Editorial 11/2025
Familienrecht unter neuen politischen Vorzeichen
Die sog. Ampelkoalition ist Geschichte, und seit dem 6. Mai 2025 ist – wenn auch mit einigen
Mühen – mit der Kanzlerwahl der letzte Schritt zu einem Regierungswechsel vollzogen. Höchste Zeit für den Familienrechtler, sich mit der Frage zu befassen, was für sein Fachgebiet unter der neuen Dreierkoalition von CDU, CSU und SPD zu erwarten ist. Vorrangige Auskunftsquelle hierfür ist natürlich der Koalitionsvertrag für die 21. Legislaturperiode mit dem schönen Titel „Verantwortung für Deutschland“.
Doch das 144 Seiten (und 4588 Zeilen) starke Werk ist in Sachen Familienrecht eher schmallippig. Ab Zeile 2902 ist nachzulesen, dass man sich bei Reformen von Familien- und Familienverfahrensrecht vom Wohl des Kindes leiten lassen werde, häusliche Gewalt zulasten des Gewalttäters im Sorge- und Umgangsrecht maßgeblich zu berücksichtigen sei und man bei künftigen Änderungen im Unterhaltsrecht sicherstellen werde, dass diese nicht zulasten der Kinder oder „hauptlasttragenden“ Eltern gehe und eine stärkere Verzahnung des Unterhaltsrechts mit dem Steuer- und Sozialrecht beinhalte. Weiter ist niedergelegt, dass missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen wirksam unterbunden, das gerade novellierte Namensrecht strukturiert und vereinfacht und das am 1.11.2024 in Kraft getretene Selbstbestimmungsgesetz bis zum 31.7.2026 evaluiert werden soll (Zeilen 3319 ff.). Zudem finden sich an mehreren Stellen Hinweise auf Änderungsabsichten in Sachen Gewaltschutz (Zeilen 2922 ff., 3066 ff., 3268 ff.).
Insgesamt stellt das keine wirklich stabile Basis für eine verlässliche Prognose zu familienrechtlichen Gesetzgebungsprojekten in den kommenden vier Jahren dar. Klar ist, dass zum Abstammungsrecht etwas kommen muss, denn der vom Bundesverfassungsgericht erteilte Auftrag (NZFam 2024, 846) zur Neuregelung des Anfechtungsrechts ist noch offen. Und es wäre äußerst wünschenswert, dass bei dieser Gelegenheit zumindest ein Teil der zahlreichen weiteren gesetzgeberischen Baustellen auf diesem Gebiet gleich mit geschlossen wird. Im Koalitionsvertrag insoweit allerdings: Fehlanzeige! Immerhin gibt es den kurz vor dem Bruch der letzten Koalition bekannt gewordenen Referentenentwurf zur Reform des Abstammungsrechts (vgl. dazu Keuter NZFam 2025, 161). Nach dem Scheitern der Koalition wurde er zum Diskussionsentwurf umfirmiert. Diese Bezeichnung halte ich für sehr treffend; das Gleiche gilt für die
zeitgleich an die Öffentlichkeit gelangten Entwürfe zum Kindschaftsrecht und – meiner Ansicht noch viel mehr – zum Unterhaltsrecht, wo plötzlich komplizierte Formeln Gesetz und die Regelungen zum Verwandtenunterhalt „entkernt“ werden sollten.
Aber die Vorhersage familienrechtlicher Aktivitäten des Gesetzgebers bleibt großteils ein Blick in die Glaskugel. Und daher will ich mich auf zwei (hoffentlich nicht nur fromme) Wünsche beschränken: Mögen nicht wieder politische Blockaden zwischen den Koalitionären entstehen, die sinnvolle Gesetzesänderungen verhindern. Und möge der Gesetzgeber von – rechtlich seriös kaum diskutierbaren – öffentlichen Eckpunktepapieren lassen und wieder zur klassischen Gesetzgebung mit gut vorbereiteten Gesetzestexten und einer Expertenbeteiligung übergehen, die diesen Namen auch verdient (also etwa mit ausreichend Zeit zur Stellungnahme). Nur dann wird man das Familienrecht wirklich voranbringen können.
Ihr
Hartmut Guhling