Eine damals als Haushaltshilfe arbeitende deutsch-polnische Frau beauftragte einen Anwalt im Streit mit einer Versicherung. Mit seiner Arbeit war sie nicht zufrieden, da er ihr nicht schnell genug arbeitete. Sie schrieb ihm mehrere E-Mails in gebrochenem Deutsch und äußerte unter anderem: "Ich habe das Gefühl, dass sie bauen mir absichtlich die Schaden", und "Weil sie mich mit Ihrem Gelderschleichen versuchen zu betrogen (…)." und "jetzt werden wir ihre Betrug klären, ihre Inkompetenz (…)".
Dafür verurteilte sie das AG wegen Beleidigung (§ 185 StGB) zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30 Euro. Ohne dies groß zu begründen, bestätigten dies das LG – durch wortwörtliche Wiedergabe der Urteilsbegründung des AG – und das OLG Düsseldorf – mit der, so das BVerfG, "formelhaften" Begründung, dass die Überprüfung keine Rechtsfehler ergeben habe. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügte die Mandantin die Verletzung ihres Grundrechts auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG – und erzielte einen Erfolg.
BVerfG rügt fehlende Abwägung
Das BVerfG kam zu dem Ergebnis, dass die strafrechtliche Verurteilung der Frau wegen Beleidigung in ihre Meinungsfreiheit eingreife (Beschluss vom 16.01.2025 – 1 BvR 1182/24). Das Gericht hob die Entscheidungen daher auf und verwies die Sache ans AG zurück. Weil die Vorinstanzen das Recht auf Meinungsäußerung nicht gegen das Persönlichkeitsrecht des Anwalts abgeglichen hätten, tadelten die Karlsruher Richterinnen und Richter den "– praktisch vollständigen – Abwägungsausfall".
Eine Abwägung sei erforderlich gewesen, da weder eine Schmähung noch eine Formalbeleidigung mangels schwerwiegender Schimpfwörter vorlag. Auch hätten sie prüfen müssen, ob die Äußerungen im sachlichen Zusammenhang mit der Mandatsführung des Rechtsanwalts standen und eine breite öffentliche Wirkung hatten. Ferner hätten die Gerichte nicht berücksichtigt, ob möglicherweise fehlende Sprachkenntnisse Einfluss auf die Formulierungen hatten. Die pauschale Aussage, dass die Frau den Juristen auf nicht beleidigende Weise hätte kritisieren können, stelle einen "Zirkelschluss" dar (Beschluss vom 16.01.2025 - 1 BvR 1182/24).
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
BVerfG, Beleidigung eines Staatsanwalts, NStZ 2022, 734
BVerfG, Verfassungswidrige Verurteilung wegen Beleidigung kommunaler Amtsträger, NJW 2022, 1931
BVerfG, Verurteilung wegen Beleidigung eines Beamten – Zweifel an Deutschkenntnissen, NJW 2021, 298