In Hessen gilt seit 2023 das Versammlungsfreiheitsgesetz (HVersFG). Die Fraktionen der Linken und der AfD im Landtag hatten jeweils eine Normenkontrolle des Gesetzes beantragt. Die Linke hielt weite Teile für verfassungswidrig, außerdem eine Vorschrift aus dem Bannmeilengesetz. Die AfD hatte lediglich zwei konkrete Vorschriften angegriffen, die sich mit Beschränkungen, dem Verbot und der Auflösung von Versammlungen beschäftigen. Beide Fraktionen meinen, der Landesgesetzgeber habe nicht berücksichtigt, dass das Grundrecht der Versammlungsfreiheit in der hessischen Verfassung (Art. 14 HV) weiter reiche als das in Art. 8 GG.
Der StGH Hessen hat in seiner Entscheidung bestätigt, dass Art. 14 HV weiter reicht als Art. 8 GG. Denn Art. 14 HV unterliege – bis auf das Anmeldeerfordernis für Versammlungen unter freiem Himmel nach seinem Abs. 2 – keinem Gesetzesvorbehalt und könne nur durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden. Die hessischen Verfassungsrichterinnen und -richter hielten die Vorschriften des HVersFG sowie § 1 BannMG HE aber jedenfalls bei entsprechender verfassungskonformer Auslegung für mit Art. 14 HV vereinbar (Urteil vom 06.03.2025 - P.St. 2920 und P.St. 2931).
Verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften des HVersFG möglich
Dabei müssten die Vorschriften, die etwa ein Verbot oder Beschränkungen einer Versammlung ermöglichen, verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass Eingriffe in die Versammlungsfreiheit nur zugunsten von Grundrechten Dritter oder anderen Rechtsgütern mit Verfassungsrang möglich sind. Im Einzelfall müsse die anordnende Behörde einander widerstreitenden Verfassungspositionen gegeneinander abwägen und in einen verhältnismäßigen Ausgleich bringt, so der StGH.
Auch die Vorschriften, die zu Eingriffen in die Versammlungsfreiheit aus Gründen der öffentlichen Ordnung ermächtigen, könnten unter strikter Beachtung der Vorgabe, dass die Maßnahmen dem Schutz anderer Verfassungsgüter dienen müssen, verfassungskonform ausgelegt werden. Dies gelte insbesondere für den von der AfD explizit angegriffenen § 14 Abs. 1 HVersFG, der Beschränkungen von Versammlungen unter freiem Himmel ermöglicht. Darin heiße es: "Die zuständige Behörde kann eine Versammlung unter freiem Himmel verbieten oder die Versammlung nach deren Beginn auflösen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Maßnahmen erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist." Es sei deshalb unzulässig, Maßnahmen auf die öffentliche Ordnung als Auffangtatbestand zu stützen, weil sie sich mangels eines zu schützenden Verfassungsguts nicht unter den Begriff der öffentlichen Sicherheit subsumieren lassen.
Auch § 18 HVersFG, der ein Schutzausrüstungs- und Vermummungsverbot bei Versammlungen beinhalte, hält der StGH für verfassungskonform, allerdings mit der Maßgabe, dass die widerstreitenden Grundrechtspositionen besonders sorgfältig gegeneinander abgewogen werden müssen. Das grundsätzlich berechtigte Interesse der friedlichen Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer, sich vor Angriffen Dritter schützen und unerkannt bleiben zu wollen, müsse in die Überlegungen einbezogen werden. Gleiches gelte aber auch für das subjektive Element − die beabsichtigte Verwendung der mitgeführten Gegenstände und die Zielrichtung der bezweckten Anonymität.
Verfassungsverstoß bei Regelung zur Sicherstellung und Einziehung
Was die Vorschriften im HVersFG zur behördlichen Sicherstellung und Einziehung bestimmter Gegenstände angeht, stellte der Staatsgerichtshof einen Verstoß gegen die Landesverfassung fest. Das in Art. 63 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 HV verankerte Zitiergebot sei nicht eingehalten worden. Danach müssen Gesetze, die ein hessisches Grundrecht beschränken oder ausgestalten, das entsprechende Grundrecht ausdrücklich nennen. Sicherstellung und Einziehung von Gegenständen beeinträchtigten die in Art. 45 HV geregelte Eigentumsgarantie. Dennoch werde Art. 45 HV nicht im Gesetzeswortlaut zitiert.
Mehrere Mitglieder des Staatsgerichtshofes, darunter seine Vizepräsidentin, haben eine teils abweichende Auffassung kundgetan. Sie halten § 14 Abs. 1 HVersFG nicht für mit der Versammlungsfreiheit des Art. 14 Abs. 1 HV vereinbar, soweit er Beschränkungen von Versammlungen unter freiem Himmel auch zum Schutz der öffentlichen Ordnung zulässt. Auch Schutzausrüstungsverbot und Vermummungsverbot liefen der Versammlungsfreiheit in Art. 14 HV zuwider (Urteil vom 06.03.2025 - P.St. 2920).