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Redaktion beck-aktuell (dpa) | Aug 26, 2024
Nach dem tödlichen Messerangriff von Solingen werden Forderungen nach härteren Abschieberegeln und einem strengeren Waffenrecht lauter. Ein Syrer, dessen Abschiebung 2023 gescheitert ist, soll den Messeranschlag verübt haben.
Zugleich wird Aufklärung verlangt, weshalb die Behörden im vergangenen Jahr mit dem Versuch scheiterten, den syrischen Asylbewerber abzuschieben, der so überhaupt erst den Anschlag mit drei Todesopfern am Freitagabend verüben konnte.
Bei einem Straßenfest in der Stadt im Bergischen Land waren auch acht Menschen verletzt worden, vier davon schwer. Ein 26-jähriger tatverdächtiger Syrer sitzt seit Sonntagabend in Untersuchungshaft – unter anderem wegen Mordverdachts und wegen des Vorwurfs, der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) anzugehören. Die Terrormiliz reklamierte den Anschlag für sich und veröffentlichte am Sonntag ein Video, das den Täter zeigen soll. Wann das Video aufgenommen wurde und ob es sich tatsächlich um den Täter handelt, ist bislang nicht zweifelsfrei geklärt.
Tatverdächtiger sollte abgeschoben werden
Wie der "Spiegel" berichtete, kam der Verdächtige Ende 2022 nach Deutschland und stellte einen Antrag auf Asyl. Den Sicherheitsbehörden war er demnach bislang nicht als islamistischer Extremist bekannt. Diese Informationen wurden der Deutschen Presse-Agentur bestätigt. Der Asylantrag des Tatverdächtigen wurde demnach abgelehnt. Deshalb sollte er im vergangenen Jahr nach Bulgarien abgeschoben werden. Über das Land war er in die Europäische Union eingereist. Da er zwischenzeitlich allerdings in Deutschland abgetaucht sei, sei die Abschiebung vorerst hinfällig gewesen, schrieb die "Welt".
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte in der ARD-Sendung "Caren Miosga", untergetaucht im rechtlichen Sinne sei der mutmaßliche Attentäter nicht. Denn er sei an dem Tag, an dem er abgeholt werden sollte, schlicht nicht dagewesen. "Ansonsten war er immer und häufig in dieser Einrichtung." Er stelle sich auch viele Fragen, ob diese Verfahren richtig sind, ausreichend sind, übertrieben sind, sagte Reul.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wüst fordert eine Aufarbeitung auch innerhalb der Behörden. "Da gibt es eine Menge Fragen. Es sind auch eine Menge Behörden involviert. Das muss aufgeklärt werden, und da muss Klartext gesprochen werden, wenn da etwas schiefgelaufen ist", sagte er in der "Aktuellen Stunde" im WDR Fernsehen. Im ZDF-"heute journal" sagte Wüst: "Wenn da irgendwo was schiefgelaufen ist, bei welcher Behörde auch immer, ob vor Ort in Bielefeld, in Paderborn oder bei Landes- oder Bundesbehörden, dann muss die Wahrheit da auf den Tisch."Nach einer Übersicht des Verfassungsschutzes wäre die Tat in Solingen der folgenschwerste aus mutmaßlich islamistischen Motiven begangene Anschlag in Deutschland seit dem Angriff auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin im Dezember 2016 mit damals 13 Toten und 64 Verletzten.
Merz: Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan
Eine Woche vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen verschärfte CDU-Chef Friedrich Merz den Ton gegenüber Scholz und forderte einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan in Deutschland. In seinem E-Mail-Newsletter "MerzMail" schrieb er: "Nach dem Terrorakt von Solingen dürfte nun endgültig klar sein: Nicht die Messer sind das Problem, sondern die Personen, die damit herumlaufen. In der Mehrzahl der Fälle sind dies Flüchtlinge, in der Mehrzahl der Taten stehen islamistische Motive dahinter." Im ARD-Brennpunkt sagte Merz: "Wenn Solingen jetzt für die Koalition nicht der Wendepunkt ist, dann weiß ich nicht, was noch passieren muss, damit hier einige Leute endlich mal zur Besinnung kommen."
Unions-Fraktionsvize Jens Spahn (CDU) sprach sich für Grenzschließungen aus, um irreguläre Migration zu stoppen. Der "Rheinischen Post" (Montag) sagte er: "Es kommen seit Jahren jeden Tag hunderte junge Männer aus Syrien und Afghanistan nach Deutschland und Europa. Das muss endlich enden."
