Prof. Ulrich Keller, Berlin
Nachdem die letzte Reform des Restschuldbefreiungsverfahrens seit gut einem Jahr in Kraft ist, hat sich der Nebel etwas gelichtet. Man kann schon gespannt sein auf den nächsten großen Wurf nach der Evaluation 2024.
Eine wesentliche Schwachstelle des Restschuldbefreiungsverfahrens liegt aber nicht in der Dauer der Abtretungsfrist, sondern in der Konzeption der Versagungstatbestände des § 290 InsO und der Obliegenheiten des § 295 InsO, die gerade mit den jüngsten Änderungen vom Gedanken einer Erziehung des Schuldners zu wirtschaftlich ordnungsmäßigen Handeln ausgehen. Die Obliegenheiten, Schenkungen und Lotteriegewinne abzuführen und keine unangemessenen Verbindlichkeiten begründen zu dürfen (§ 295 S. 1 Nr. 2 und 5 InsO) beinhalten eine sachlich sinnlose bis kontraproduktive Bevormundung.
Das Restschuldbefreiungsverfahren ist heute weder in sich konsistent geregelt noch logisch strukturiert, es bedient ein allgemeines Gerechtigkeitsgefühl, das nur einem redlichen Schuldner die Wohltat der Restschuldbefreiung gönnt, ohne zu bedenken, ob Forderungen überhaupt noch werthaltig sind. Das Restschuldbefreiungsverfahren, auch wenn es nur noch drei Jahre dauert, ist Ausdruck eines obrigkeitlichen und zuweilen strafenden Staates gegen einen Bürger, der sich scheinbar nicht wohlverhält, in gewisser Weise an seiner Misere selbst schuld ist oder keine Reue zeigt. Das zeigt sich nicht zuletzt an dem gebräuchlichen Begriff der „Wohlverhaltensphase“, der im Gesetz überhaupt nicht verwendet wird.
Auch die Einbindung des Neuerwerbs in die Insolvenzmasse bringt Probleme, die ohne das Restschuldbefreiungsverfahren nicht bestünden. Der Gesetzgeber der Konkursordnung des Jahres 1877 sah ausdrücklich davon ab, den Neuerwerb in das Verfahren einzubinden, um ein Abwandern des Schuldners in die Schattenwirtschaft, ein Verfallen in bloßes Nichtstun oder ein Vergreifen an Massegegenständen zu vermeiden. Die Konkursfreiheit des Neuerwerbs sollte diesem einen wirtschaftlichen Neuanfang ermöglichen. Das gilt damals wie heute. Das Problem liegt daher im Nachforderungsrecht nach § 201 InsO auf Grundlage des früheren § 164 KO. Würde man dieses Nachforderungsrecht streichen und dem Schuldner bereits mit Beendigung des Insolvenzverfahrens eine Restschuldbefreiung auch mit Einbeziehung der Absonderungsrechte gewähren, wären nicht nur die §§ 286 bis 303 InsO überflüssig, auch die §§ 35 II, 36 I 2 und IV InsO könnten wegfallen. Es könnten auch die Vorschriften der §§ 174 II, 175 II, 184, 186, 201 InsO vereinfacht werden. Allein die Kostenstundung nach §§ 4a ff. InsO müsste erhalten bleiben, um dem mittellosen Schuldner den Weg zum dann aber auch billigeren Insolvenzverfahren zu ermöglichen. Radikal, aber nicht weniger gerecht wäre es also, dem Schuldner die Restschuldbefreiung mit Beendigung des Insolvenzverfahrens zu gewähren. Aus § 301 I InsO würde § 201 InsO, und der Rest kann weg.