Prof. Dr. Martin Ahrens, Göttingen
Anmeldungen von Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung oder mit den anderen Privilegierungstatbeständen des § 302 Nr. 1 InsO sind zu einem Massengeschäft geworden. Inkassounternehmen, Finanzbehörden und Sozialversicherungsträger haben für sich diese Immunisierung gegenüber einer Restschuldbefreiung entdeckt. Trotz der gerichtlichen Hinweispflicht aus § 175 II InsO ist der Schuldner dem oft ausgeliefert. Vielfach wird er die teils komplizierten Rechtsfragen nicht verlässlich einschätzen können. Bei einem unberechtigten Widerspruch kann der Gläubiger eine Feststellungsklage erheben, für die den Schuldner dann das Kostenrisiko trifft.
Das LG Berlin (NZI Heft 7/2022) hat einem Schuldner in dieser Situation gem. § 4a II 1 InsO einen Anwalt zur Beratung darüber beigeordnet, ob die Einlegung eines Widerspruchs gegen die Anmeldung einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung zweckmäßig ist. Dabei hat es sich ganz auf eine ältere Entscheidung des BGH (NZI 2004, 39) gestützt. Jenseits der Kommentarliteratur (AGR/Ahrens, 4. Aufl., InsO § 4a Rn. 93; FK-InsO/Schmerbach, 9. Aufl., § 4a Rn. 49; K. Schmidt InsO/ Stephan, 19. Aufl., § 4a Rn. 34) ist diese Rechtsprechung vielleicht etwas in Vergessenheit geraten.
Die Beiordnung eines Rechtsanwalts zur Beratung über einen Widerspruch gegen eine privilegierte Forderung setzt eine Kostenstundung voraus. Diese soll allerdings abgelehnt werden können, wenn die wesentlichen am Verfahren teilnehmenden Forderungen gem. § 302 InsO von der Restschuldbefreiung ausgenommen sind (BGH NZI 2006, 712). So besteht eine Zwickmühle. Anwaltliche Beratung zu den privilegierten Forderungen kann der Schuldner nur bei einer Kostenstundung erlangen. Die wird aber bei Anmeldung privilegierter Forderungen teils sehr schnell abgelehnt. In die summarische Prüfung bei Bewilligung der Kostenstundung ist deshalb einzubeziehen, ob ein anwaltlich beratener Schuldner erfolgreich Widerspruch einlegen könnte. Kommt dies in Betracht, darf die Kostenstundung insoweit nicht versagt werden. Da die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 4a II 1 InsO einen Antrag erfordert, müssen die Beratungsstellen den Schuldner auf die Antragstellung hinweisen. Falls privilegierte Forderung angemeldet werden können, sollte ein entsprechender Antrag vorbereitet werden.
Schließlich sind die objektiven und subjektiven Umstände abzuwägen. Neben den Fähigkeiten und Kenntnissen des Schuldners ist zu beachten, wie schwierig die Rechtslage erscheint. Zu berücksichtigen sein können auch tatsächliche Umstände. Wenn einzelne Inkassodienstleister, wie zu hören ist, durchschnittlich 50% der Forderungen mit einem Privileg anmelden, spricht dies nicht unbedingt für dessen Berechtigung. Dann sollte dem Schuldner kompensatorisch eine Unterstützung durch die Beiordnung eines Anwalts gewährt werden können.