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Redaktion beck-aktuell (dpa) | Jun 15, 2023
In die Diskussion über gesetzliche Regelungen zur Sterbehilfe in Deutschland kommt Bewegung. Zwei Abgeordnetengruppen im Bundestag haben ihre Initiativen jetzt zu einem gemeinsamen Entwurf zusammengeführt, wie sie gestern in Berlin mitteilten. Ausgangspunkt sei, dass eine Regelung nicht ins Strafgesetzbuch gehöre, sagte die Grünen-Politikerin Renate Künast. Die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr betonte: "Suizidhilfe in Deutschland braucht Menschlichkeit und keine Verbotsgesetze."
Wegweisendes Gerichtsurteil macht Neuregelung nötig
Daneben liegt schon eine Initiative für eine beschränktere Regelung vor. Zu einer Abstimmung im Bundestag ohne Fraktionsvorgaben könnte es noch im Juli kommen. Hintergrund ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das 2020 ein seit 2015 bestehendes Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt hatte, da es das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben verletze (NJW 2020, 905). Dabei hat "geschäftsmäßig" nichts mit Geld zu tun, sondern bedeutet "auf Wiederholung angelegt". Das wegweisende Urteil stößt eine Tür für organisierte Angebote auf – ausdrücklich auch mit Regulierungsmöglichkeiten wie Beratungspflichten oder Wartefristen.
Regelung für Abgabe von Arznei- und Betäubungsmitteln
Der neue gemeinsame Gesetzentwurf sieht vor, dass Ärztinnen und Ärzte Volljährigen Arzneimittel zur Selbsttötung verschreiben dürfen, die ihr Leben "aus autonom gebildetem, freiem Willen" beenden möchten. Dazu sollen aber Voraussetzungen zu Beratung und Aufklärung geregelt werden. Entsprechende Arzneimittel sollen frühestens drei Wochen und höchstens zwölf Wochen nach der Beratung verordnet werden dürfen. Das Gesetz solle "eine unwürdige, unzumutbare und nicht von freiem Willen getragene Umsetzung des Sterbewunsches verhindern". Gewährleistet werden soll ein sicherer Zugang zu Arznei- und Betäubungsmitteln.
Länder müssen Gesetz zustimmen
Die Länder sollen ein "ausreichendes Angebot an Beratungsstellen" sicherstellen. Der Bundesrat müsste dem Gesetz daher zustimmen. "Die Beratung ist ergebnisoffen zu führen, darf nicht bevormunden und muss vom Grundwert jedes Menschenlebens ausgehen", heißt es im Entwurf. Für Beratungen soll es eine Bescheinigung geben. Vorgesehen ist auch eine Härtefallregelung, wenn Suizidwillige in einem "existenziellen Leidenszustand mit anhaltenden Symptomen" sind, die sie in der gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen. Dann sollen Ärzte auch ohne Beratungsbescheinigung Arzneimittel verordnen können, wenn ein zweiter Arzt oder eine zweite Ärztin es ebenfalls so einschätzen. Über eine mögliche Regelung soll voraussichtlich in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause im Bundestag abgestimmt werden, wie es hieß.
Castellucci: Menschen brauchen Rechtssicherheit
Ein Entwurf einer anderen Gruppe liegt bereits vor. Die Initiative um Lars Castellucci (SPD) und Ansgar Heveling (CDU) will eine geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe zu stellen – aber mit einer Ausnahme für Volljährige. Um deren freie Entscheidung zum Suizid ohne Druck festzustellen, sollen in der Regel zwei Untersuchungen durch einen Facharzt oder eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie im Abstand von drei Monaten und eine umfassende ergebnisoffene Beratung vorgegeben werden. Castellucci sagte der Mediengruppe Bayern: "Es ist gut, dass wir vor der Sommerpause endlich zu einer Entscheidung kommen. Die Menschen brauchen Rechtssicherheit." Der SPD-Politiker betonte: "Der Zugang zum assistierten Suizid sollte ermöglicht und klar geregelt werden, ohne daraus ein Modell zu machen. Kein Mensch ist überflüssig." Einen wirksamen Schutz des freien Willens aller Menschen biete nur der Gesetzentwurf seiner Gruppe.
Weitere Stimmen zur Sterbehilfe
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, wandte sich gegen ein Gesetz für eine organisierte Sterbehilfe. Die Selbstbestimmung der Sterbewilligen und der Schutz vor Fremdbestimmung seien viel zu komplex, um sie in Paragrafen zu pressen, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Dienstag). Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben forderte, eine Medikamentenabgabe an erwachsene Sterbewillige ohne Pflichtberatung zu ermöglichen. "Was für die Menschen tatsächlich wichtig ist, dass sie sich auf einen Notausgang verlassen können", sagte Präsident Robert Roßbruch gestern dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
- Ohly/Rink, Suizidbeihilfe aus theologisch-ethischer Perspektive, GuP 2021, 81
- Berndt, "Sterbehilfe in Deutschland - wie geht es weiter?" Tagung an der Universität Augsburg am 08.04.2021, MedR 2021, 535
- Neumann, Vier Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Suizidhilfe - eine Bewertung, NJOZ 2021, 385
- BVerfG, Verfassungswidrigkeit des Verbots der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, NJW 2020, 905