Aktuell 11/2025
Abgabenrecht
Zweitwohnungssteuer bei Nest- oder Wechselmodell unzulässig
Ein getrenntlebendes Ehepaar betreute seine gemeinsamen Kinder zunächst im Nest- und später im Wechselmodell. Für eine Nebenwohnung in einer anderen Stadt sollte der Mann Zweitwohnungssteuer zahlen. Das VG Weimar hält das für einen „eklatanten“ Verstoß gegen den Schutz der Familie und den Gleichbehandlungsgrundsatz.
Das Ehepaar hatte sich getrennt, der Mann einen Nebenwohnsitz in Erfurt begründet. Die gemeinsamen Kinder blieben am Erstwohnsitz in Leipzig, wo sie von ihren Eltern abwechselnd betreut wurden, zunächst im Nest-, später im Wechselmodell. Beim Nestmodell bleiben die Kinder in ihrem „Nest“ und werden von den pendelnden Eltern dort abwechselnd betreut. Beim Wechselmodell pendeln die Kinder zwischen zwei Wohnungen ihrer Eltern hin und her. Für seine Nebenwohnung in Erfurt sollte der Mann jährlich 960 EUR Zweitwohnungssteuer zahlen.
Eine Ausnahme von der Zweitwohnungssteuerpflicht sieht die Erfurter Satzung nur für nicht dauernd getrenntlebende Eheleute mit Zweitwohnsitz vor. Nach erfolglosem Widerspruch brachte seine Klage dem Mann die Aufhebung des Bescheids. Er sei rechtswidrig, so das VG Weimar (Urteil vom 17.10.2024 – 3 K 1578/23 We). Es hält die Satzungsregelung in Fällen von Nest- und Wechselmodellen am Erstwohnsitz für nichtig. Sie sei mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Familie (Art. 6 I und II) unvereinbar und verletze zudem auch den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 I GG. Denn die Entscheidung, die Kinder im Nest- oder Wechselmodell zu betreuen, sei verfassungsrechtlich geschützt – und zwar genauso wie bei nicht getrenntlebenden Eheleuten. Zudem verstoße eine Steuerpflicht in solchen Fällen gegen Art. 3 I GG, sachliche Gründe für eine unterschiedliche Behandlung nicht getrenntlebender und getrenntlebender Eheleute seien nicht erkennbar.
Das VG sieht die Regelung auch nicht durch die Typisierungsbefugnis des Satzungsgebers bei der Steuererhebung gedeckt. Die verschiedenen familienrechtlichen Kinderbetreuungsmodelle – wie hier insbesondere Nest- und Wechselmodelle – stellten „eine zentrale und verfassungsrechtlich besonders geschützte Fallgruppe der ‚Familie‘ im Sinne von Art. 6 GG dar“. Ihre Ausklammerung in der Satzungsregelung überschreite die Typisierungsbefugnis „ganz wesentlich“ und verletze Art. 6 und 3 GG somit „tiefgreifend“.
Die Stadt hatte für ihre Argumentation auf zwei Entscheidungen des FG Hamburg verwiesen. Die beträfen aber andere Fallgestaltungen und überzeugten auch in der Begründung nicht, so das VG. In dem einen Fall hatte der getrenntlebende Ehemann seinen Hauptwohnsitz in eine andere Stadt verlegt und eine Nebenwohnung für den Umgang mit seinen Kindern, die er an jedem zweiten Wochenende hatte, gemietet. In dem anderen Fall ging es um einen unverheirateten Mann, der mit seiner Partnerin und ihrem gemeinsamen Kind in der Familienwohnung lebte und aus beruflichen Gründen auch eine Nebenwohnung hatte. Das FG Hamburg bestätigte in beiden Fällen die Bescheide über die Zweitwohnungssteuer.
(Anm. der Schriftleitung: Die Entscheidung wird in Kürze von Richter am FG Dr. Daniel Wache in der NZFam besprochen werden).
Nachrichten
Digitalisierung der Rechtshilfe in der EU
Der 1. Mai 2025 markiert einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg der Digitalisierung in der justiziellen Zusammenarbeit in Europa. Grenzüberschreitende Rechtshilfeersuchen im Rahmen der europäischen Rechtshilfeverordnungen in Zivil- und Handelssachen sind zwischen den Mitgliedstaaten ab diesem Zeitpunkt elektronisch zu übermitteln.
Die Neufassungen der Europäischen Zustellungsverordnung und der Europäischen Beweisaufnahmeverordnung (EuBVO) sehen ab dem 1. Mai 2025 die Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung der Zustellungs- bzw. Beweisaufnahmeersuchen vor (Ausnahme: Dänemark für die EuBVO). Von der elektronischen Übermittlung kann nur in Ausnahmefällen abgesehen werden, etwa, wenn die elektronische Übermittlung aufgrund der Beschaffenheit des Beweismittels nicht möglich ist, außergewöhnliche Umstände die elektronische Übermittlung unmöglich machen oder eine Störung des dezentralen IT-Systems vorliegt. Die Kommunikation erfolgt über ein sicheres und zuverlässiges dezentrales IT-System. Für die elektronische Kommunikation können die EU-Mitgliedstaaten entweder eigene Systeme oder die von der EU-Kommission zur Verfügung gestellte Referenzimplementierungssoftware JUDEX nutzen. Die meisten Mitgliedstaaten verwenden zunächst JUDEX, so auch Deutschland. Über die Software können Rechtshilfeersuchen empfangen, bearbeitet und verschickt werden.
Die technische Basis beruht auf der e-CODEX-Technologie (e-Justice Communication via Online Data Exchange), einem Projekt der Europäischen Kommission zur Förderung der elektronischen justiziellen Zusammenarbeit, an deren Entwicklung das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen im Auftrag des Bundes und der Länder als Projektkoordinator eines Konsortiums von Mitgliedsstaaten der Europäischen Union maßgeblich beteiligt war. Für die Begleitung der Umsetzung in Deutschland wurde die E-Justiz-Koordinierungsstelle Europa (EKE) beim Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen ins Leben gerufen. Die EKE übernimmt die Koordination technischer, administrativer und rechtlicher Aspekte und betreibt im Auftrag des Bundes und der Länder den gemeinsamen nationalen e-CODEX-Zugangspunkt.
Die elektronische Übermittlung von Rechtshilfeersuchen stellt einen bedeutsamen Schritt auf dem weiteren Weg der Digitalisierung dar. Für die nächsten Jahre hat der europäische Gesetzgeber in der EU-Digitalisierungsverordnung und dem Paket zu elektronischen Beweismitteln (E-Evidence) bereits zahlreiche weitere Digitalisierungsschritte im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit definiert. Auch insofern werden die EKE und das Bundesamt für Justiz (BfJ) wieder koordinierende Funktionen wahrnehmen. Das BfJ ist die zentrale Anlauf- und Vermittlungsstelle auf Bundesebene im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in Zivil- und Handelssachen.