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NZFam - Neue Zeitschrift für Familienrecht

AKTUELL 20/2024


Verfahrensrecht

Mittellosigkeit als Grund der Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist

Ein ausführlich begründeter PKH-Antrag ist laut einer Entscheidung des BGH v. 6.8.2024 (IX ZB 26/23) kein Anlass für Zweifel, ob ein Anwalt nicht doch auch ohne Prozesskostenhilfe die Berufung durchführen würde. Dieser Fall sei nicht vergleichbar mit der Einreichung eines vollständigen Entwurfs einer Rechtsmittelbegründung.

Ein Rechtsanwalt führte eine Klage aus Insolvenzanfechtung einer finanziell Bedürftigen beim Landgericht auf Prozesskostenhilfebasis. Nachdem die Klage in erster Instanz abgewiesen worden war, legte er Berufung zum OLG Hamburg ein. Kurz vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist beantragte er für den Kläger Prozesskostenhilfe für die zweite Instanz und begründete den PKH-Antrag ausführlich. Er reichte allerdings keinen Entwurf einer Berufungsbegründungsschrift ein. Er versicherte ferner anwaltlich, nicht bereit zu sein, das Berufungsverfahren ohne Finanzierung durchzuführen.

Das Berufungsgericht lehnte nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist den PKH-Antrag ab und kündigte die Verwerfung der Berufung wegen Säumnis an. Der Anwalt beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und machte die Mittellosigkeit seiner Mandantin als Grund der Säumnis geltend. Er holte die Berufungsbegründung nach und erhob die Anhörungsrüge gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfebewilligung. Das OLG lehnte sämtliche Anträge ab. Die Rechtsbeschwerde zum BGH war allerdings größtenteils erfolgreich.

Der BGH gewährte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO, da die Säumnis unverschuldet eingetreten sei. Der IX. Zivilsenat wies auf die ständige Rechtsprechung hin, wonach im Regelfall vermutet werde, dass die Bedürftigkeit Ursache für die versäumte Frist sei, wenn zunächst die Entscheidung über den PKH-Antrag abgewartet werde. Diese Vermutung könne aber erschüttert werden, etwa wenn dem Antrag ein vollständiger und unterschriebener Entwurf der Berufungsbegründung beigelegen hätte. In diesem Fall habe der Anwalt bereits die volle Leistung erbracht und könne sich nicht mehr darauf berufen, nur bei Bewilligung der PKH tätig werden zu wollen.

Hier habe sich aber der Prozessbevollmächtigte nur in seinem Antrag ausführlich rechtlich mit dem Landgerichtsurteil auseinandergesetzt, um die Erfolgsaussichten darzulegen. Außerdem habe er anwaltlich versichert, das Rechtsmittelverfahren nicht ohne Absicherung führen zu wollen. Eine Berufungsbegründung habe er nicht eingereicht. Die Bewertung der ausführlichen Antragsbegründung als eine „de facto“ Berufungsbegründung durch das OLG lehnte der BGH ab: Der wünschenswerten Begründung eines Prozesskostenhilfegesuchs könne nicht die Erklärung beigemessen werden, die dort gegebene Begründung stelle in Umfang und Tiefe die von der mittellosen Partei nach einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe angestrebte Berufungsbegründung dar. Aus der Begründung des Prozesskostenhilfeantrags könne auch nicht geschlossen werden, ein Prozessvertreter sei bereit, die dortige Begründung unter Übernahme der vollen haftungsrechtlichen anwaltlichen Verantwortung als Berufungsbegründung einzureichen.“

Die Ablehnung des PKH-Antrags allerdings konnte der BGH aber mangels Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nicht aufheben. Insoweit verwies er aber darauf, dass der Antrag erneut gestellt werden könne, weil der Ablehnungsbeschluss nicht in Rechtskraft erwachse.


Gleichbehandlungsgesetz

Non-binäre Anrede auf der DB-Buchungsseite

Wer 2019 bei der Deutschen Bahn ein Ticket buchen wollte, musste sich auf der Online-Plattform des Unternehmens entscheiden, ob er als Mann oder als Frau bestellen wollte. Das ist diskriminierend für non-binäre Personen, die sich keinem der beiden Geschlechter zugehörig fühlen. Der BGH (Beschluss v. 27.8.2024 – X ZR 71/22) bestätigte eine Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. (NJW-RR 2022, 1254).

Eine non-binäre Person hatte die Deutsche Bahn verklagt, weil sie bei der Registrierung und Online-Buchung von Fahrkarten zwingend zwischen der Anrede „Herr“ oder „Frau“ wählen musste. Auch in Schreiben der Bahn wurde sie als „Herr/Frau“ angesprochen. Sie verlangte Unterlassung und 5.000 EUR Entschädigung. Das OLG Frankfurt a. M. hatte die Bahn 2022 zur Unterlassung und zur Zahlung einer Entschädigung von 1.000 EUR verurteilt und die Benachteiligung der non-binären Person als so massiv eingestuft, dass sie durch eine Entschädigung in Geld kompensiert werden müsse. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Bahn hat der BGH nun zurückgewiesen und von einer Begründung der Entscheidung abgesehen.


