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NZFam - Neue Zeitschrift für Familienrecht

Editorial 23/2023

Love over Goldoder (un-)faires Unterhaltsrecht?

Mit seinem Eckpunktepapier vom 24.8.2023 kritisiert das Bundesministerium der Justiz das aktuelle Unterhaltsrecht und mahnt Reformbedarf. Auch außerhalb des symmetrischen Wechselmodells entsprechend der 50:50-Rechtsprechung des BGH (NZFam 2015, 166) soll nun der mehr betreuende Elternteil eine Herabsetzung des Barunterhalts verlangen dürfen, wenn er das gemeinsame Kind zu mehr als 29 % (!) betreut, wobei es auf die Anzahl der Übernachtungen ankommen soll.
Die aktuelle Rechtslage wird dabei als „in höchstem Maße unbefriedigend“ kritisiert, da sich die in der Rechtsprechung übliche Herabstufung der Barunterhaltspflicht um eine oder zwei Stufen nach unten „finanziell kaum auswirke.“ Ein mehrere (6!) Schritte umfassendes Rechenmodell soll Abhilfe schaffen, sodass sich die Mehrbetreuung für den barunterhaltspflichtigen Elternteil künftig auch lohne. Zwar ist zuzugestehen, dass der häufig zumindest bei vergleichbaren Einkommensverhältnissen nahezu vollständige Wegfall der Zahlungsverpflichtung ab der 50%-Schwelle in einem Spannungsverhältnis zu der Situation bei einem lediglich erweiterten Umgangsrechts steht. Aber geht es bei der in Aussicht genommenen Anpassung wirklich darum, der kommentierten oder auch nur herbei gewünschten veränderten Lebensrealität zunehmend „partnerschaftlicher Betreuung“ Rechnung zu tragen? Oder erfolgt nicht vielmehr eine Kommerzialisierung des Umgangs zulasten des Haushaltseinkommens des schwächeren, überwiegend betreuenden Elternteils mit allen nachteiligen wirtschaftlichen Folgen und Deprivationserlebnissen des Kindes?
Bisher galt der Grundsatz der strikten Trennung der am Kindeswohl orientierten Umgangsregelung und finanzieller Fragen, der umgangsverpflichtete Elternteil konnte insbesondere nicht einwenden, der Umgangsberechtigte möge doch zunächst einmal den geschuldeten Kindesunterhalt zahlen, bevor er das Familiengericht zur Regelung des Umgangs bemühe. Mit Blick auf das Reformvorhaben fürchten langgediente Familienrechtler nun, zu jeder Umgangsverhandlung nur noch mit gezücktem Taschenrechner antreten zu müssen, um prüfen zu können, ob der umgangsverpflichtete Elternteil sich Zugeständnisse bei einer Umgangserweiterung auch leisten kann. Schon im Beispiel aus dem Eckpunktepapier wird der überwiegend betreuende Elternteil mit einem Einkommen von 2.000 EUR im großstädtischen Raum bei hohen Mieten Mühe haben, das Lebensumfeld des Kindes mit einer auf weniger als ein Viertel reduzierten Kindesunterhaltszahlung aufrechtzuerhalten.
Andere Ansätze aus dem Papier sind durchaus überzeugend, wie etwa die Angleichung der Betreuungsunterhaltsregelungen unabhängig von der vorherigen Ehe der Eltern und die Orientierung des Selbstbehalts an realistischen Wohnkosten. Das Prinzip „Mehr Umgang nur gegen weniger Geld“ droht aber der anspruchsvollen Lebensrealität im – noch überwiegend weiblich besiedelten - Haifischbecken von Teilzeitfalle, Gender Pay Gap und vulnerableren beruflichen und privaten Bindungen nicht gerecht zu werden, wenn der mehr oder hauptsächlich betreuende Elternteil ohne das Kind „gerechnet“ wird.

Ihre
Barbara Ackermann-Sprenger


1Dire Straits, 1982.


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