Professor Dr. Gregor Thüsing, LL.M (Harvard), Bonn
Heft 10/2025

Der Kanzler, Friedrich Merz, wählte markige Worte: Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance kriegen wir die Wirtschaft nicht voran. Und als Echo forderte dann die Bayerische Wirtschaft: Streicht kirchliche Feiertage!
Im Vergleich zu vielen unseren Nachbarländern arbeiten wir inzwischen in der Tat weniger, vielleicht zu wenig. Mehr Arbeit wäre ökonomisch sinnvoll. Doch Feiertage streichen? Das gab es schon mal. So wurde zur Finanzierung der Pflegeversicherung 1995 in allen Bundesländern, außer Sachsen, der Buß- und Bettag gestrichen. Indes: Gebracht hat es wenig. Besser als Kulturkampf sind finanzielle Anreize. Diese finden sich auch im Koalitionsvertrag:
„Damit sich Mehrarbeit auszahlt, werden Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte, beziehungsweise an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen, steuerfrei gestellt. Als Vollzeitarbeit soll dabei für tarifliche Regelungen eine Wochenarbeitszeit von mindestens 34 Stunden, für nicht tariflich festgelegte oder vereinbarte Arbeitszeiten von 40 Stunden gelten. Wir werden bei der konkreten Ausgestaltung eine praxisnahe Lösung in enger Abstimmung mit den Sozialpartnern entwickeln. Wir werden einen neuen steuerlichen Anreiz zur Ausweitung der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten schaffen: Wenn Arbeitgeber eine Prämie zur Ausweitung der Arbeitszeit zahlen, werden wir diese Prämie steuerlich begünstigen. Missbrauch werden wir ausschließen.“
Überstundenvergütung soll also steuerfrei gestellt werden, wenn sie über die Arbeitszeit eines Vollzeitarbeitnehmers hinausgeht. Das ist innovativ, auch wenn es in einem gewissen Kontrast zur Rechtsprechung steht, wonach bei den Überstundenzuschlägen hierin (fälschlich) eine unzulässige Diskriminierung wegen der Teilzeit und sogar eine unzulässige Geschlechtsdiskriminierung gesehen wird – die meisten Teilzeitbeschäftigten sind ja Frauen (EuGH 19.10.2023 – C-660/20, NZA 2023, 1379; 29.7.2024 – C 184/22, NZA 2024, 1265 mAnm v. Roetteken NZA 2024, 1270; dies umsetzend BAG 4.12.2024 – 10 AZR 185/20, NZA 2025, 249; 5.12.24 – 8 AZR 370/20, NZA 2025, 431; 5.12.2024 – 8 AZR 372/20, NZA 2025, 562; s. zu dem Komplex Teilzeitbeschäftigung und Überstunden bereits Thüsing/Mantsch BB 2023, 2676).
Es stellt sich also die Frage, ob der Gesetzgeber etwas darf, was dem Arbeitgeber verwehrt ist. Mir scheint die Antwort klar: Er darf es, denn seine Ziele sind anders. Er will zu einem Mehr an gesamtgesellschaftlicher Beschäftigung anreizen und dazu ist das Steuerrecht als Lenkungsinstrument grundsätzlich geeignet und legitim. Wenn nun am Ende der Verhandlungen auch noch die steuerlichen Anreize für Teilzeitbeschäftigte dazugekommen sind (im Sondierungspapier fehlten die noch), ist das gut – freilich wird es hier äußerst schwierig werden, das ebenfalls erklärte Ziel, Missbrauch zu verhindern und wohl auch Mitnahmeeffekte auszuschließen, zu realisieren. Hier wird es Mindestfristen der Teilzeit brauchen und weitere Sicherungsschranken wohl auch. Aber das sollte kein Vorwand sein, die Sache nicht anzupacken. Nur Mut also!