Kanzler Scholz hatte bereits im Juni nach dem tödlichen Messerangriff von Mannheim angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen und terroristischen Gefährdern nach Afghanistan und Syrien wieder zu ermöglichen. Das Bundeskabinett hatte als Reaktion auf die Mannheimer Tat eine erleichterte Ausweisung von Menschen beschlossen, die terroristische Taten gutheißen.
SPD: Aufnahmestopp mit Gesetzen nicht vereinbar
SPD-Chefin Saskia Esken wies Merz' Forderung nach einem Aufnahmestopp zurück, da ein solcher Schritt "mit unseren Gesetzen auch nicht vereinbar ist, nicht mit der Europäischen Flüchtlingskonvention, nicht mit unserer Verfassung". Schwere Straftäter und islamistische Gefährder müssten aber in diese Länder abgeschoben werden können.
So sieht es auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert: Viele Vorschläge von Merz gingen nicht, weil das Grundgesetz ihnen entgegenstehe, sagte Kühnert im ARD-"Morgenmagazin". Das gelte zum Beispiel für das individuelle Recht auf Asyl. "Die Antwort kann doch nicht sein, dass wir Menschen, die selber vor Islamisten fliehen, weil sie von denen für ihre Lebensweise verfolgt werden, jetzt die Tür vor der Nase zuschlagen", sagte Kühnert. Man müsse sich jetzt anschauen, warum die Rückführung des mutmaßlichen Täters nach Bulgarien nicht geklappt habe. Bulgarien sei nach allem, was man wisse, bereit gewesen, ihn zurückzunehmen. "Zuständig sind für Abschiebungen in Deutschland die Länder, das wäre in diesem Fall Nordrhein-Westfalen gewesen." NRW müsse jetzt die Fakten auf den Tisch legen, warum nicht gehandelt worden sei.
Mehr Befugnisse für Sicherheitsbehörden?
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte in der ARD, Straftäter müssten sofort in Arrest genommen werden und das Land verlassen, insbesondere in Richtung Syrien und Afghanistan. Der Polizei müssten mehr Möglichkeiten für Kontrollen gegeben werden.
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach eine Ausweitung von Befugnissen der Sicherheitsbehörden an. Zu einem besseren Schutz vor Angriffen "gehört auch, dass die Sicherheitsbehörden mit den notwendigen Befugnissen ausgestattet werden", sagte er im ZDF-Sommerinterview. Steinmeier forderte mehr Personal für die Sicherheitsbehörden. Bei terroristischer Gefahr sei aber auch eine Ausweitung der Befugnisse etwa des Bundeskriminalamts (BKA) denkbar.
Klar dagegen positioniert sich der Deutsche Journalisten-Verband (DJV). Nach Plänen des Bundesinnenministeriums sollen Polizeikräfte die Möglichkeit erhalten, zur Verhinderung von Terroranschlägen heimlich in Wohnungen einzudringen, um dort Spähsoftware auf Computern und Smartphones zu installieren. Auch heimliche Wohnungsdurchsuchungen sollen erlaubt werden – davon seien alle Journalistinnen und Journalisten betroffen, die in sicherheitssensiblen Bereichen recherchieren.
"Die furchtbare Tragödie von Solingen lässt uns alle fassungslos zurück. Das darf aber nicht zu unüberlegten gesetzgeberischen Schnellschüssen führen. Für das vermeintliche Mehr an Sicherheit, das noch gar nicht erwiesen ist, werden Informantenschutz, Redaktionsgeheimnis und Pressefreiheit massiv eingeschränkt. Und das auch noch ohne Kenntnis der betroffenen Journalistinnen und Journalisten", kommentierte DJV-Bundesvorsitzender Mika Beuster. "Das ist ein legislatives No-go." Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann hatte sich ablehnend zu den Plänen der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) geäußert: "Im Staat des Grundgesetzes machen wir so etwas nicht. Das wäre ein absoluter Tabubruch."
Verhandlungen über Waffenrecht für Messer angekündigt
Offen zeigte sich der Minister dagegen für Verhandlungen über das Waffenrecht für Messer. "Wir werden nun in der Bundesregierung darüber beraten, wie wir den Kampf gegen diese Art der Messer-Kriminalität weiter voranbringen", sagte der FDP-Politiker der "Bild am Sonntag". Entsprechend betonte SPD-Generalsekretär Kühnert, die Ampel komme beim Waffenrecht und bei Messerverboten voran. Bisher hatte die FDP Vorschläge Faesers zu schärferen Regeln und Verboten abgelehnt.
Nicht gut voran geht es aus Sicht Kühnerts im Moment dagegen in einem anderem Bereich: der Radikalisierung von Einzeltätern. Diesem Problemfeld müsse man sich nun verstärkt widmen. "Hier braucht es jetzt einen großen Wurf von Bund und Ländern gemeinsam."