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NVwZ Nachrichten

Ausgeweiteter polizeilicher Präventivgewahrsam mit Bayerischer Verfassung vereinbar

Von VerfGH Bayern | Jun 15, 2023
Der Baye­ri­sche Ver­fas­sungs­ge­richts­hof hat eine Po­pu­lar­k­la­ge gegen eine Viel­zahl von Re­ge­lun­gen des Po­li­zei­auf­ga­ben­ge­set­zes teil­wei­se ein­ge­stellt und im Üb­ri­gen ab­ge­wie­sen. Dabei hat er die Aus­wei­tung des po­li­zei­li­chen Prä­ven­tiv­ge­wahr­sams und die An­he­bung der höchst­zu­läs­si­gen Dauer als mit der Baye­ri­schen Ver­fas­sung ver­ein­bar be­stä­tigt. Die Re­ge­lun­gen ge­nüg­ten ins­be­son­de­re dem rechts­staat­li­chen Ver­hält­nis­mä­ßig­keits­grund­satz und ver­stie­ßen nicht gegen das Grund­recht der Frei­heit der Per­son.

Unter anderem Ausweitung des Präventivgewahrsams gerügt

Die Antragsteller begehrten mit ihrer Popularklage die Feststellung der Verfassungswidrigkeit verschiedener Regelungen des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes. Einen Schwerpunkt der Beanstandungen bildete die Einführung des Begriffs der drohenden Gefahr, der als Legaldefinition und Voraussetzung für (atypische) polizeiliche Eingriffsmaßnahmen in Art. 11a BayPAG enthalten und auch Voraussetzung verschiedener Spezialbefugnisse ist. Diese Eingriffsschwelle ermöglicht polizeiliche Eingriffe in Grundrechte der Betroffenen bereits vor der Entstehung einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Ein weiterer wesentlicher Angriffspunkt der Popularklage betraf Ergänzungen der polizeilichen Befugnis zum sogenannten Präventivgewahrsam um zusätzliche Tatbestandsalternativen, so zur Durchsetzung eines Platzverweises und einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung (Art. 17 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BayPAG), und die Anhebung der früher geltenden Höchstdauer eines solchen Gewahrsams von 14 Tagen auf aktuell einen Monat mit Verlängerungsmöglichkeit bis zu einer Gesamtdauer von zwei Monaten (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 BayPAG). Soweit sich die Antragsteller mit ihrer Popularklage zunächst gegen die Vorläufervorschriften der aktuellen gesetzlichen Bestimmungen gewandt hatten, erklärten sie die Klage teilweise für erledigt, nachdem in der Folgezeit die angegriffenen Bestimmungen teilweise geändert und ergänzt worden waren.

Verfahren teilweise eingestellt - Klage im Übrigen überwiegend unzulässig

Der VerfGH hat das Verfahren teilweise eingestellt und die Popularklage im Übrigen abgewiesen. Soweit die gegen die Polizeirechtsreformen aus 2017 und 2018 gerichtete Popularklage ursprünglich Vorläuferregelungen der aktuell geltenden Bestimmungen betroffen habe und insoweit nach der weiteren Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes vom 23.07.2021 für erledigt erklärt worden sei, sei eine Fortführung des Verfahrens nicht im öffentlichen Interesse geboten. Im übrigen sei die Popularklage zum weit überwiegenden Teil unzulässig, so mangels hinreichender Darlegung auch hinsichtlich der Rüge einer Grundrechtsverletzung durch Verwendung des Begriffs der drohenden Gefahr in der Generalklausel des Art. 11a PAG und verschiedenen Spezialbefugnissen.

Ausgeweiteter polizeilicher Präventivgewahrsam verfassungsgemäß

Soweit sich die Popularklage gegen die Erweiterung des polizeilichen Präventivgewahrsams um die zusätzlichen Tatbestandsalternativen in Art. 17 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 BayPAG sowie gegen die Dauer des Präventivgewahrsams richte, sei sie zwar zulässig, aber unbegründet. Die Regelungen seien mit der Bayerischen Verfassung vereinbar, so der VerfGH. Sie genügten insbesondere dem rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und verstießen nicht gegen das Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 102 Abs. 1 BV). Die zusätzlichen Befugnisse erlaubten eine Ingewahrsamnahme nur "als letztes Mittel". Die neuen Befugnisse sähen auch keine Ingewahrsamnahme wegen einer nur drohenden Gefahr vor. Lediglich die durchzusetzenden Maßnahmen könnten unter bestimmten Voraussetzungen bereits bei einer drohenden Gefahr im Sinne des Art. 11a BayPAG angeordnet werden. Die Freiheitsentziehung selbst diene der Abwehr konkreter Verstöße und damit der rechtsstaatlich gebotenen Durchsetzung wirksamer und vollziehbarer polizeilicher beziehungsweise richterlicher Anordnungen.

Auch angehobene Höchstdauer des Präventivgewahrsams verfassungsgemäß

Auch die Regelungen zur höchstzulässigen Dauer des polizeilichen Präventivgewahrsams (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 BayPAG) seien verfassungsgemäß. Sie verletzten weder den Bestimmtheitsgrundsatz noch enthielten sie einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht der Freiheit der Person. Zwar handele es sich um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff. Zu berücksichtigen sei aber, dass die Anordnung einer polizeilichen Ingewahrsamnahme nur als letztes Mittel zugelassen sei, wenn zur Gefahrenabwehr kein anderes, den Betroffenen weniger belastendes Mittel ausreiche, um dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit Rechnung zu tragen. Auch sei die Ausschöpfung der Höchstfrist nicht etwa zwingend vorgegeben. Vielmehr werde die Dauer des Gewahrsams im Einzelfall von einem unabhängigen Richter unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere des Gewahrsamsgrunds, festgelegt. Eine Gewahrsamshöchstdauer von zwei Monaten werde daher in der Praxis nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Das Freiheitsgrundrecht der Betroffenen werde außerdem durch verfahrensrechtliche Flankierungen ausreichend abgesichert. Auch sei mit der Möglichkeit der Beschwerde zu den Landgerichten und der Rechtsbeschwerde zum Bayerischen Obersten Landesgericht ein effektiver Rechtsschutz gewährleistet (Az.: Vf. 15-VII-18) (Entscheidung vom 14.06.2023).

Weiterführende Links

Aus der Datenbank beck-online

  • Welzel/Ellner, Präventivgewahrsam bei drohender Gefahr?, DÖV 2019, 211

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