen, finanziell geholfen werden. All diese Mittel muss ein Staat aufbringen, dessen Leistungsfähigkeit bereits während der Corona-Pandemie in hohem Masse beansprucht wurde.

Für Private sieht es nicht besser aus, weil sich die ökonomischen Rahmenbedingungen durch die starke Inflation und Energieengpässe deutlich verschlechtert haben. Die Inflation wird nach Einschätzung eines Bankenvorstands die Sparvermögen schmelzen lassen wie „Schnee in der Sonne“. Alternative Anlageformen – etwa Aktien – bilden ebenfalls keinen sicheren Hafen, weil eine drohende Wirtschaftskrise einen unabsehbaren Wertverfall auslösen kann.

Einfache Lösungen kann in dieser schwierigen Situation niemand anbieten. Die sehr späte Erkenntnis, dass der Kardinalfehler, der Staat und Wirtschaft in die Klemme gebracht hat, in der weitgehenden Abhängigkeit von einem einzigen Energieanbieter liegt, gibt immerhin einen Fingerzeig. Risikostreuung ist eine Tugend, die nicht nur Private, sondern auch der Staat befolgen sollte. Sie kostet vielleicht etwas mehr, schützt aber vor Klumpenrisiken. Vielleicht kann der Staat auch jetzt noch das schlimmste – eine Insolvenzspirale – für die Wirtschaft verhüten. Auf Dauer wird dies aber nicht funktionieren.


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