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Gastkommentar von Dr. Jan Heinrich Schmitt-Mücke | Nov 06, 2024
Der Reformstaatsvertrag soll die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks modernisieren, aber auch einschränken, unter anderem auf ihren Online-Portalen. Das wird den alten Streit um "presseähnliche" Angebote nicht beenden, dürfte der Medienlandschaft aber guttun, meint Jan Heinrich Schmitt-Mücke.
Seit Jahren kämpfen private Medienhäuser um ihr Monopol auf Pressetexte. Sie fürchten, dass die in letzter Zeit immer weiter ausgebauten und textlastigeren Online-Angebote der öffentlich-rechtlichen Sender, wie etwa tagesschau.de oder die zugehörige App, ihnen mit gebührenfinanzierten Mitteln das Geschäftsmodell streitig machen könnten. Schon der geltende Medienstaatsvertrag (MStV) untersagt daher ARD und Co. "presseähnliche" Textangebote. Dies soll nun durch den kürzlich von den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten beschlossenen Reformstaatsvertrag weiter verschärft werden.
Die Reform des Medienstaatsvertrags fällt nun in eine Zeit, in der der Konflikt zwischen privater Presse und staatlichen bzw. öffentlichen-rechtlichen Publikationen im Regelfall vor den Gerichten ausgetragen wird. Derzeit ist etwa der Streit um die NEWSZONE-App des SWR und ihre Presseähnlichkeit vor dem LG Stuttgart anhängig, der die "alte" Regelung des § 30 VII MStV betrifft. Grund ist – jedenfalls im medienstaatsvertraglichen Zusammenhang – nicht der Mangel an gesetzlichen Vorschriften, sondern vielmehr der Streit über deren Auslegung.
Neu ist dieser Streit um die Grenzen öffentlich-rechtlicher Angebote außerhalb des klassischen Rundfunks nicht: Schon in den 1980/90er Jahren stritten Verlage mit den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten um von diesen publizierte Druckwerke. Diese kamen vergleichsweise harmlos als Programmzeitschriften, bzw. -übersichten daher, deren journalistischer Anspruch gering war. Der Streit führte am Ende zur Sechsten Rundfunkentscheidung des BVerfG, mit welcher das Gericht die entsprechende Norm im WDR-Gesetz – "Der WDR kann Druckwerke mit vorwiegend programmbezogenem Inhalt veröffentlichen, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist." – für grundrechtskonform erklärte. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten könnten sich zwar nicht auf die Pressefreiheit berufen, allerdings fänden vorwiegend programmbezogene Druckwerke ihre verfassungsrechtliche Grundlage in der Rundfunkfreiheit. Im Zuge des Siebten Rundfunkänderungsstaatsvertrages fand die Vorschrift dann auch Einzug in den Rundfunkstaatsvertrag und ist nach wie vor in § 27 I 2 MStV zu finden.
Telemedienangebote bringen neue Inhalte mit sich
Prima facie sind im nunmehr schwelenden Streit um die Zulässigkeit presseähnlicher Telemedien nur die Parteien identisch. Bei näherer Betrachtung ist es allerdings auch die Grundfrage: Die Abgrenzung zwischen privatwirtschaftlich organisierter Presse und – jedenfalls teilweise – öffentlich-rechtlich organisiertem Rundfunk. Nach wohl überwiegender Ansicht gilt es als Ausfluss des Gebots der Staatsferne der Presse in Art. 5 I GG, dass diese privatwirtschaftlich organisiert sein soll. In diese Richtung kann man auch die Spiegel-Entscheidung des BVerfG deuten, wenn dort von "privatwirtschaftlichen Grundsätzen" und "privatrechtlichen Organisationsformen" der Presse die Rede ist. Versteht man presseähnliche Telemedien ebenfalls als Teil der von Art. 5 I 2 GG geschützten Presse, dann scheint das Ergebnis klar: Ein umfassendes Angebot presseähnlicher Telemedien durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten würde zu einer öffentlich-rechtlich organisierten Presse führen und mit dem Gebot der Staatsferne der Presse konfligieren. So einfach liegt es aber nicht. Denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk unterliegt – ebenfalls nach der Sechsten Rundfunkentscheidung des BVerfG – einer Bestands- und Entwicklungsgarantie, welche sich "auf neue Dienste mittels neuer Techniken, die künftig Funktionen des herkömmlichen Rundfunks übernehmen können [erstreckt]."
Inwieweit dies auf das (presseähnliche) Telemedienangebot zutrifft, ist verfassungsgerichtlich nicht geklärt. Mit dem Siebten Rundfunkänderungsstaatsvertrag wurde jedenfalls erstmalig ein Telemedienauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aufgenommen, der sich auch heute in § 27 I 1 und § 30 MStV findet. Die Verfassungsbeschwerde des NDR gegen die Entscheidung des BGH zur Tageschau-App hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen. Darin hatten die Karlsruher Richter zur Vorgängervorschrift des nunmehr geltenden § 30 MStV entschieden, dass das konkrete Angebot der App gegen das Verbot presseähnlicher Telemedien verstoße und den NDR nach dem UWG zur Unterlassung verurteilt. Deutet man die Nichtzulassung der Verfassungsbeschwerde entsprechend, so scheint das BVerfG keinen Handlungsbedarf bezüglich der Entscheidung des BGH und der damit einhergehenden Einschränkung pressähnlicher Telemedienangebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu sehen. Anknüpfend an die Ausführungen der Sechsten Rundfunkentscheidung könnte man allerdings auch geneigt sein, ein umfassenderes öffentlich-rechtliches Telemedienangebot für zulässig zu halten. Denn in der Entscheidung führte das BVerfG ebenfalls aus: "Die Bedeutung der neuen Dienste für die Meinungsbildung ist derzeit allerdings vergleichsweise gering. Es fehlt auch an Anhaltspunkten dafür, daß sie in naher Zukunft neben den herkömmlichen Rundfunk treten könnten." Die damalige Feststellung der mangelnden Bedeutung wird sich für textlastige Telemedienangebote heute kaum halten lassen.
