Das BVerfG hat der Verfassungsbeschwerde eines deutschen Journalisten, der im Rahmen eines Aufenthalts in Venezuela festgenommen und vier Monate vom venezolanischen Geheimdienst inhaftiert worden war, teilweise stattgegeben. Der Mann hatte, nachdem er aus der Haft entlassen worden und nach Deutschland zurückgekehrt war, vor dem VG Berlin geklagt. Er wollte festgestellt wissen, dass die Bundesrepublik Deutschland ihm weder hinreichenden diplomatischen Schutz noch ausreichende konsularische Betreuung gewährt habe. Insbesondere habe das Auswärtige Amt weder öffentlich gegen seine Inhaftierung protestiert noch gegenüber der venezolanischen Regierung seine Freilassung gefordert.
Das VG wies die Klage ab, die Zulassung der Berufung wurde ihm verwehrt. Seine Verfassungsbeschwerde hatte nun Erfolg. Die Karlsruher Richter und Richterinnen entschieden, das VG habe, indem es die Klage mit der Begründung mangelnden Feststellungsinteresses als teilweise unzulässig abgewiesen hat, den Journalisten in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt (Beschluss vom 11.12.2024 – 1 BvR 1426/24). Hierüber muss das VG nun noch einmal entscheiden.
Wiederholungsgefahr fehlerhaft verneint
Das VG habe den Begriff der Wiederholungsgefahr zu eng ausgelegt, rügt das BVerfG. Der Medienvertreter habe vorgetragen, in der Vergangenheit mehrfach im Rahmen seiner Tätigkeit als investigativer Journalist in Krisen- und Kriegsgebieten inhaftiert worden zu sein und auch künftig an dieser Tätigkeit festhalten zu wollen. Das BVerfG hält es daher für hinreichend wahrscheinlich, dass er in Zukunft erneut in einem Land, das erhebliche rechtsstaatliche Defizite aufweist, inhaftiert und damit auf die Hilfe des Auswärtigen Amts angewiesen sein wird. Eine Prognose, dass einem zukünftigen behördlichen Vorgehen in allen Einzelheiten die gleichen Umstände zugrunde liegen werden, sei nicht erforderlich.
Ob auf Seiten des Auswärtigen Amts hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte gegeben sind, die die Annahme rechtfertigen, es werde auch bei einer erneuten Inhaftierung des Journalisten im Ausland in der gleichen Weise verfahren, habe das VG auch gar nicht ausreichend geprüft. Dies folgert das BVerfG daraus, dass das VG in seinem Urteil nichts dazu ausführt, warum das Auswärtige Amt im Fall des Journalisten – anders als in anderen Fällen – auf einen öffentlichen Protest gegen dessen Inhaftierung sowie eine öffentliche Forderung seiner Freilassung verzichtet hat. Ohne Kenntnis der Gründe für das Handeln der Bundesrepublik lasse sich indes nicht beurteilen, welche tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse für das Unterlassen des Auswärtigen Amts maßgebend waren. Das BVerfG folgert, dass somit auch keine Aussage darüber getroffen werden kann, ob diese Umstände auch künftig im Wesentlichen unverändert vorliegen werden.
Klage aus ausländischer Haft schwierig
Das VG habe das Feststellungsinteresse zudem unzutreffend verneint, indem es darauf verwiesen habe, dass in vergleichbaren Fällen der Grundrechtseingriff tatsächlich typischerweise vor einer gerichtlichen Klärung in der Hauptsache überholt sei. Das VG habe dabei übersehen, dass ein im Ausland Inhaftierter während seiner Haftzeit regelmäßig nicht die Notwendigkeit dazu sehen werde, Klage auf stärkere Unterstützung durch das Auswärtige Amt einzulegen. Denn er komme in Haft typischerweise schlecht an Informationen und könne in der Regel gar nicht erkennen, welche konkreten Maßnahmen das Auswärtige Amt zur Wahrung seiner Interessen ergreift.
Aber selbst mit ausreichend Informationen würden einer Klageerhebung aus der Haft typischerweise nicht unerhebliche Schwierigkeiten entgegenstehen, so das BVerfG weiter. Fraglich sei schon, ob der Inhaftierte angesichts des regelmäßig nur sporadischen Kontakts nach außen überhaupt in der Lage ist, Klage in Deutschland zu erheben und seine Interessen im Rahmen des dortigen Gerichtsverfahrens angemessen wahrzunehmen. Das BVerfG zeigt zudem ein Dilemma auf: So müsse der im Ausland Inhaftierte das Auswärtige Amt um Unterstützung bei der Erhebung einer Klage bitten, mit der er eben dieses zu einer größeren Unterstützung in seiner Sache anzuhalten versucht. Aus diesen Gründen müsse er auch im Nachgang noch ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten haben.
Dem OVG wirft das BVerfG vor, mit dem Beschluss, die Berufung nicht zuzulassen, die Verletzung des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG noch vertieft zu haben. Es habe § 124 Abs. 2 VwGO in sachlich nicht gerechtfertigter Weise angewandt und den Zugang zur nächsten Instanz damit unzumutbar erschwert (Beschluss vom 11.12.2024 - 1 BvR 1426/24).
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
VG Berlin, Auslandsschutz, Venezuela, Journalist, Inhaftierung, Freilassungsforderung, BeckRS 2023, 21785 (angegriffenes Urteil)