Nachrichten

Zahl der Kindeswohlgefährdungen auf neuem Höchststand

Die Zahl der Kindeswohlgefährdungen in Deutschland hat im Jahr 2023 einen neuen Höchststand erreicht: Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) am 6.9.2024 (Nr. 338/2024) mitgeteilt hat, stellten die Jugendämter bei mindestens 63.700 Kindern oder Jugendlichen eine Kindeswohlgefährdung durch Vernachlässigung, psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt fest. Das waren rund 1.400 Fälle oder 2 % mehr als im Jahr zuvor. Da einige Jugendämter für das Jahr 2023 keine Daten melden konnten, ist aber sicher, dass der tatsächliche Anstieg noch deutlich höher ausfiel: Werden für die fehlenden Meldungen im Jahr 2023 die Ergebnisse aus dem Vorjahr hinzugeschätzt (+3.300 Fälle), liegt der Anstieg der Kindeswohlgefährdungen gegenüber dem Vorjahr bei 4.700 Fällen oder 7,6 %. Wird zusätzlich der allgemeine Anstieg berücksichtigt, erhöht sich das Plus sogar auf rund 5.000 Fälle beziehungsweise 8,0 %. Nach dieser Schätzung läge die Gesamtzahl im Jahr 2023 bei 67.300 Fällen. Neben Fehlern bei der Datenerfassung und dem Cyberangriff auf einen IT-Dienstleister wurde als Grund für die fehlenden Meldungen im Jahr 2023 auch die Überlastung des Personals im Jugendamt genannt.

Der langfristige Anstieg der Zahl behördlich festgestellter Kindeswohlgefährdungen setzte sich damit auch 2023 fort. Mit Ausnahme des Jahres 2017 und des Corona-Jahres 2021 nahmen die Fallzahlen seit Einführung der Statistik im Jahr 2012 stets zu. Am höchsten waren die Anstiege von 2018 bis 2020 mit jeweils 9 % bis 10 % mehr Fällen als im Vorjahr. Gründe für diese Entwicklung können – neben einer tatsächlichen Zunahme der Gefährdungsfälle – auch eine höhere Sensibilität und Anzeigebereitschaft der Öffentlichkeit und Behörden beim Thema Kinderschutz sein.

Den rund 63.700 Meldungen zufolge waren die betroffenen Kinder im Jahr 2023 bei Feststellung der Kindeswohlgefährdung im Schnitt 8,2 Jahre alt. Während bis zum Alter von 12 Jahren Jungen etwas häufiger von einer Kindeswohlgefährdung betroffen waren, galt dies ab dem 13. Lebensjahr für Mädchen. Die meisten betroffenen Minderjährigen wuchsen bei alleinerziehenden Elternteilen (39 %) oder beiden Eltern gemeinsam (38 %) auf. 13 % lebten bei einem Elternteil in neuer Partnerschaft und 10 % in einem Heim, bei Verwandten oder in einer anderen Konstellation. In knapp jedem dritten Fall (31 %) waren ein oder beide Elternteile ausländischer Herkunft (nicht in Deutschland geboren) und die vorrangig gesprochene Familiensprache nicht Deutsch. In 45 % aller Fälle nahmen die Jungen oder Mädchen zum Zeitpunkt der Gefährdungseinschätzung bereits eine Leistung der Kinderund Jugendhilfe in Anspruch, standen also schon in Kontakt zum Hilfesystem. Dabei war in etwa jedem vierten Fall (27 %) innerhalb des Jahres schon einmal eine Meldung zu dem Kind eingegangen.

In den meisten Fällen von Kindeswohlgefährdung hatten die Behörden Anzeichen von Vernachlässigung festgestellt (58 %). Bei 36 % gab es Hinweise auf psychische Misshandlungen. In 27 % der Fälle wurden Indizien für körperliche Misshandlungen und in 6 % für sexuelle Gewalt gefunden. Den Jugendämtern zufolge hatte ein Teil der Kinder mehrere dieser Gefährdungsarten – also Vernachlässigungen, psychische Misshandlungen, körperliche Misshandlungen oder sexuelle Gewalt – gleichzeitig erlebt: 2023 traf das auf knapp jeden vierten Fall von Kindeswohlgefährdung zu (23 %).

Neue Ergebnisse zeigen nun auch, von wem die Gefährdung des Kindes – ausschließlich oder hauptsächlich – ausging: In 73 % aller Fälle war das die eigene Mutter oder der eigene Vater. In weiteren 4 % war es ein Stiefelternteil, die neue Partnerin oder der neue Partner eines Elternteils und in 6 % eine sonstige Person, etwa eine Tante, ein Trainer, der Pflegevater oder die Erzieherin. In ebenfalls 6 % der Fälle konnte zwar angegeben werden, dass die Gefährdung von mehreren Personen ausging, aber keine Hauptperson benannt werden. Und in 11 % der Fälle waren weder die Zahl der Beteiligten noch die (Haupt-)Person bekannt.