Wie viel Staat verträgt die Presse?
Letztlich ist es eine Grundfrage medienverfassungsrechtlichen Ausmaßes: Soll die Presseberichterstattung auch (jedenfalls teilweise) öffentlich-rechtlich erfolgen? Das ist zugleich eine politische Frage. Jedenfalls solange die private Presse die – untechnisch gesprochen – Grundversorgung bietet, zu der die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten hinsichtlich des Rundfunks verpflichtet sind, besteht meines Erachtens keine Notwendigkeit einer öffentlich-rechtlichen Presse. Denn ein "more of the same" auf einem funktionierenden Pressemarkt rechtfertigt nicht die Enthebung von wirtschaftlichen Zwängen durch eine Gebührenfinanzierung. Der Drei-Stufen-Test für neue Telemedienkonzepte, der sich im Reformstaatsvertrag nunmehr in § 30a IV MStV-E wiederfindet, und der gerade einen publizistischen Mehrwert öffentlich-rechtlicher Telemedienangebote sicherstellen soll – unter anderem ist zu prüfen, "in welchem Umfang durch das neue Telemedienangebot oder die wesentliche Änderung in qualitativer Hinsicht zum publizistischen Wettbewerb beigetragen wird" (Nr.2) –, ist bisher für die Grenzziehung zwischen privater Presse und öffentlich-rechtlichem Rundfunk weitgehend wirkungslos geblieben. Dies mag vornehmlich daran liegen, dass er abstrakte Konzepte, nicht aber das konkrete Telemedienangebot selbst betrifft.
Für die Grenzziehung werden die (reformierten) Vorschriften des MStV relevant: Wenn gebührenfinanzierte Telemedienangebote die private Presse derartig unter Druck setzen, dass sie ausstirbt, dann werden dadurch Fakten geschaffen, die für eine öffentlich-rechtlich organisierte Presse sprechen. Die ausufernde Tätigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, welche man schwerlich leugnen kann, führt bereits heute zu einer argen Bedrängnis der (Lokal-)Presse. Diesem Ausufern könnten die nunmehr – im Vergleich zur vorigen Regelung – konkreter und enger gefassten Vorschriften Einhalt gebieten.
Was bedeutet "presseähnlich"?
Indes sind die verwandten Begriffe weiterhin auslegungsbedürftig. Denn der Begriff der "Presseähnlichkeit" wurde zwar mit dem der "sendungsbegleitenden Texte" ersetzt (§ 30 VII 2 Nr. 1 MStV-E), allerdings wird die Konkretisierung dieses Begriffs nach den Sätzen 3-5 – etwa "thematisch und inhaltlich die Sendung unterstützen" oder "Hintergrundinformationen" – zu neuen Auslegungsfragen führen. Mit diesen ist neuer Streit zwischen der privaten Presse und den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vorprogrammiert. Da die (Rechts-)Aufsicht über die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten äußerst zaghaft agiert und die nach § 30 VII 6 MStV-E beibehaltene Schlichtungsstelle zwischen den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und den Spitzenverbänden der Presse bisher wirkungslos blieb, wird die Auslegung am Ende den Gerichten überantwortet werden. Nachdem der BGH bereitwillig lauterkeitsrechtlichen Rechtsschutz gewährt, werden darüber eher die Wettbewerbsgerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit als die Verwaltungsgerichte entscheiden. Die gerichtliche Kontrolle bietet dabei den Vorteil, dass ihr kein – oder zumindest weniger als der Staatsaufsicht – "Makel eines obrigkeitlichen Eingriffs in den Prozeß der freien Meinungsbildung" (Berendes, Die Staatsaufsicht über den Rundfunk (1973), S. 144) anhaftet.
Neben der Frage nach der verfassungsrechtlichen Vereinbarkeit mit der Entwicklungsgarantie wirft die reformierte Fassung des § 30 VII MStV vor allem einfachgesetzliche Auslegungsfragen auf. Damit ist gleichwohl nicht schlicht eine alte Auslegungsschwierigkeit – die der "Presseähnlichkeit" – von einer neuen ersetzt worden. Denn die Regelung ist erkennbar enger gefasst und grenzt den Bereich der privaten Presse von der (Rand-)Tätigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf dem Gebiet textlastiger Telemedienangebote ab. Dies ist für die private Presse erfreulich. Daneben bewegen die engeren Regeln womöglich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten – ohne Umweg über die Gerichte – zu einem randständigeren Telemedienangebot.
Dr. Jan Heinrich Schmitt-Mücke ist Rechtsreferendar am Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg. Seine Dissertation "Rechtsbruch durch Verstoß gegen medienrechtliche Vorschriften" (Mohr Siebeck, 2023) befasst sich mit der Schnittstelle zwischen Medien- und Lauterkeitsrecht.
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
BGH, Beurteilung von presseähnlichen Angeboten in Telemedien - Tagesschau-App, GRUR 2015, 1228
BVerfG, Verfassungsmäßigkeit des nordrhein-westfälischen Rundfunkrechts, NJW 1991, 899
BVerfG, Spiegel-Teilurteil, NJW 1966, 1603