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Bewerbungen im Kündigungsschutzprozess: Mit einem Bein schon aus der Tür

Dr. Nathalie Oberthür , Fachanwältin für Arbeitsrecht
Wenn ein Un­ter­neh­men einem Mit­ar­bei­ter kün­digt und sich dies spä­ter als rechts­wid­rig her­aus­stellt, kann er sei­nen zwi­schen­zeit­lich fäl­li­gen Lohn ver­lan­gen – al­ler­dings nur, wenn er nicht an­der­wei­tig hätte ar­bei­ten kön­nen. Wich­ti­ge De­tails dazu klärt am Mitt­woch das BAG, be­rich­tet Na­tha­lie Obert­hür.

Mit dem Kündigungsschutz in Deutschland ist es so eine Sache. Das System des Bestandsschutzes erlaubt es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, auch gegen den Willen der Arbeitgeberin an einem Arbeitsverhältnis festzuhalten, wenn nach den strengen Maßstäben der Rechtsprechung kein ausreichender Kündigungsgrund vorliegt. Dies birgt für Unternehmen das Risiko erheblicher Gehaltsnachzahlungen, bekannt als "Annahmeverzugslohn" - Verhandlungen über hohe Abfindungen sind oftmals die Konsequenz.

Unternehmen versuchen jedoch mitunter auch, dieses wirtschaftliche Risiko zu vermeiden, indem sie sich auf § 615 Satz 2 BGB berufen. Auf den Annahmeverzugslohn muss danach das Einkommen angerechnet werden, das der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin während des Annahmeverzugs anderweitig erzielt oder böswillig zu erzielen unterlässt. Sie müssen daher alternative Erwerbsmöglichkeiten in Betracht ziehen, da ihnen andernfalls ein fiktives Erwerbseinkommen angerechnet werden kann. Die Frage, welche Bemühungen notwendig sind, um sich nicht dem Vorwurf des "böswilligen Unterlassens" auszusetzen, ist damit zu einer zentralen Fragestellung in arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen geworden. Das BAG hat im Rahmen eines aktuellen Revisionsverfahrens (Az. 5 AZR 127/24) am Mittwoch erneut Gelegenheit, der Praxis Antworten auf diese grundlegende Frage zu geben.

Müssen Arbeitnehmer schon vor erstinstanzlichem Urteil eine neue Beschäftigung suchen?

Das LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 03.05.2024, Az. 9 Sa 4/24) hatte über den Vergütungsanspruch eines gekündigten Arbeitnehmers zu entscheiden. Die Arbeitgeberin hatte ihm im März 2023 ordentlich zum 30. Juni 2023 gekündigt und ihn von der Pflicht zur Arbeitsleistung freigestellt. Im Laufe der Monate Mai und Juni 2023 übersandte das Unternehmen dem Arbeitnehmer insgesamt 43 Stellenangebote; auf sieben davon bewarb er sich, erstmalig jedoch am 28. Juni 2023, einen Tag vor der Kammerverhandlung vor dem Arbeitsgericht. Die Arbeitgeberin verweigerte daraufhin die Zahlung der Vergütung für Juni 2023 und hielt ihrem Angestellten böswilliges Unterlassen vor. Das LAG gab der Zahlungsklage in zweiter Instanz statt, ließ jedoch die Revision zum BAG zu, das sich nun erneut mit den Pflichten im Annahmeverzug auseinandersetzen wird.

Das BAG hat in der Vergangenheit bereits entschieden, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer solchen Situation verpflichtet sind, potenzielle Erwerbschancen aktiv zu verfolgen und sich auf zumutbare Stellen zu bewerben. Das LAG Baden-Württemberg hat Bewerbungen des gekündigten Arbeitnehmers allerdings zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kammertermin in dem Kündigungsschutzverfahren unmittelbar bevorstand und die Kündigungsfrist noch nicht abgelaufen war, für unzumutbar erachtet: "Es ist dem Kläger zuzubilligen, dass er, bevor er mit Bewerbungen auf Stellenangebote für die baldige Aufnahme einer neuen Tätigkeit beginnt, einen zeitnahen Kammertermin abwarten darf, um Klarheit darüber zu haben, ob der Arbeitgeber im Falle einer obsiegenden erstinstanzlichen Entscheidung an der Kündigung festhält." Erst wenn die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer – sofern dieser zuvor in erster Instanz Recht bekommen hat – nicht zeitnah wieder zur Arbeit rufe, sei dieser gehalten, mit Bewerbungen zu beginnen.

Dies überzeugt, umso mehr mit Blick auf die Möglichkeit des Arbeitnehmers, bei erstinstanzlichem Sieg die Weiterbeschäftigung bei der Arbeitgeberin zu verlangen; solange die Aussicht besteht, zeitnah bei der eigenen Arbeitgeberin weiterbeschäftigt zu werden, kann es nicht böswillig sein, eine Bewerbung um einen anderen Arbeitsplatz vorerst hintenanzustellen.