Den vorliegenden Daten zufolge haben die Jugendämter im Jahr 2023 insgesamt rund 211.700 Hinweismeldungen durch eine Gefährdungseinschätzung geprüft – auch hier liegt die tatsächliche Zahl wegen der Datenausfälle noch höher. Die meisten Hinweise auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung wurden von Polizei und Justiz an die Jugendämter weitergegeben (31 %). Etwas seltener kamen die Hinweise aus der Bevölkerung – also von Verwandten, Bekannten, aus der Nachbarschaft oder anonym (22 %). An dritter Stelle folgten Hinweise aus der Kinderund Jugend- oder Erziehungshilfe (13 %) und dahinter Hinweise aus den Schulen an die Jugendämter (12 %). Etwa ein weiteres Zehntel der Hinweise auf die Gefährdungssituation stammten aus den Familien selbst, also von den betroffenen Minderjährigen (2 %) oder ihren Eltern (7 %). In 30 % aller Hinweismeldungen haben die Jugendämter den Verdacht auf Kindeswohlgefährdung anschließend bestätigt. Die zuverlässigsten Hinweisgeber waren dabei die Betroffenen selbst: Bei den Selbstmeldungen von Kindern und Jugendlichen war die Bestätigungsquote am höchsten und lag mit 60 % doppelt so hoch wie der Durchschnitt.


BVEB kritisiert geplante Neuregelung der Vergütung der Verfahrensbeistände

Der Berufsverband der Verfahrensbeistände, Ergänzungspfleger und Berufsvormünder für Kinder und Jugendliche – BVEB – e.V. kritisiert in seiner Stellungnahme v. 4.9.2024 zu dem Referentenentwurf des BMJ zur Reform des FamFG die in § 158c FamFG-E aus seiner Sicht zu niedrige Anpassung der Vergütung der Verfahrensbeistände. Es werde zwar begrüßt, dass die Pauschale 15 Jahre nach ihrer Einführung endlich erhöht werden soll. Der BVEB erachte jedoch die beabsichtigte Erhöhung als nicht ausreichend, um die Kinder mit ihren Interessen, Rechten und Bedürfnissen im gerichtlichen Verfahren angemessen zu vertreten. Der BVEB begrüße die Abschaffung der „einfachen“ Pauschale, da mit dieser eine sachgerechte Interessenvertretung nicht möglich sei. Er fordere jedoch die Erhöhung der Pauschale auf 800 EUR für das erste Kind und auf 570 EUR ab dem 2. Kind. Der BVEB fordere weiterhin die Möglichkeit der einmaligen Erhöhung der Pauschale durch die Gerichte um 200 EUR pro Verfahren bei besonders lange dauernden Verfahren, zB mit mehreren Anhörungsterminen und Gutachten.

Außerdem solle – wie schon bei der letzten Änderung des VBVG – künftig eine Evaluation der Bestellpraxis und Tätigkeit nach 2 Jahren erfolgen und wissenschaftlich begleitet werden. Eine Anpassung der Vergütung auf Grund der gewonnenen Erkenntnisse solle dann möglich sein.


Hessen führt Bachelor in Jura ein

Jurastudierende in Hessen sollen künftig zusätzlich einen Bachelorabschluss erwerben können. Darauf verständigten sich die Landesregierung und die Universitäten im Land, wie das Wissenschaftsministerium am 10.9.2024 mitteilte.

Der Bachelorabschluss solle eine neue Perspektive bieten, insbesondere für diejenigen, die das Erste Staatsexamen nicht bestehen. Dies traf im vergangenen Jahr auf 49 Studierende in Hessen zu.

Den Angaben zufolge sollen Studierende, die die Voraussetzungen für die Anmeldung zur staatlichen Pflichtfachprüfung erreicht haben und weiteren Voraussetzungen genügen, den Grad eines Bachelor of Laws (LL.B.) verliehen bekommen. Hessen geht damit einen Weg, den zuvor etwa auch Berlin und Nordrhein-Westfalen gegangen sind. Die Universitäten begrüßen die Entscheidung laut Mitteilung und betonen, dass Studierende auch dann erfolgreich Berufe ergreifen könnten, wenn sie das Staatsexamen nicht absolvieren oder bestehen.

Mit einem rechtswissenschaftlichen Bachelorabschluss wäre zwar keine Arbeit etwa als Richter oder Staatsanwältin möglich, wohl aber ein anschließendes Masterstudium in einem anderen Fach oder ein alternativer Berufsweg. Der Jura-Bachelor war auch im schwarz-roten Koalitionsvertrag als Ziel festgehalten worden.

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