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Schleichende verfahrensmäßige Entrechtung der Gläubiger und Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten im Insolvenzplanverfahren – NZI 8/2022

Professor Dr. Dres. h.c. Rolf Stürner, Freiburg
Die Befriedigung der Gläubiger durch Gesamtvollstreckung in Gestalt der Vermögensliquidation ist ebenso Teil der Rechtsschutzgewährleistung (Art. 14, 3 I GG iVm dem Rechts-und Sozialstaatsprinzip) wie die Rechte von Anteilseignern an verbleibenden Schuldnerwerten. Die Mehrheitsentscheidung von Gläubigern und Anteilsinhabern bei der Planbildung entfließt der Garantie nur gemeinsam möglicher Disposition (Art. 2,
14 GG), findet aber ebenso wie richterliche Ersetzungsbefugnis ihre Grenze in der Garantie vollstreckungsmäßigen Zugriffs mit Erlösverteilung.

StürnerSoweit das Planverfahren den aus tatsächlichem Vollstreckungszugriff resultierenden Erlös durch auf hypothetischen Annahmen beruhende Bewertung ersetzt, folgt aus den verfassungsrechtlichen Garantien des Gesamtverfahrens das Gebot strenger Anforderung an die Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit vorgenommener Bewertung („in dubio pro liquidatione“), eine Sicht der Dinge, die sich – teilweise vom BVerfG toleriert – in der von traditionellen Verfahrensregeln losgelösten gutachterlichen Bewertungspraxis der Insolvenzgerichte leider nicht immer durchsetzen konnte (Stürner NZI 21/2018, V). Hinzu kommt die aufkommende gerichtliche Praxis, im sog. Freigabeverfahren (§ 253 IV InsO) die beim Landgericht eingelegte Beschwerde gegen die Planbestätigung des Insolvenzgerichts ohne verzögerndes Abhilfeverfahren
(§ 572 I 1 ZPO) nach den Grundsätzen einer Nachteilsabwägung abzuweisen, wie sie aus einstweiligen Verfahren bekannt sind und dabei richterlichem Ermessen einen sehr weiten Spielraum einräumen. Ausgeschlossen ist dieses Schnellverfahren nur bei besonders schweren Rechtsverstößen, die aber nicht unbedingt angenommen werden, wenn bei in Frage stehenden sehr hohen Summen Widersprüche zwischen vorliegenden unterschiedlichen Bewertungsgutachten unaufgeklärt bleiben. Der Anspruch des Gläubigers oder der restliche Fortführungswert eines Beteiligungsrechtes verwandeln sich in einen Schadensersatzanspruch, über dessen Sicherstellung durch Rückstellungen sich das Gesetz anders als im Falle einer regulären Beschwerdeentscheidung (§§ 253 II Nr. 3, 251 II InsO) ausschweigt. Die Verfolgung dieses Anspruchs, der sich
am ehesten nach extrem und zügig verbesserter Unternehmenslage während der Plandurchführung bei weithin unveränderten Resourcen nachweisen lässt, kann nicht nur an dreijähriger Verjährung scheitern, sondern auch an einer im Plan festgelegten Präklusionsfrist (§ 217 InsO), die nach hM bis auf einen Zeitraum von einem Monat schrumpfen kann. Zudem wird der Verweis auf landgerichtliche Zuständigkeit teilweise im Sinne der Zuständigkeit der entscheidenden Beschwerdekammer ausgelegt und damit eines Spruchkörpers uU zweifelhafter Neutralität. Erfüllt ein solches Insolvenzverfahren noch die rechtsstaatlichen Anforderungen des GG?

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