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NVwZ Nachrichten

EU-Kommission wehrt sich: Stilllegung von Millionen Dieselfahrzeugen droht nicht

Von Redaktion beck-aktuell (dpa) | Aug 05, 2024
Droht Mil­lio­nen Die­sel-Autos auf Eu­ro­pas Stra­ßen die Still­le­gung? Die EU-Kom­mis­si­on gibt nach einem Brand­brief von Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­ter Vol­ker Wis­sing (FDP), der dies sug­ge­riert, Ent­war­nung: Sie be­ab­sich­ti­ge nicht, die Vor­schrif­ten zur Ein­hal­tung von Schad­stoff­grenz­wer­ten bei Autos nach­träg­lich zu än­dern.

So heißt es in einem Brief von EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton an Wissing. Auch wolle die Kommission keine Maßnahmen ergreifen, "die Bürger, die Autos in gutem Glauben gekauft haben, in irgendeiner Weise benachteiligen würden". Betont wurde zudem, den Automobilherstellern solle kein zusätzlicher Verwaltungsaufwand aufgebürdet werden. Der Brief liegt der Deutschen Presse-Agentur vor.

Wissing hatte die EU-Kommission zuvor vor einer Stilllegung von Millionen Dieselfahrzeugen gewarnt und in einem Brandbrief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Klarstellung gefordert. Hintergrund der Debatte ist ein Verfahren vor dem EuGH. Dabei geht es im Kern um die Einhaltung von Abgasnormen – also Schadstoffgrenzwerten bei Dieselfahrzeugen.

Wissings Bedenken nicht ausgeräumt

Aus dem Bundesverkehrsministerium hieß es, der Minister sehe sich durch das Schreiben des EU-Kommissars in seiner Sorge bestätigt. Die Kommission betone zwar, dass sie gegenüber den Autoherstellern und Bürgern keine rückwirkenden Maßnahmen plane. Darum gehe es aber nicht. Es wäre nämlich nicht die Kommission, sondern der EuGH, der diese Entscheidung treffen würde, betonte eine Sprecherin. "Aus diesem Grund ist es jetzt wichtig, wie von Bundesminister Wissing vorgeschlagen, eine Klarstellung im europäischen Regelwerk vorzunehmen." Wissing sei dazu bereits auf seine EU-Amtskolleginnen und -Amtskollegen zugegangen.

Nach EU-Recht müssten die Schadstoffwerte unter bestimmten Bedingungen (sogenannte NEFZ-Prüfung) eingehalten werden. Das passiert in Testzentren. Infolge des Dieselskandals wurden auch Abgasprüfungen unter realem Fahrbetrieb (RDE) entwickelt. Ein solches Verfahren ist mittlerweile auch für die Genehmigung von neuen Fahrzeugtypen ab der Norm "Euro 6d temp" zwingend vorgeschrieben. Kommissionsangaben zufolge entschied der EuGH bereits in einem früheren Urteil, dass sich die Emissionsprüfungen nicht mehr auf Labortests beschränken dürfen. Ältere Euro-5- und Euro-6-Diesel sind aber nach dem NEFZ zugelassen und erfüllen die Richtwerte des RDE nicht.

In dem Gerichtsverfahren vertrat die EU-Kommission laut Wissing die Auffassung, dass die Schadstoffgrenzwerte für jede Fahrsituation gelten würden. Das würde bedeuten, dass die Grenzwerte auch bei sogenannten Vollastfahrten mit Steigung einzuhalten wären – also etwa, wenn ein Auto voll geladen bergauf fährt und dabei vergleichsweise mehr Schadstoffe ausstößt. Wissing zufolge sind in solchen Szenarien die Grenzwerte nach derzeitigem Stand der Technik nicht einhaltbar. Sämtliche Euro 5-Genehmigungen würden infrage gestellt. Nicht ausgeschlossen seien auch Konsequenzen für Fahrzeuge nach der Abgasnorm Euro 6. "Millionen von Fahrzeugen droht damit die Außerbetriebsetzung", so Wissing in seinem Brief.

Entscheidung des Gerichts offen

Breton nannte Wissings Annahme in dem Antwortschreiben, um das er von Kommissionspräsidentin von der Leyen gebeten worden war, "irreführend". Die Kommission habe lediglich festgestellt, "dass die Pkw-Emissionsgrenzwerte unter normalen Einsatzbedingungen eingehalten werden müssen", ergänzte ein Sprecher. Damit sei nicht jede Fahrsituation gemeint. Auch habe die Behörde ihren Standpunkt in dieser Frage nie geändert. Breton schrieb: "Ohne dem Ergebnis des anhängigen Gerichtsverfahrens vorzugreifen, wird die Kommission weiterhin Lösungen fördern, die saubere und gesunde Luft begünstigen und einen vorhersehbaren und umsetzbaren Rechtsrahmen fördern."

Betroffen von den Urteilen sind Kommissionsangaben zufolge Fahrzeuge, die vor dem Inkrafttreten der derzeit geltenden Prüfverfahren in Verkehr gebracht wurden, zwischen 2011 und 2018.

Der ADAC betonte, die betroffenen Fahrzeuge seien ordnungsgemäß zugelassen worden. "Änderungen im Messverfahren bei der Typgenehmigung eines Kfz zu einem späteren Zeitpunkt können nach Auffassung von ADAC Juristen nicht rückwirkend Anwendung finden." Eine Betriebsuntersagung sei vor diesem Hintergrund "abwegig".

Auch die Präsidentin des Verbands der Deutschen Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, betonte: "Rückwirkende Anwendungen neuer Verfahren und Maßstäbe wären ohnehin ein Verstoß gegen den Grundsatz des Rückwirkungsverbots und das Rechtsstaatsprinzip im EU- und deutschem Verfassungsrecht."

Weiterführende Links

Aus der Datenbank beck-online

EuGH, Unzulässigkeit von Motorsteuerungs-Abschalteinrichtungen im Emissionsüberwachungssystem, DAR 2021, 71

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