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VerfGH Baden-Württemberg | Jan 29, 2025
Wer zu schnell gefahren ist und einen Bußgeldbescheid bekommt, darf Einsicht in die zugrunde liegenden Messdaten nehmen. Verweigert die Behörde den Zugang, so ist das Recht der Betroffenen auf ein faires Verfahren verletzt, hat der VerfGH Baden-Württemberg entschieden.
Aus dem Recht auf ein faires Verfahren folge grundsätzlich auch ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen, so der VerfGH (Urteile vom 27.01.2025 – 1 VB 173/21, 1 VB 36/22, 1 VB 11/23). Die Betroffenen dürften ihre Verteidigungsmöglichkeiten ausschöpfen und hätten daher auch das Recht, Kenntnis von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden.
Drei Verfassungsbeschwerden von Menschen, die bei Geschwindigkeitsübertretungen im Straßenverkehr erwischt worden waren, waren damit erfolgreich. Weil sie zu schnell gefahren waren, waren den Betroffenen Geldbußen auferlegt worden; zunächst mit Bußgeldbescheid und anschließend mit Urteil des AG. Die Betroffenen versuchten während des Bußgeldverfahrens sowie des gerichtlichen Verfahrens wiederholt, die bei der Bußgeldbehörde vorhandenen, aber nicht bei der Bußgeldakte befindlichen Messdaten bzw. Wartungs- und Reparaturunterlagen des Geschwindigkeitsmessgeräts zu bekommen. Eine Einsicht wurde ihnen nicht bzw. nur unvollständig gewährt.
Entlastungsmomente nicht auszuschließen
Dies habe das Recht der Betroffenen auf ein faires Verfahren verletzt, hat nun der VerfGH Baden-Württemberg entschieden. Auch durch Informationen, die nicht Teil der Akte seien, könnten die Verteidigungsmöglichkeiten erweitert werden, argumentiert das Gericht. Betroffene könnten in diesen Informationen selbst nach Entlastungsmomenten suchen, die zwar fernliegen mögen, aber nicht schlechthin auszuschließen seien. Die möglicherweise außerhalb der Verfahrensakte gefundenen entlastenden Informationen könnten von der Verteidigung zur fundierten Begründung eines Antrags auf Beiziehung vor Gericht dargelegt werden. Der Betroffene könne so das Gericht, das von sich aus diese Informationen nicht beizieht, auf dem Weg des Beweisantrags oder Beweisermittlungsantrags zur Heranziehung veranlassen. Diesen Grundsätzen würden die aufgehobenen Entscheidungen nicht gerecht. Nun müssen die Amtsgerichte in allen drei Verfahren neu entscheiden (Urteil vom 27.01.2025 - 1 VB 173/21).
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
BVerfG, Zugang des Betroffenen im Bußgeldverfahren zu nicht in der Bußgeldakte enthaltenen Informationen als Teil des Anspruchs auf ein faires Verfahrens, BeckRS 2021, 10578, mit Anmerkung von Sandherr in NZV 2021, 377