Prof. Dr. Ulrich Haas, Universität Zürich
Der MoMiG-Gesetzgeber hatte seinerzeit die „Insolvenzpflichten“ des Geschäftsführers wenig nachvollziehbar sowohl im GmbHG (§ 64 aF) als auch in der InsO (§ 15a) geregelt. Der Gesetzgeber hat dies nun mit dem SanInsFoG geändert (§ 15b I, IV InsO nF). Die Neuregelung zwingt dazu, bisherige Annahmen zu hinterfragen. Hierzu gehört etwa die Rechtsnatur des Anspruchs auf Erstattung masseschmälernder Zahlungen.
Der Gesetzgeber hat zur Frage der Rechtsnatur des § 15b I InsO nicht Stellung bezogen. Allerdings beschränkt § 15b IV 2 InsO die Erstattungspflicht, wenn der Geschäftsführer nachweist, dass der durch die Zahlung eingetretene Schaden geringer ist. Das lässt sich nur so deuten, dass § 15b IV 1 InsO einen Gläubigerschaden in Höhe der Zahlung widerleglich vermutet (Bitter ZIP 2021, 321 [328]). Man wird fortan nicht umhinkönnen, die Norm schadensersatzrechtlich einzuordnen; denn sie weist alle Merkmale einer solchen Haftung auf (Rechtshandlung, Pflichtwidrigkeit, Verschulden und Schaden). Das zeigt auch ein Seitenblick auf § 43 III GmbHG. Danach ist der Geschäftsführer zum Ersatz der Zahlungen verpflichtet, wenn er der Bestimmung des § 30 I GmbHG zuwider Zahlungen geleistet hat. § 43 III GmbHG ist nach ganz hM eine Schadensersatznorm, die bei gegen § 30 I GmbHG verstoßenden Zahlungen vermutet, dass der Gesellschaft ein Schaden in Höhe des ausgezahlten Betrags entstanden ist (Baumbach/Hueck/Beurskens, GmbHG, § 43 Rn. 90). Der Anspruch kann aber reduziert werden, wenn der Geschäftsführer darlegt, dass der der Gesellschaft entstandene Verlust geringer ist.
Ist § 15b InsO ein Schadensersatzanspruch, stellt sich die weitere Frage, ob dieser deliktischer oder vertraglicher Natur ist. Der BGH hat zum alten Recht eine deliktische Qualifikation abgelehnt (BGH NZG 2020, 260 Rn. 15). Dies sollte für das neue Recht überdacht werden. § 15b InsO steht in einem engen sachlichen Zusammenhang mit § 15a InsO. Dessen haftungsrechliche Sanktionierung (über § 823 II BGB) ist unstreitig deliktisch zu qualifizieren. Gleiches gilt auch für andere insolvenzrechtliche Haftungsnormen, die an der Organstellung anknüpfen. So ist die Haftung aus § 26 III InsO (auf Erstattung der nach § 26 I InsO vorgeschossenen Beträge) eine solche aus Delikt. Für eine deliktische Qualifikation spricht auch, dass die Masseerhaltungspflicht dem Schutz der „Gläubigerschaft“ dient (zu der keinerlei Sonderbeziehung besteht). Schließlich hat der EuGH für euro-internationale Fälle entschieden, dass im eröffneten Insolvenzverfahren der Erstattungsanspruch seine Grundlage nicht in einer vor Insolvenzeröffnung begründeten gesellschaftsrechtlichen Sonderverbindung, sondern im Insolvenzrecht findet (EuGH ZIP 2015, 196 Rn. 19 f).
Eine deliktische Einordnung des Anspruchs hätte einige Vorteile: Sie würde eine Teilnehmerhaftung – etwa der Gesellschafter – über § 830 BGB ermöglichen, hierdurch Gläubigerschutzlücken beseitigen (Baumbach/Hueck/Haas, § 64 Rn. 14) und Diskussionen um den „faktischen Geschäftsführer“ weitgehend obsolet machen. Sie würde den Wahlgerichtsstand des § 32 ZPO am Handlungs- und Erfolgsort eröffnen und auch erklären, warum eine Gerichsstandsvereinbarung zwischen Gesellschaft und Geschäftsführer den Anspruch aus § 15b InsO niemals erfassen kann. Schließlich würde die hier vertretene Ansicht auch der Begriffsjurisprudenz des OLG Düsseldorf ein Ende machen, wonach die Haftung wegen Verletzung der Masseerhaltungspflicht nicht von der D&O-Versicherung gedeckt ist (NZI 2018, 758 Rn. 72).