Die AfD wird nicht die Gelegenheit bekommen, mit Hamburger Juristen-Verbänden über Rechtspolitik zu diskutieren – allerdings auch keine andere Partei. Im Vorfeld der Bürgerschaftswahl in Hamburg am 2. März hatten der Hamburgische Anwaltverein und der Hamburgische Richterverein gemeinsam zu einer rechtspolitischen Podiumsdiskussion eingeladen. Unter dem Titel "Rechtsstandort Hamburg – was ist er Hamburg wert?" hätten Rechtspolitikerinnen und -politiker unter anderem über Richterbesoldung, Verfahrensdauer und den Pakt für den Rechtsstaat diskutieren sollen. Am Freitag verkündeten die Veranstalter dann, dass die Debatte ausfällt – nach heftiger Kritik.
Grund für die Aufregung war die Entscheidung der Organisationen gewesen, den stellvertretenden Vorsitzenden der AfD Hamburg, Dr. Alexander Wolf, einzuladen. Wolf steht unter anderem in der Kritik, weil er ein Buch mit Nazi-Liedern herausgegeben hat. Er war zudem einer der Initiatoren der Meldeplattform "Neutrale Schule Hamburg", die dazu dienen soll, angebliche Verstöße gegen das Neutralitätsgebot an Schulen aufzudecken. Die Vereine begründeten Wolfs Einladung mit der Tradition, zu solchen Veranstaltungen grundsätzlich alle Parteien einzuladen, die aktuell Abgeordnete in der Hamburgischen Bürgerschaft stellen.
Mitglieder treten aus: "Empörend und verstörend"
Aus Protest gegen Wolfs Teilnahme an der Diskussion waren die Anwältin Doris Dierbach sowie die Anwälte Alexander Kienzle und Thomas Bliwier aus dem Verein ausgetreten. Angesichts der verfassungsfeindlichen und menschenverachtenden Ansätze in der AfD sei es nicht nachvollziehbar, warum der Anwaltverein der Partei ein Forum biete, schrieb Dierbach in einem offenen Brief, den sie auch auf LinkedIn teilte. "Fangen jetzt wieder die Juristen an, den Rechtsextremen den Weg zu bahnen?", fragt sie darin.
Mit der Einladung Wolfs helfe der Anwaltverein der AfD, "die Tür in die Salons weiter aufzustoßen" und unterstütze "diese menschenverachtende Partei" dabei, sich auszubreiten und weiter in die bürgerliche Schicht vorzudringen. Das empfinde sie als "empörend und verstörend", schrieb Dierbach und verkündete ihren Austritt aus dem Hamburgischen Anwaltverein. Zwei Anwaltskollegen schlossen sich ihr an.
Vereine verteidigten AfD-Einladung
In einer Stellungnahme hatten die Vereine ihre ursprüngliche Besetzung des Podiums noch verteidigt. "Im Sinne eines demokratischen Diskurses hatten wir uns dafür entschieden, Vertreterinnen und Vertreter aller derzeit in der Bürgerschaft vertretenen Parteien zu einer moderierten Podiumsdiskussion einzuladen, da wir den demokratischen Diskurs und die dezidierte Widerrede als das Gebot der Stunde ansehen", heißt es in einer Erklärung des Vereins. Schon bei der Planung der Veranstaltung habe es darüber innerhalb des Vorstands Meinungsverschiedenheiten gegeben, letztlich habe man sich aber für eine Beteiligung der AfD entschieden.
"Wir haben großes Verständnis dafür, dass man die Einladung auch der AfD politisch, gerade nach den jüngsten skandalösen Äußerungen der AfD-Vorsitzenden und den aktuellen Diskussionen im Zusammenhang mit dem Parteiverbotsverfahrens gegen die AfD, auch anders beurteilen kann und können auch diese Position sehr gut nachvollziehen", so die Veranstalter. "Allerdings weisen wir Vorwürfe, wir würden Rechtsextremen den Weg bahnen und zur Ausweitung ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz verhelfen, mit Nachdruck von uns."
Veranstaltung abgesagt: Teilnehmende ziehen zurück
Nun haben die Veranstalter die für Donnerstag geplante Debatte doch abgesagt. Auf die vehemente Kritik hin habe man sich intensiv beraten und schließlich beschlossen, die Veranstaltung nicht durchzuführen, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Darin ist auch die Rede von Sicherheitsbedenken und Absagen weiterer Rechtspolitikerinnen und -politiker.
Zu den Diskutantinnen, die ihre Teilnahme aufgrund der Kritik zurückgezogen haben, gehören nach Angaben der taz die Linken-Politikerin Carola Ensslen und die Vertreterin der Grünen, Lena Zagst. Gegenüber der taz sagte Ensslen: "An Schulen gibt es aufgrund des Neutralitätsgebots keine Wahl, aber beim Anwaltverein können sie frei entscheiden, wen sie einladen."
Der Verein hat nun angekündigt, man werde sich intensiv mit der Frage befassen, "wie künftig solche Veranstaltungen zu wichtigen rechtspolitischen Themen in unserer Stadt durchgeführt werden können". Dazu sei man auch im engen Austausch mit den Mitgliedern.
Debatte auf Social Media: "Demokratie beginnt im Kleinen"
In den sozialen Medien überwiegt der Beifall für die Entscheidung von Dierbach und ihren Kollegen. "Protest wirkt. Danke!", schrieb etwa ein Nutzer auf der Plattform LinkedIn. "Sehr stabil von euch!", meint ein anderer. "Doris und ihre Kolleg:innen haben richtig entschieden", schreibt jemand. "Denn genau wegen solch einer Haltung (…) ist die AFD so stark geworden. Ihnen jedes Mal eine Plattform zu geben, ihrem Populismus Raum zu geben, ihnen das Gefühl zu geben, sie dürfen auch teilhaben an Themen. Hätten wir uns von Anfang klarer gegen die AFD positioniert, wären wir nicht da, wo wir heute sind. Pseudoliberalismus."
Bei der Frage, ob es vom Hamburgischen Anwaltverein richtig war, die AfD an den Diskussionstisch zu holen, gehen die Meinungen allerdings weiter auseinander: "Was ist in der Auseinandersetzung mit nicht demokratischen Parteien wohl besser? Ignoranz? Oder Aufklärung und Überzeugung?", fragt eine Nutzerin. "Ich finde es bedenklich, wenn wir als Organe der Rechtspflege beginnen, Personen nach Parteimitgliedschaft auszugrenzen", kommentiert eine andere.
"Wir sind nicht der Neutralität verpflichtet, sondern dem demokratischen Rechtsstaat. Eine Partei, die zum Ziel hat, diesen abzuschaffen, muss man also nicht einladen", findet dagegen eine andere Nutzerin. Jedenfalls, da sind sich viele Diskutierende einig, trage der Verein die Verantwortung, sich ausreichend mit solchen Fragen auseinanderzusetzen und dabei auch die aktuellen Entwicklungen rund um einen AfD-Verbotsantrag sowie die sogenannte Brandmauer einzubeziehen. "Unsere Demokratie beginnt im Kleinen", heißt es in einem Kommentar. "Vereine der Zivilgesellschaft spielen hierbei eine tragende Rolle. Respekt, wer das ernst nimmt."