Editorial 21/2024
Zeit ist Geld
Familienrechtliche Mandate lassen sich häufig mit den gesetzlichen Gebühren nicht kostendeckend bearbeiten. Das gilt insbesondere in Verfahren, in denen aus sozialpolitischen Gründen nur geringe Gegenstandswerte vorgesehen sind, wie insbesondere in Kindschaftssachen (Regelwert derzeit 4.000 EUR). Aber auch in Angelegenheiten mit hohen Werten (wie. zB im Zugewinnausgleich) sind die gesetzlichen Gebühren in Anbetracht des Umfangs der anfallenden Bearbeitungszeiten nicht auskömmlich.
Erforderlich ist daher der Abschluss einer Vergütungsvereinbarung. Insoweit erfreuen sich Stundensatzvergütungen besonderer Beliebtheit, bieten sie doch die gerechteste Methode, da sie sich nach dem wirklich geleisteten Zeitaufwand des Mandats richtet. Pauschalvereinbarungen haben dagegen den Nachteil, dass sie sich am Vielfachen der gesetzlichen Gebühren messen lassen müssen (§ 3a III RVG) und bei einer vorzeitigen Beendigung immer eine Kürzung nach 628 I BGB droht. Für viel Unruhe hat daher die im Januar 2023 ergangene Entscheidung des EuGH (NJW 2023, 903) gesorgt, wonach eine Vergütungsvereinbarung nach Stundensätzen gegenüber einem Verbraucher – und mit einem solchen hat man es in Familiensachen ja immer zu tun - nichtig ist, wenn er diesen weder vor Vertragsabschluss über die anfallende Gesamtvergütung aufgeklärt noch sich dazu verpflichtet hat, ihm während des laufenden Mandats in angemessenen Zeitabständen Zwischenrechnungen zu erteilen oder Aufstellungen zu übermitteln, welche die bis dahin aufgewandte Bearbeitungszeit ausweisen. Dies hat
viele Mandanten dazu veranlasst, im Nachhinein die Wirksamkeit der von Ihnen eingegangenen Vergütungsvereinbarungen zu bestreiten und auf gesetzliche Abrechnung zu bestehen. Auch wurde die Zahlung der Zeitvergütung verweigert bzw. gezahlte Honorare zurückverlangt. Viele Gerichte sind in diesen Honorarprozessen auf diese Entscheidung des EuGH angesprungen und haben in Hinweisbeschlüssen die Wirksamkeit der jeweiligen Zeitvereinbarung in Frage gestellt. Zwischenzeitlich kann die Anwaltschaft aufatmen. Der BGH hat klargestellt, dass die Entscheidung des EuGH auf das deutsche Recht nicht übertragbar ist (Urt. v. 12.9.2024 – IX ZR 65/23, zur Veröffentlichung vorgesehen in Heft 22 mAnm Schneider): „Eine formularmäßig getroffene anwaltliche Zeithonorarabrede ist auch im Rechtsverkehr mit Verbrauchern nicht allein deshalb unwirksam, weil der Rechtsanwalt weder dem Mandanten vor Vertragsschluss zur Abschätzung der Größenordnung der Gesamtvergütung geeignete Informationen erteilt noch sich dazu verpflichtet hat, ihm während des laufenden Mandats in angemessenen Zeitabständen Zwischenrechnungen zu erteilen oder Aufstellungen zu übermitteln, welche die bis dahin aufgewandte Bearbeitungszeit ausweisen.“ Das deutsche Recht enthält in den §§ 305 ff. BGB ausreichende Schutzvorschriften für Verbraucher, die einen weitergehenden Schutz, wie ihn der EuGH fordert, entbehrlich machen. Der BGH sieht keine Veranlassung der „am deutschen Rechtsberatungsmarkt etablierten Abrechnungsart“ weitere Beschränkungen aufzuerlegen.
Die Entscheidung des BGH sollte jedoch nicht dazu verleiten, mit Vergütungsvereinbarungen allzu sorglos umzugehen, wie dies allerdings nach wie vor geschieht. So hat der BGH in dem vom ihm entschiedenen Fall die zugrunde liegende Vereinbarung wegen vielfacher AGB-Verstöße für nichtig erklärt. Er hat nicht nur einzelne Klauseln gem. § 306 I BGB für unwirksam angesehen, sondern ist aufgrund der Vielzahl der AGB-Verstöße gem. § 306 III BGB von einer Gesamtnichtigkeit der Vereinbarung ausgegangen.
Es ist nicht nachvollziehbar, wie achtlos viele Anwälte immer noch mit der Abfassung ihrer Vergütungsvereinbarungen umgehen und sich nicht mit der hierzu ergangenen Rechtsprechung befassen, häufig sogar nicht einmal mit den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften des RVG und der BRAO. Bevor der Anwalt Zeit in das Mandat investiert, sollte er Zeit für die Überprüfung seiner Vergütungsvereinbarung investieren, um später nicht – wie der Kollege im Fall des BGH auf die gesetzlichen Gebühren zurückzufallen. Hier gilt im wahrsten Sinne des Wortes „Zeit ist Geld“.
Ihr
Norbert Schneider