Gisela Seidler, Vorsitzende des Ausschusses Migrationsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV), verweist auf "unsere historische Verantwortung als Unterzeichner der Genfer Flüchtlingskonvention", die den Schutz von Menschen in Not gebiete. Zugleich kritisiert Seidler die Migrationspolitik der vergangenen Jahre, die vor allem eine Richtung kenne: Verschärfung von Regelungen, Verkürzung von Verfahrensgarantien und Abwehr von Menschen.
Es gelte, Europa als Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts zu bewahren, so der DAV. Seine erste Forderung: Die Grenzkontrollen an Deutschlands Binnengrenzen beenden und unionsrechtskonform handhaben. Schutzsuchenden Menschen dürfe der Zugang zum Asylverfahren nicht verwehrt werden. Das sei auch bei der Umsetzung des europäischen Asylsystem GEAS zu beachten, insbesondere für vulnerable Gruppen.
Familien müssten besser geschützt werden, so Punkt zwei des Papiers. Hierzu sollten insbesondere der Eltern- und Familiennachzug erleichtert und Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug flexibler gestaltet werden.
Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, braucht es aus Sicht des DAV bessere Möglichkeiten für bereits in Deutschland lebende Menschen, in einen Aufenthaltstitel zu Erwerbszwecken oder aufgrund gelungener Integration zu wechseln. Dies betreffe etwa Regelungen zur Vorduldungszeit, zur Identitätsklärung und zur Passpflicht. Das Chancen-Aufenthaltsrecht sollte beibehalten werden.
Unter Punkt vier spricht sich der Anwaltverein erneut für die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes aus. Leistungsberechtigte seien in die regulären Sozialsysteme zu integrieren, um das menschenwürdige Existenzminimum sicherzustellen. In jedem Fall seien grundrechtsrelevante Einschränkungen, etwa im Rahmen der Bezahlkarte, zu beseitigen.
Zuletzt plädiert der DAV für eine "umfassende Entschlackung und Modernisierung" des Aufenthaltsgesetzes: Verfahrenszeiten müssten verkürzt und Migrationsbehörden besser ausgestattet werden. Routineverfahren müssten auch ohne anwaltliche Unterstützung rechtsstaatliche Ergebnisse produzieren.
Union fachte Migrationsdebatte an
Vor allem die Union hatte in der Debatte in den vergangenen Wochen immer wieder für Zündstoff gesorgt, unter anderem mit der Forderung ihres Kanzlerkandidaten Friedrich Merz (CDU) nach umfassenden Zurückweisungen an den deutschen Grenzen. Der Bundestag hatte mit einer Mehrheit für eine entsprechende Verschärfung in der Migrationspolitik gestimmt, wohl auch mit Stimmen der AfD. Im Anschluss hatte sich auch Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eingeschaltet und das Vorgehen der Union kritisiert. Keine Mehrheit hatte kurz darauf das Zustrombegrenzungsgesetz der Union im Bundestag gefunden.