Der frühere Bundesinnenminister und FDP-Politiker Gerhart Baum ist in der Nacht zu Samstag im Alter von 92 Jahren gestorben. Er repräsentierte über Jahrzehnte den linksliberalen Parteiflügel der FDP und meldete sich immer wieder zu Wort, wenn er den Eindruck hatte, dass die FDP zu sehr in neoliberale Gewässer abdriftete.
Baum gehörte neben seinem im März 2020 gestorbenen Freund Burkhard Hirsch zur zuletzt kleinen Gruppe sozialliberaler FDP-Mitglieder, die sich zusammen mit Hildegard Hamm-Brücher und dann auch mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Freiburger Kreis zusammenschlossen. Das bedeutete quasi linksliberale Opposition in der eigenen Partei.
Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann nannte Baum einen großen Streiter für die Bürgerrechte. Baum sei ein "unbequemer Impulsgeber" und ein "hartnäckiger Diskutant" gewesen, "der seine Partei und seine Parteifreunde bis zum Äußersten reizen konnte", schrieb sie auf X. "Niemand von uns blieb verschont. Trotzdem bildete er einen wichtigen Pol."
Parteichef Christian Lindner würdigte Baum als einen großen Verfechter von Freiheit und Bürgerrechten. "Mit Gerhart Baum haben unser Land und die Freien Demokraten eine der kräftigsten Stimmen für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie verloren", erklärte Lindner. "Er war eine unabhängige Persönlichkeit mit kritischem Urteil, die unsere liberale Familie gestärkt hat." Die FDP sei Baum zu großem Dank verpflichtet. "Sein Rat und sein kritischer Blick werden uns fehlen."
FDP-Fraktionschef Christian Dürr nannte Baum einen unbeugsamen Streiter für die liberale Demokratie. "Sein Engagement für die Grundrechte und seine Überzeugung, dass Freiheit und Sicherheit kein Widerspruch sein dürfen, sind Vermächtnisse, die uns weiterhin leiten werden." Auch Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) würdigten Baum.
Innenminister unter Helmut Schmidt
Von 1978 an war Baum vier Jahre lang Bundesinnenminister unter SPD-Kanzler Helmut Schmidt – in der Zeit des RAF-Terrors. Nach der Wende der FDP von der SPD zur Union 1982 war die sozialliberale Koalition am Ende. Etliche – vor allem junge – FDP-Mitglieder verließen damals die Partei. Baum blieb und war von 1982 bis 1991 noch FDP-Vize.
"Angesichts der Herausforderung durch den Terrorismus der RAF war es Gerhart Baums tiefe Überzeugung, dass eine demokratische Gesellschaft mit Bedrohungen umgehen kann und muss, ohne dabei in Unfreiheit zu verfallen", schrieb Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. "Mit Gerhart Baum verlieren wir einen Menschen, der über lange Jahre den Diskurs in unserem Land geprägt hat."
Tätigkeit als Rechtsanwalt
Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag arbeitete er wieder als Rechtsanwalt – er war seit circa 1990 Seniorpartner in der auf Anleger- und Verbraucherschutz sowie auf Datenschutz spezialisierten Düsseldorfer Kanzlei Baum, Reiter & Collegen.
Baum hat die Opfer großer Verkehrskatastrophen vertreten, unter anderem die Opfer des Flugschau-Unglücks von Ramstein, des Concorde-Absturzes am Pariser Flughafen Charles de Gaulle und des Anschlags auf den Pan-Am-Flug 103 über der irischen Ortschaft Lockerbie. Auch war er Anwalt der Mehrzahl der Betroffenen der Loveparade-Katastrophe von 2010 in Duisburg.
Im Sommer 2022 führte er die Verhandlungen für die Hinterbliebenen der Opfer des Münchner Olympia-Attentats mit der Bundesregierung und konnte die Bereitstellung weiterer Anerkennungsleistungen durch den Bund, das Land Bayern und die Stadt München erreichen.
Bis zuletzt führte er – unter anderem zusammen mit Hirsch und Leutheusser-Schnarrenberger – erfolgreiche Verfassungsbeschwerden gegen staatliche Überwachung: gegen den sogenannten Großen Lauschangriff, das Luftsicherheitsgesetz von Rot-Grün zum Abschuss entführter Passagiermaschinen, das sogenannte Online-Gesetz, das BKA-Gesetz und die Vorratsdatenspeicherung.
Im Rahmen der Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung war Baum Beschwerdeführer. Die Beschwerde richtete sich gegen die gesetzliche Verpflichtung, anlasslos alle telefonischen Verbindungsdaten für sechs Monate zu speichern. Das Gesetz wurde aufgrund der Verfassungsbeschwerde für verfassungswidrig und nichtig erklärt.
Einsatz für Menschenrechte
Baum setzte sich auch für die Wahrung der Menschenrechte ein. Er war zuletzt Mitglied im Advisory Committee der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch und im Kuratorium Stiftung Menschenrechte – Förderstiftung von Amnesty International. Von 2001 bis 2003 fungierte er als UNO-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte im Sudan. 1993 leitete er die deutsche Delegation auf der Menschenrechtsweltkonferenz in Wien. Von 1992 bis 1998 war er Leiter der deutschen Delegation in der UNO-Menschenrechtskommission Genf.
Sein Düsseldorfer Anwaltskollege Reiter sagte, Baum und er seien persönlich befreundet gewesen. Als Sozius sei er ein "beispielgebender Rechtsanwalt" und ein Mentor für ihn gewesen. "Wir werden ihn vermissen." Baum habe noch an einem Buchprojekt gearbeitet und in der Klinik viel Besuch empfangen, berichtete Reiter. "Er ist immer gern unter Menschen gewesen."
Baum sei ein unbeugsamer Verteidiger der Bürger- und Menschenrechte gewesen und "eine Stimme der Vernunft, gerade in Zeiten gesellschaftlicher und politischer Umbrüche", betonte Henning Höne, Chef der FDP in Nordrhein-Westfalen. Auch nach seiner aktiven Zeit in der Politik sei Baum ein "mahnendes Gewissen" geblieben.
Baum, geboren am 28. Oktober 1932, stammte aus dem Dresdner Bildungsbürgertum. Vater und Großvater waren ebenfalls Rechtsanwälte. Die Mutter, eine Russin, floh mit den Kindern nach der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 an den Tegernsee. 1950 zog die Familie nach Köln.
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
BVerfG, Teilweise Verfassungswidrigkeit des BKA-Gesetzes, NJW 2016, 1781
BVerfG, Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten, ZUM-RD 2010, 181
Baum/Schantz, Die Novelle des BKA-Gesetzes - Eine rechtspolitische und verfassungsrechtliche Kritik, ZRP 2008, 137
Heimliche Online-Durchsuchung verfassungswidrig, NJW-Spezial 2008, 184
BVerfG, Nichtigkeit der Abschussermächtigung im Luftsicherheitsgesetz, NJW 2006, 751
BVerfG, Verfassungsrechtliche Bewertung des "Großen Lauschangriffs", NJW 2004, 999