Kein Zwang zu sinnlosem "Klinkenputzen"

Das LAG Baden-Württemberg hat darüber hinaus, soweit ersichtlich als bislang erstes Instanzgericht, die möglichen negativen Folgen eines undifferenzierten Bewerbungsverhaltens für die weitere berufliche Entwicklung des Arbeitnehmers in den Blick genommen. Gerade angesichts des nicht abgeschlossenen Kündigungsschutzverfahrens dürfe dem "Kläger ein entwürdigendes 'Klinkenputzen' bei anderen Arbeitgeberinnen durch von vorneherein zum Scheitern verurteile Bewerbungen" nicht abverlangt werden. Er verliere dadurch möglicherweise die Chance, sich zu einem späteren Zeitpunkt erfolgreich für ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis zu bewerben und könnte durch eine Bewerbung mit der Ankündigung, dieses Arbeitsverhältnis im Falle eines Obsiegens im Kündigungsschutzprozess sofort wieder zu beenden, bei einer möglichen Arbeitgeberin an Ansehen einbüßen.

Auch die Interessen der Adressatinnen der Bewerbungsbemühungen hat das LAG Baden-Württemberg in den Blick genommen. Dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zwar verpflichtet sind, sich zwischenzeitlich Einkommen zu verschaffen, nicht jedoch, ein auf Dauer angelegtes neues Anstellungsverhältnis einzugehen, schafft ein Spannungsfeld zwischen dem nicht ernsthaft wechselwilligen Arbeitnehmer und der potentiellen neuen Arbeitgeberin, die regelmäßig an einer dauerhaften Einstellung interessiert sein wird. Das LAG Baden-Württemberg geht davon aus, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hier mit offenen Karten spielen dürfen. Sie seien "schon alleine aus Gründen des Anstandes berechtigt", den Wunsch, in das bisherige Arbeitsverhältnis zurückzukehren, einer potentiellen neuen Arbeitgeberin mitzuteilen.

Ob sie dazu sogar nach § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet sind, hat das LAG für wahrscheinlich erachtet, im Ergebnis aber offengelassen. Das BAG hatte dies in einer kurz zuvor ergangenen Entscheidung (Urteil vom 07.02.2024, Az. 5 AZR 177/23) jedenfalls für die erste Kontaktanbahnung noch anders gesehen, sodass auch diese Frage nun noch einmal eine Rolle spielen dürfte. Jedenfalls aber sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch nach Auffassung des LAG Baden-Württemberg grundsätzlich gehalten, die Bewerbung zumindest zu versuchen: "Solange der Kläger sich nicht tatsächlich bewirbt, kann er auch nicht geltend machen, die Bewerbung wäre (sowieso) nutzlos gewesen."

Wann ist der Arbeitnehmer böswillig?

Bei der Beurteilung eines Verhaltens als böswillig ist stets eine Abwägung der individuellen Gesamtumstände vorzunehmen. Die Gründe, aus denen die Arbeitgeberin in Annahmeverzug geraten ist – ob sie die Person nicht beschäftigen kann oder schlicht nicht beschäftigen will – hat das BAG dennoch bislang nicht als erheblich erachtet. Das LAG Baden-Württemberg hat demgegenüber in seiner Bewertung auch gewürdigt, dass die Arbeitgeberin den aus Art. 2 Abs. 112 GG folgenden Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers vorsätzlich verletzt habe und sich durch die massenhafte Zusendung von Stellenanzeigen ihrer Pflicht zur Zahlung von Annahmeverzugsvergütung habe entziehen wollen. Das Gericht verweist dazu auf die Erwägungen des BAG aus einer Entscheidung vom 18.06.1965 (Az. 5  AZR  351/64), nach der der Zweck der Erwerbsobliegenheit des § 615 Satz 2 BGB auch bei guter Arbeitsmarktlage nicht darin liege, das Unternehmen von den Rechtsfolgen des selbst verschuldeten Annahmeverzuges zu befreien – gerade dann, wenn sich die Arbeitgeberin vorsätzlich rechtswidrig verhält. Diese Wertungen sind heute so überzeugend wie damals.

Die Rechtsprechung des BAG zu den Erwerbsbemühungen im Annahmeverzug hat in der arbeitsgerichtlichen Praxis einen Widerhall gefunden, der die sorgfältig begründete Argumentation der Revisionsentscheidungen nicht immer widerspiegelt. Da dies nicht weniger als den Kernbereich des Arbeitnehmerschutzrechts betrifft, ist dies keine Kleinigkeit. Das vorliegende Verfahren bietet dem BAG nun gemeinsam mit den beiden Revisionsentscheidungen vom 15.01.2025 (Az. 5 AZR 273/24 und 5 AZR 135/24), deren Urteilsgründe bislang nicht veröffentlicht sind, nochmals Gelegenheit, die wechselseitigen Pflichten im Annahmeverzug in ein praktisch handhabbares und gleichzeitig ausgewogenes Verhältnis zu setzen.

 

Aus der Datenbank beck-online

Müller, LAG Baden-Württemberg: Annahmeverzug – böswilliges Unterlassen, ArbRAktuell 2024, 362

Christ/Jeck, (Kein) Annahmeverzugslohnrisiko im Kündigungsschutzprozess, DStR 2023, 1014

BAG, Annahmeverzugslohn – Auskunft hinsichtlich anderweitigen Erwerbs, NZA 2020, 1113

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